"Bis zum Vertragsabschluß können einem schon graue Haare wachsen"

22.05.1998

MÜNCHEN: Wenn die Finanzierung eines Projektes gesichert ist, heißt es noch lange nicht, daß damit das größte Finanzproblem gelöst ist. Zum einen muß erst sichergestellt sein, daß auch der mögliche Kunde zahlen kann. Zum anderen läuft man leicht in Gefahr, bei der Firmen- und Projektpräsentation vor Vertragsabschluß viel Zeit und Geld zu investieren - ohne am Ende den Zuschlag für den Auftrag zu bekommen. Deshalb ist das für viele die "heiße Phase".Oft ist die Vorfinanzierung eines Projektes gar nicht das Hauptproblem - schlimmer noch ist die Zeit, die direkt danach folgt" - so der Eindruck von Lothar Bittner, Mitgeschäftsführer der Unternehmensberatung NAA InfoKOM in Nürnberg nach diversen Diskussionen mit IT-Händlern und Systemhäusern während seiner Seminare zum Thema. Gemeint ist die heiße Phase der Angebotserstellung und Präsentationen, bis der Kunde den Vertrag auch wirklich unterschrieben hat.

Denn auch wenn die eigene Finanzierung steht - man muß beispielsweise erst herausfinden, wie es um die Liquidität des möglichen Kunden bestellt ist. Eine Studie des Verbandes der Vereine Creditreform e.V. in Neuss ("Wirtschaftslage Mittelstand, Frühjahr 98) zeigt, daß es da ernsten Grund zur Sorge gibt: Bis Ende 1997 waren in Westdeutschland 19.300 Betriebe zahlungsunfähig, in Ostdeutschland 8.100. Der Prognose des Vereins zufolge wird es im laufenden Jahr zwar nicht sehr viel schlimmer werden, aber die Zahlen sind noch immer bedenklich: Insgesamt könnte sich die Zahl der zahlungsunfähigen Mittelstandsbetriebe in Deutschland knapp unter 30.000 bewegen. "Gefährdet" - das heißt mit einer Eigenkapitalquote unter zehn Prozent - sind zudem in Westdeutschland 32 Prozent der Mittelstandsbetriebe, in Ostdeutschland sogar rund 44 Prozent. Deshalb, so einhellig die Tips von Marktexperten, sollte man sich genauestens nach dem potentiellen Kunden erkundigen. Dabei bieten sich die Schufa oder die Creditreform an. Zudem kann man sich eine Referenzliste des Unternehmens geben lassen und - wenn Mißtrauen angesagt scheint - unauffällig Infos bei diesen Kunden einholen. Das scheint auf den ersten Blick lästig, hat aber schon manchen vor Geschäften mit Unternehmen bewahrt, über denen schon der Pleitegeier schwebt.

Ist die Liquidität des Kunden geklärt, stellt sich das nächste Problem: Wie verfährt man am besten während der Präsentation des eigenen Unternehmens und bei der Angebotserstellung, ohne den Kunden zu vergraulen - aber auch ohne unnütz Zeit und Geld investieren zu müssen. "Das ist eine gefährliche Zeit - denn während der ersten Präsentation versucht der Kunde naturgemäß, von den möglichen Auftragnehmern so viele unbezahlte Informationen wie möglich zu bekommen", stimmt dem auch der Geschäftsführer eines Münchener Systemhauses zu. Oder: Man wird nach der ersten Präsentation noch einmal ins Unternehmen zitiert, um sein Projekt einem Manager vorzustellen, der bei der ersten Vorstellung in Urlaub war. Und wenn man den Auftrag dann nicht bekommt - hat man womöglich kräftig Lehrgeld bezahlen müssen. "Bis der Auftrag vom Kunden auch wirklich niet- und nagelfest formuliert und unterschrieben ist - da können einem schon graue Haare wachsen", klagt denn auch der Projektleiter eines Systemhauses, der seinen Job bereits seit zehn Jahren macht. Deshalb, so sein Rat an die Kollegen, sollte die erste Präsentation gut vorbereitet - sogar "minutiös geplant" - sein. Denn sonst verspreche man leicht im Eifer des Gefechts - und auch um mögliche Angebote des Wettbewerbers zu überbieten - oft mehr, als man eigentlich leisten wollte. "Eine lebhafte, vielleicht sogar begeisterte Präsentation kann den Kunden zwar mitreißen - aber leider lassen sich viele Präsentatoren dabei auch von ihrem eigenen Schwung hinreißen. Zu Aussagen nämlich, die sie nie machen wollten", lautet seine Erfahrung.

"Deshalb sollte wirklich ein Mitarbeiter dabei sein, der praktisch im Protokoll festhält, was mündlich noch zusätzlich vereinbart wurde", schlägt ein Unternehmensberater vor.

Ein paar Tips von IT-Händlern und Unternehmensberatern können helfen, daß die Präsentationsphase nicht zu teuer für Ihr Unternehmen wird:

Achten Sie darauf, daß bei der ersten Präsentation alle Entscheider des Kunden auch anwesend sind!

- Legen Sie während der Gespräche ein Pflichtenheft für sich an oder fordern Sie eines vom Kunden.

- Verlangen Sie bei Vertragsabschluß ein Lastenheft: Eindeutig formulierte Details zu Funktionen/Leistungen oder technische Werte der geplanten Lösung.

- Definieren Sie schriftlich Meilensteine und Abbruchkriterien. Bei der Frage, ob detaillierte Angebote oder Präsentationen beim Kunden noch vor Vertragsabschluß in Rechnung zu stellen seien oder nicht, scheiden sich die Geister. Nach dem Motto "Zeit ist Geld" hat die NAA, InfoKOM errechnet, daß die Tagessätze pro Mitarbeiter im IT-Handel ruhig mit durchschnittlich 1.500 Mark angesetzt werden können (siehe Grafik). "Einige Systemhäuser versuchen, solche kostenpflichtigen Angebote bei ihren Kunden durchzusetzen", so die Erfahrung von NAA-Chef Bittner. Andere allerdings sind der Meinung, daß das in Anbetracht der brisanten Wettbewerbssituation keinesfalls angebracht sei.

"Einigkeit wird in diesem Punkt von unseren Seminarteilnehmern nicht erzielt", schließt Bittner seine Erfahrungen ab. Deshalb an dieser Stelle einige Beispiele, wie verschiedene Systemhäuser das Problem für sich gelöst haben:

- "Wir bieten ein Standardangebot kostenlos an - schlagen aber ein detailliertes vor, das wir in Rechnung stellen."

- "Wir haben hier ein kostenloses Angebot, das wir dem Kunden in jedem Fall schicken. Er kann auch ein detailliertes, vor Ort recherchiertes Angebot bekommen - das wir nur berechnen, wenn wir den Auftrag auch erhalten."

- "Bei uns ist grundsätzlich die erste Präsentation beim Kunden kostenfrei; wenn es zum Vertrag kommt, berechnen wir natürlich alle folgenden Präsentationen und Firmenbesuche." (du)

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