Praktiker halten Regelung für praxisfern

"Blauer Engel" für Rechenzentren in der Kritik

Peter Marwan lotet kontinuierlich aus, welche Chancen neue Technologien in den Bereichen IT-Security, Cloud, Netzwerk und Rechenzentren dem ITK-Channel bieten. Themen rund um Einhaltung von Richtlinien und Gesetzen bei der Nutzung der neuen Angebote durch Reseller oder Kunden greift er ebenfalls gerne auf. Da durch die Entwicklung der vergangenen Jahre lukrative Nischen für europäische Anbieter entstanden sind, die im IT-Channel noch wenig bekannt sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk.
Die vom eco-Verband gegründete „Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen“ kritisiert an den vom Umweltbundesamt geplanten Richtlinien zum „Blauen Engel für Rechenzentren“ insbesondere die Pflicht zur Abwärmenutzung und zum Bezug von Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen.
Das NTT-Rechenzentrum "Berlin 2"speist einen erheblichen Teil der entstehenden Abwrme wird in ein Wärmenetz ein - profitiert dabei aber auch von günstigen Standrtbedingungen und der Zusammenarbeit mit lokalen Abnehmern und Wärmenetzbetreibern.
Das NTT-Rechenzentrum "Berlin 2"speist einen erheblichen Teil der entstehenden Abwrme wird in ein Wärmenetz ein - profitiert dabei aber auch von günstigen Standrtbedingungen und der Zusammenarbeit mit lokalen Abnehmern und Wärmenetzbetreibern.
Foto: NTT/Fred Ferschke

Die vom eco Verband initiierte "Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen" kritisiert die vom Umweltbundesamt (UBA) vorgesehenen Neuerungen an den Richtlinien für den "Blauen Engel für Rechenzentren". Dr. Béla Waldhauser, Sprecher der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland, sagt dazu: "Der Blaue Engel muss handhabbar und praktikabel für Rechenzentren werden. Bei der Überarbeitung des Umweltzeichens hat das UBA die Gelegenheit verstreichen lassen, den sehr starren Anforderungskatalog flexibler auszugestalten und die Praktikabilität des Blauen Engels zu stärken."

Konkret stört sich die Initiative und der dahinterstehende Verband, dem zahlreiche Rechenzentrumsbetreiber angehören, daran, dass die Abwärmenutzung und die vollständige Nutzung erneuerbarer Energien Teil der Vergabekriterien werden sollen. Beides sei zwar sinnvoll, aber in der Praxis selbst bei bestem Willen nicht immer umsetzbar.

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung wurde vereinbart, eine stärkere Ausrichtung von Rechenzentren auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu fordern. Zum Beispiel sollen mit der Abwärme öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Bürogebäude beheizt werden. Ziel ist es, dass ab 2027 alle neuen Rechenzentren klimaneutral betrieben werden. Die Neuformulierung der Richtlinien für den "Blauen Engel für Rechenzentren" geht darauf zurück. Die Betreiber der Rechenzentren unterstützen zwar grundsätzlich die Ziele, halten aber die geplanten Regelungen zu deren Erreichung für praxisfern.

"Rechenzentrenbetreiber haben ein Eigeninteresse, die Effizienz ihrer Rechenzenten so gut wie möglich zu steigern" erklärt Waldhauser. Dieses Eigeninteresse ist schon alleine dadurch begründet, dass Stromkosten einen wesentlichen Anteil an den Betriebskosten haben und sich der Stromverbrauch im Rechenzentrum auch auf den für die Kühlung des Rechenzentrums und der darin befindlichen Geräte erforderliche Energie auswirkt. Bei international agierenden Konzernen werden deshalb Skandinavien und Island als Standort für Rechenzentren immer beliebter. Dort hilft das kühlere Klima Energie zu sparen.

Auch Abwärmenutzung ist kein ganz exotisches Thema mehr. Während vor einigen Jahren Abwärme aus Rechenzentren in Pionierprojekten lediglich für die Beheizung eigener Büroräume genutzt wurde, experimentierten Rechenzentrumsbetreiber schon seit über zehn Jahren damit, die Abwärme auch an umliegende Wohnhäuser weiterzugeben. Inzwischen gibt es i

Die Betreiber wehren sich jedoch dagegen, Abwärmenutzung zu einem Vergabekriterium für den Blauen Engel zu machen. "Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll, die Bereitschaft der Betreiber zur Abgabe von Abwärme im Rahmen des Blauen Engels abzubilden. Doch besteht eine der größten Herausforderungen weiterhin darin, Abnehmer für die Abwärme zu finden. Da die notwendige kommunale Wärmenetzinfrastruktur nicht entwickelt ist, finden die Betreiber bislang nur wenige Abnehmer", teilt die "Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen" mit. Zudem sei die Möglichkeit der Abwärmenutzung grundsätzlich standortabhängig und nicht überall möglich. Es sei deshalb Aufgabe der Politik, einen Markt für Abwärme-Abnehmer sowie ausreichend Ressourcen für Grünstrom aus erneuerbaren Energien zu schaffen, damit diese Potenziale auch genutzt werden können.

Auch die Pflicht zur ausschließlichen Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen sieht Waldhauser kritisch. "Das ist unterstützenswert, aber an diesem Punkt sind wir schlichtweg noch nicht, weil die Politik die Energiewende um mehr als zehn Jahre verschlafen hat. Auch die Eigenstromnutzung kann damit nur ein Baustein zur Versorgung sein, wird allerdings nicht ausreichen, um den gesamten Strombedarf von Rechenzentren abzudecken."

Blauem Engel fehlt internationale Anerkennung

Darüber hinaus stellt sich insbesondere für international tätige Anbieter die Frage, ob sich der Aufwand für den Blauen Engel überhaupt lohnt. Im Ausland sei der nämlich entweder weitgehend unbekannt der zumindest irrelevant. "Europäische Selbstregulierungsinitiativen wie etwa den Climate Neutral Data Centre Pact halte ich für sehr viel sinnvoller", erklärt Waldhauser. "Die meisten in Deutschland ansässigen Rechenzentren agieren im europäischen und internationalen Wettbewerb, sodass national ausgelobte Umweltzeichen nur wenig Relevanz und Anerkennung bei internationalen Kunden finden."

Als Hauptproblem sieht Waldhauser aber ohnehin die "willkürlich gesetzten Grenzwerte, die zu einer mangelnden Markt- und Branchenakzeptanz führen. Ich erwarte nicht, dass sich die Anzahl der Blauen Engel Umweltkennzeichennehmern in der Branche nach den Richtlinien-Anpassungen signifikant erhöhen wird. Die Anforderungskriterien zum Blauen Engel müssen sich deutlich stärker an europäischen Normen, Branchenstandards und Vereinbarungen orientieren."

Auch Energieeffizienzgesetz als unrealistisch kritisiert

Bereits im Herbst 2022 hatte die "Allianz digitale Infrastrukturen" den damals vorgelegten Entwurf zum Energieeffizienzgesetz wegen der aus ihrer Sicht "unrealistischen Verpflichtungen für Rechenzentrenbetreiber" kritisiert. eco-Geschäftsführer Alexander Rabe sagte damals: "Es mangelt nicht an der Bereitschaft von Rechenzentrenbetreibern, Abwärme abzugeben, sondern an fehlenden politischen Rahmenbedingungen, einen Markt der Abnehmer zu etablieren: In einem ersten Schritt müssten daher beispielsweise städtische Energieversorgungsunternehmen zu einer Abnahme verpflichtet werden. Auch braucht es einen deutlich verbesserten Zugang zu den Wärmenetzen und Einspeisemöglichkeiten. Was soll es bringen, wenn Rechenzentrenbetreiber ihre Datacenter kostenintensiv perfekt auf Abwärmegewinnung umrüsten, und dann niemand da ist, um die gewonnene Abwärme auch abzunehmen und dem Markt zur Verfügung zu stellen?"

Rabe wies zudem darauf hin, dass geplante Vorgaben, dass Rechenzentren 30 bis 40 Prozent ihrer Abwärme abgeben müssen, sowohl technisch nicht umsetzbar, als auch betriebswirtschaftlich kaum sinnvoll seien. "Insbesondere, wenn eine kurzfristige Umrüstung im laufenden Betrieb erforderlich ist oder womöglich noch bauliche Maßnahmen mit großem bürokratischem Aufwand ergriffen werden müssen ist auch die Zeitschiene zur Erreichung der Vorgaben nicht realistisch", klagte Rabe.

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