BKA-Razzia: neben Software-Distis sind auch Händler im Visier der Fahnder

20.11.2003
Vergangene Woche rückten Hundertschaften der Polizei aus, um in einer groß angelegten Razzia quer durch Deutschland einen Schlag gegen die Verbreitung illegaler Softwarelizenzen zu landen. Auch IT-Fachhändler können schnell den Kopf in der Schlinge haben, falls sie wissentlich mit dieser Ware handeln. Denn hier schützt Unwissenheit vor Strafe nicht. Von ComputerPartner-Redakteurin Beate Wöhe

Durch Piraterie entsteht der deutschen Softwareindustrie jährlich ein Umsatzausfall in Höhe von 962 Millionen Euro. Damit nimmt Deutschland nach einer vom Industrieverband Business Software Alliance (BSA) in Auftrag gegebenen Studie mit einer Raubkopie-Rate von 32 Prozent den Spitzenplatz in Europa und Platz vier im weltweiten Vergleich ein.

Aufgrund einer Strafanzeige des Softwaregiganten Microsoft hat die Staatsanwaltschaft Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem Bundeskriminalamt und der Polizei vergangene Woche eine Razzia in verschiedenen Bundesländern durchgeführt (siehe Kasten). Durchsucht wurden nicht nur Großhändler, sondern auch IT-Fachhändler standen im Visier der Ermittler. Seitdem grassieren Spekulationen über involvierte Firmen und Personen in der Branche.

Die großen Distributoren sehen sich in dieser Hinsicht außen vor. Softwaregigant Microsoft schicke in regelmäßigen Abständen einen Untersuchungstrupp, der die auf Lager liegenden Lizenzen auf ihre Echtheit überprüfe. Dass Microsoft diese Untersuchung nicht bei jedem Distributor macht, der die Produkte vertreibt, zeigt ein Beispiel: Der Abteilungsleiter eines Broadliners machte sich die Arbeit und rief bei einem Distributor an, der mit allzu günstigen Softwareangeboten Werbung machte. "Ich habe Quellen, da haben Sie als offizieller Disti gar keine Chance", bekam der Manager als Antwort auf die Frage nach der Preisgestaltung.

Dass eventuell manipulierte Lizenzen nicht nur an der Preisgestaltung erkennbar sind, zeigt ein weiteres Praxisbeispiel. Die Tobit Software AG hatte im März dieses Jahres Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Vorausgegangen waren dieser Anzeige Lieferungen des Softwaregroßhändlers Soft4you. "Produkte wurden anders gelabelt als normal. Das heißt, Reseller-Versionen wurden als Vollversion verkauft", erzählt Dieter van Acken, Unternehmenssprecher der Tobit AG. Seit Montag vergangener Woche ist die Soft4you Deutschland GmbH telefonisch nicht mehr zu erreichen, und seit 17. November läuft das Band: "Bis 1.12.2003 ist die Soft4you Deutschland GmbH nicht zu erreichen. Unsere gesamte elektronische Datenverarbeitung ist nicht mehr vorhanden. Wir bitten um Ihr Verständnis".

Ein Distributor, der im Zuge der Großrazzia durchleuchtet wurde, ist die Software Solution Distribution SSD GmbH in Rothenbach. Die ComputerPartner-Redaktion erhielt auf Anfrage folgende Stellungnahme des Geschäftsführers Marcus Suhrborg: "Es ist richtig, dass das BKA in unseren Räumen Untersuchungen zum Zweck der Auffindung manipulierter Softwarelizenzen durchgeführt hat. Es wurden bei einem Warenbestand von zirka 1,7 Millionen Euro drei alte französische Office-2000-Updates mitgenommen. Ob bei diesen drei Versionen etwas nicht stimmt, wissen wir nicht. Der Rest der Lagerware wurde nicht beanstandet." Weitere Erklärungen könne Suhrborg aufgrund der noch laufenden Verhandlungen nicht abgeben. Nicht nur die Verhandlungen, sondern auch die Identifikation des im Zuge der Razzien sichergestellten Materials werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Involviert ist hierbei auch der Produkt-Identifikationsdienst von Microsoft, der die Behörden bei der Arbeit unterstützen wird. Microsoft hatte Strafanzeige gestellt. "Wenn Microsoft Strafanzeige stellt, liegen schon Verdachtsmomente vor. Es waren nicht nur Einzelhändler, sondern ein komplexer Ring", bestätigte Birgit Kupiek, bei Microsoft zuständig für den Bereich Copyright und Lizenzen, gegenüber ComputerPartner. Fachhändler können sich unter www.microsoft.com/germany/produktmerkmale Informationen zur Echtheit von Microsoft-Produkten informieren.

Dass es sich nicht nur um einzelne Täter handeln kann, bekräftigen auch die Unternehmens- und Personennamen, die in diesem Zusammenhang die Runde machen. Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek von der Staatsanwaltschaft Bochum kann diese jedoch derzeit weder bestätigen noch dementieren.

Eine der Spuren führt zu Ralph B., einem ehemaligen Geschäfts-führer eines in Insolvenz gegangenen Softwaredistributors. Von ihm aus geht die Spur weiter nach Luxemburg, wo er seit Anfang dieses Jahres Geschäftsführer eines Unternehmens ist - Geschäftszweck unter anderem: Import, Export und Großhandel von Hard- und Software. Ralph B. soll Brancheninsidern zufolge die "graue Eminenz" des Fälscherrings gewesen sein.

Meinung der Redakteurin

Die Razzia des BKA ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen Softwarepiraterie. Jeder Fachhändler sollte jedoch in der Lage sein, eine Originallizenz von einer Fälschung zu unterscheiden, denn sonst könnte es teuer für ihn werden. Während Privatpersonen bei Einreichung einer gefälschten Microsoft-Einzellizenz vom Hersteller ein Originalprodukt ersetzt bekommen, besteht diese Möglichkeit für den Fachhandel nicht.

Die Vorgeschichte

In mehreren Bundesländern haben die Behörden am 10. November zu einem Schlag gegen Softwarepiraterie ausgeholt. Im baden-württembergischen Wilhelmsdorf wurde am 10. November ein Privathaus nach Raubkopien von Computersoftware durchsucht.

Bei der Razzia sind nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) acht Verdächtige festgenommen worden. Gegen fünf von ihnen bestanden bereits Haftbefehle wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug und Verstoßes gegen das Urheberrecht, teilte das BKA in Wiesbaden mit. Schwerpunkt der Razzia war laut BKA Nordrhein-Westfalen, insgesamt seien 30 Objekte durchsucht worden.

Umfangreiches Beweismaterial sei sichergestellt worden. Nach Polizeiangaben waren an dem Einsatz rund 200 Polizisten beteiligt. Durchsuchungen gab es in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Hamburg, Hessen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg, teilte ein Sprecher mit. Federführende Ermittlungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft Bochum, dazu kommen noch mehrere Ermittlungsverfahren bei anderen Staatsanwaltschaften. (cm)

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