Burnin’ down the Musikindustrie

31.08.2000

Ich verstehe die Aufregung nicht. Ein junger Kerl hat ein kleines Programm gebastelt, mit dem die Menschen untereinander Musikstücke tauschen können. Ganz legal. Denn wie in den USA ist es auch in Deutschland erlaubt, mit Freunden nichtkommerziell Musikstücke zu tauschen. Die Gema hat das hierzulande festgelegt, sammelt dafür Geld über diverse Quellen und leitet es dann an die Not leidenden Musiker weiter. Nicht bedacht hat man, dass dank Internet der Freundeskreis ganz schön groß sein kann.

Früher musste ich wegen jedem albernen Song in den CD-Laden am anderen Ende der Stadt jagen. Ich durfte mich von einer völlig genervten Verkäuferin belehren lassen, dass "Rage Hard" nicht von Tony Marschall, sondern von Frankie ist. Den Track kann ich nicht einzeln bekommen, sondern nur auf einer Doppel-CD, die man für geradezu lächerliche 48,50 Mark erstehen kann. Ganz selbstverständlich höre ich dann: "Die haben wir nicht da, die müssen wir bestellen." Ich bin doch nicht blöd.

Jetzt muss ich nie wieder in diesen Laden am Ende der Stadt. Dank Napster, Gnutella und Mojonation hole ich mir das jetzt alles direkt nach Hause. Das nennt man dann wohl E-Commerce ohne Commerce. Also "E"?

Ich bin nicht mittellos. Mein Haus ist bezahlt, und ich verdiene mehr als die statistischen 4.345 Mark brutto im Monat. Ich mag Napster trotzdem. Nicht, weil da alles nichts kostet, sondern weil ich das bekomme, was ich will. Ohne großen Aufwand. Ich spare mir den Spruch "Haben sie zufällig 50 Pfennig klein?" an der Kasse.

Alles ist gut! Nur mein mulmiges Gefühl werde ich nicht los. Denn wenn die Downloads doch nichts kosten, wie soll Tom "Der Tiger" Jones seinen Frisör bezahlen? Oder Cher ihre Schönheitsoperationen und Michael Jackson sein Sauerstoffzelt? Was macht mein Freund vom Plattenladen demnächst mit so viel Freizeit? Was geschieht mit den armen Leuten aus der Musikbranche? Melden die sich alle arbeitslos? Ist das Arbeitsamt eigentlich schon an der Börse? Kann ich der Gema eigentlich auch Geld spenden?

"Wer hat denn angefangen?", frage ich wie immer unschuldig. Schon seit ich denken kann, hat die Musikindustrie den Takt bestimmt. Während man sich an den schwarzen Schallplatten nur dumm verdient hat, verdient man sich an den CDs dumm und dämlich. Industry makes, customer takes. So sind die Regeln. Die Kunden haben das zu kaufen, was die Industrie anbietet und damit Basta.

Aber jetzt wird alles anders. Die Gesellschaft ist stärker als die Indust-rie. Der virtuelle Freundeskreis ist dank Internet nun erstmals größer, als der größte Konzern der Welt Mitarbeiter zählt.

"Wir sind das Volk", klingt mir in den Ohren. Und das Volk lernt gerade den vernünftigen Umgang mit dem Internet, wie damals die Steinzeitmenschen den mit dem Feuer.

Überhaupt gibt es eine Menge Parallelen: Die Ausbreitung ist atemberaubend schnell. Beides ist wirklich nützlich. Und wie das Feuer ist auch das Internet eine unglaublich gefährliche Sache. Volkswirtschaftlich und kulturell. Ich beende das Thema, denn ich bekomme es mit der Angst zu tun: Steht das rote "A" mit dem Kreis drumherum nun für Anarchie oder für Arbeitsamt?

Am Anfang war bekanntlich das Feuer. Und das gibt es jetzt in einer vollkommen neuen Version.

Tobias Groten ist Vorstandsvorsitzender der Tobit Software AG in Ahaus.

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