Call-Center: Überlegungen zu Zielen, Aufgaben und Merkmalen

19.07.1996
MÜNCHEN: Warum Call-Center als Mittel zur Kundengewinnung und -bindung wichtig sind, und was man über Call-Center als Einsteiger wissen sollte, darüber informieren in einem gemeinsamen Beitrag Heike Klocke von b.a.s in München und Christoph von Reichenbach, Geschäftsführer von SalesConcept, Teleservices & Database-Marketing GmbH in München und Kelkheim/Frankfurt.Marktsituation

MÜNCHEN: Warum Call-Center als Mittel zur Kundengewinnung und -bindung wichtig sind, und was man über Call-Center als Einsteiger wissen sollte, darüber informieren in einem gemeinsamen Beitrag Heike Klocke von b.a.s in München und Christoph von Reichenbach, Geschäftsführer von SalesConcept, Teleservices & Database-Marketing GmbH in München und Kelkheim/Frankfurt.Marktsituation

Die Verkäufermärkte haben sich heute fast komplett zu Käufermärkten entwickelt. Das gilt in zunehmenden Maße auch im Business-to-Business-Bereich (B-to-B). Nicht mehr nur die Finanz- und Fachentscheider in den Unternehmen benötigen Informationen und erwarten individuelle Betreuung, sondern auch die Endanwender von angebotenen und verkauften Produkten, Anwendungen oder Dienstleistungen. Diese Endanwender beeinflußen bereits verstärkt im Vorfeld Kaufentscheidungen in Unternehmen. Sie können Anschlußaufträge generieren oder kippen.

Heute sind Produktqualität, schnelle Lieferung und benutzerfreundliche Anwendung schon fast selbstverständlich und nicht alleine mehr Entscheidungskriterium. Das gilt im B-to-B (Investitionsgüter, Handel etc.) genauso wie im Business-to-Consumer (Verbrauchermärkte). Den Anbietern darf es nicht nur darum gehen, Umsätze zu steigern oder zu halten, sondern es geht vielmehr darum, in Zukunft überlebensfähig zu sein. Zielgerichtete Information, guter Service und individuelle Betreuung schaffen eine emotionale und langfristige Kundenbindung, das heißt Wettbewerbsvorteile und somit Marktanteile.

Erwartungshaltung der Verbraucher

Der heutige Verbraucher und Endanwender zeichnet sich aus durch einen großen Informationsbedarf mit hoher individueller Ausrichtung. Das gilt für Entscheidungshilfen vor dem Kauf genauso wie für Zusatzinformationen, Hilfe und Beratung danach. Hat sich der heutige Verbraucher für einen Kauf entschieden, so erwartet er die schnellste und einfachste Art der Bestellung und eine Lieferung innerhalb weniger Tage.

Bei Reklamationen setzt der Kunde eine professionelle und zügige Bearbeitung seiner Beschwerde voraus - ohne die allgemein bekannten Hürden durch Weitervermittlung von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter.

Anforderungen an den Anbieter/Dienstleister:

Aufgrund oben genannter Anforderungen gilt es, effiziente Pre- und After-Sales-Services zu planen und zu realisieren. Das Ziel: Information, Bestellannahme und Beschwerdemanagement anzubieten und zwar

- schnell,

- flexibel und

- kompetent

Einsatz moderner Mittel und Techniken

Dazu ist es sinnvoll und nötig, sich verfügbarer Kommunikationsmittel wie Telefon, Fax, Audiotex und E-Mail unter Zuhilfenahme entsprechender technischer Lösungen und der dazugehörigen Organisation zu bedienen. Das Ziel hier:

- Zentral,

- transparent und

- effizient zu arbeiten.

Strategie:

Die Strategie wird in der Regel für alle Unternehmen etwa gleich lauten: Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch Optimierung der Marktkommunikation zur Kundengewinnung und -bindung.

Maßnahmen:

Die daraus abzuleitenden Maßnahmen sind folgende: Die Erhöhung des Servicegrads durch erweiterte Verfügbarkeit und Schaffung kompetenter Schnittstellen zwischen Markt und internen Unternehmensorganisationen.

Die Verbesserung der Kommunikation durch schnelle und zielgerichtete Informationsverteilung unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel.

Aufgabenstellung:

Die Aufgabenstellungen für Call-Center und die daraus abgeleiteten Funktionen können sehr unterschiedlich sein. Neben kompetenter Informationsverteilung im Pre- und After-Sales-Bereich und einer flankierenden, qualifizierten Beratung sind folgende Punkte beispielhaft aufgeführt:

- Interessenten/Kundenqualifizierung,

- effiziente Vertriebsunterstützung,

- Up- und Cross-Selling,

- Auftragsannahme und

- kundenfreundliches Beschwerdemanagement

Die Liste ist beliebig erweiterbar, abhängig von der jeweiligen Unternehmensstruktur und den entsprechenden Anforderungen. Die notwendigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen für den Betrieb sind jedoch fast immer gleich.

Technische und organisatorische Voraussetzungen:

Ein Call-Center baut sich in der Regel aus den anschließend erläuterten Basiselementen auf.

- Telekommunikations-Technik

- DV-Systeme

- Arbeitsplatz/Umfeld

- Personal

- Organisation

* Telekommunikations-Technik

Ein richtig ausgestattetes und gut funktionierendes Call-Center setzt auf folgenden Basis-Komponenten auf:

- Eine ACD-fähige TK-Anlage, wobei die ACD (Automatic Call Distribution) wachstumsorientiert und aufwärtskompatibel ausgelegt sein sollte.

- Die Leitungskapazitäten müssen dem zu erwartenden ein- und ausgehenden Anrufaufkommen angepaßt sein.

- Eine Überlaufkonfiguration in Form von Voicemail-Boxen zur Überlastabdeckung.

Für erweiterte Aufgabenstellungen gibt es neben den genannten Basis-elementen Zusatzkomponenten wie intelligente Anrufverteilung, Audiotex-Anwendungen, Faxabrufdienste und Power-Dialer für aktives Telefon-Marketing.

* DV-Systeme und Datenbanken

Ohne DV-gestützte Informationsver- und -bearbeitung ist eine effiziente Call-Center-Organisation nicht mehr realisierbar. Das gilt genauso für die Erhebung von Marketing- und Vertriebsdaten für Reports und Analysen als Basis für strategische Entscheidungen.

Eine ACD alleine ist lediglich in der Lage, beispielsweise Echtzeitdaten über Auslastung, Überlauf von eingehenden Anrufen, Leistung der Mitarbeiter zu liefern. Im Gegensatz dazu ist ein DV-System mit entsprechender Datenbank in der Lage, kundenbezogene Primärdaten wie unternehmens- und personenbezogene Daten sowie Sekundärdaten- bzw. Transaktionsdaten bereitzustellen. Das heißt zum Beispiel: Anzahl und Art der verteilten Werbemittel pro Unternehmen und Zielperson, deren Reaktions-, Kauf- und Reklamationsverhalten sowie die Häufigkeit und im weiteren Kundendienstdaten wie Vertragsarten, Art und Häufigkeit von auftretenden Fehlern.

All diese Daten sind, auf einem Arbeitsplatz-Bildschirm bereitgestellt, ein hervorragendes Werkzeug für schnelle und kompetente Betreuung von Kunden und Interessenten.

Gleichzeitig bietet eine Datenbank mit direkter Online-Eingabemöglichkeit ohne Zeitverzug Daten über Marktverhalten und Trends. Die Datenbank steuert die DV-gestützten Faxsysteme für den automatisierten, elektronischen Fax-Versand, die Annahme und Verteilung von Faxen sowie die Faxabrufdienste. Zudem sollte die DV zur Bereitstellung eines E-Mail-Systems zur effizienten Kommunikation zwischen Call-Center und verschiedensten Abteilungen wie zum Beispiel Marketing, Vertrieb, Auftragssachbearbeitung und in zunehmendem Maße im schriftlichen Kundenkontakt genutzt werden.

Das Datenbanksystem stellt Analysen und Reports für Marketing und Vertrieb und optimiert und steuert Vertriebsprozesse.

Aufbau eines Call-Centers

Möglichkeiten Standard Hard- und Software-Lösungen einzusetzen sollten wo immer wahrgenommen werden. Eigene Entwicklungen sind zu teuer, nicht kompatibel mit marktüblichen Systemen und bei der Fertigstellung bereits veraltet. Dazu kommt noch der hohe, kostenintensive Pflegeaufwand!

* Arbeitsplatzgestaltung/Umfeld

Telefon-Marketing - egal ob passiv oder aktiv - ist kein leichter Job. Daher sollten folgende Gesichtspunkte bei der Arbeitsplatzgestaltung berücksichtigt werden:

- Ergonomischer Bildschirmarbeitsplatz,

- richtige Tischhöhen und Oberflächen,

- ergonomische Stühle,

- Telefone mit Sprechgarnituren für optimale Bewegungsfreiheit, speziell im Umgang mit DV-gestützten Arbeitsplätzen,

- blendfreie Beleuchtung,

- Trennwände und

- Schalldämmung.

Neben der Arbeitsplatzgestaltung spielt auch das Umfeld im Call-Center eine wichtige Rolle bei der Motivation der Mitarbeiter. Neben einer guten Belüftung (Klima) und einer ausreichenden Luftfeuchtigkeit trägt ein Pausenraum mit Informationstafeln und übersichtlichen Zeitplänen zum Wohlbefinden der Mitarbeiter bei.

* Das Personal

Der heutige Anspruch an Service und Kommunikation erlaubt es nicht, "Irgendjemanden" als Leiter oder Mitarbeiter eines Call-Centers einzusetzen! Er oder sie sollte neben Organisationstalent und Führungsqualitäten ein Grundverständnis der gesamten Unternehmensabläufe haben. Der Leiter des Call-Centers ist die Schnittstelle zum Unternehmen und zum Markt.

Die Mitarbeiter des Call-Centers sollten vor allen Dingen Spaß am Telefonieren haben. Daneben sind Kontaktfreudigkeit, Sprachgewandtheit und Belastbarkeit wichtige Anforderungskriterien. Der Mitarbeiter ist serviceorientiert auszubilden, denn ein Kunde merkt sofort, wenn er lästig oder unwillkommen ist.

Für die Arbeitszeiten haben sich Schichten von vier bis maximal fünf Stunden bewährt. Innerhalb dieser Zeit ist es ratsam, kleine Pausen einzulegen, denn gutes Telefonieren braucht Konzentration und kostet Kraft.

Der System- beziehungsweise DV-Verantwortliche sollte über ein Grundwissen in Marketing und Vertrieb und über detailliertes Wissen im Bereich Datenschutz verfügen.

* Die Organisation

Die organisatorischen Aufgaben in einem Call-Center sind vielfältig. An oberster Stelle steht jedoch die Einbindung in das gesamte Unternehmen. Ein Call-Center sollte auf alle Fälle dem Marketing unterstellt sein, da dort zirka 90 Prozent aller wichtigen Informationen für das Call-Center und dessen Vorgehensweise generiert werden. Gleichzeitig ist das Call-Center die verlängerte Werkbank des Marketing.

Umgekehrt werden im Call-Center aufgrund seiner zentralen Funktion für das Marketing und den Vertieb wichtige Informationen gewonnen. Dazu gehören ACD- und DV-Statistiken, Kapazitätsplanungen, die Einsatzeffizienz technischer und personeller Ressourcen sowie die generelle Informationsbeschaffung und -weitergabe.

Fazit

Wer heute den Anforderungen des Marktes beziehungsweise seiner Kunden gerecht werden will, muß diese nicht nur verstanden haben, sondern auch Mittel und Wege kennen, diese Anforderungen so effizient und kostengünstig wie möglich zu befriedigen. Eine hervorragende Lösung bietet hierzu das Call-Center.

Somit stellt sich für viele Unternehmen nicht mehr die Frage "Call-Center: ja oder nein", sondern wie schnell soll es realisiert werden, und was macht mehr Sinn: die Inhouse-Lösung oder die Lösung durch einen Dienstleister (Outsourcing).

Die Strukturen von Call-Centern sind sehr umfangreich (Siehe Bild 2). Der Aufbau und der Betrieb sind aufgrund der technischen und organisatorischen Komplexität eine anspruchsvolle Aufgabe. Eine Aufgabe, die neben menschlichen und technischen Ressourcen auch erheblicher Anlaufinvestitionen bedarf.

Daher ist eine Entscheidung für eine eigene (Inhouse) oder externe (Outsourcing) Lösung nicht nur Bestandteil der operativen Unternehmenspolitik, sondern eine Entscheidung für eine übergreifende Unternehmensstrategie zur Kundengewinnung und Kundenbindung.

(Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in "Direkt Marketing 1-2/96".)

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