Cancom schwimmt sich mit Tendi aus der Apple-Abhängigkeit frei

25.05.2001
Mit der Tendi AG will sich die Cancom-Gruppe ein zweites Standbein im PC-Umfeld schaffen. Den nötigen Schub verspricht man sich von der Vendit AG: Sie wurde erst im April übernommen und soll jetzt in das junge Tochterunternehmen integriert werden.

Bisher galt die Tendi AG in der Branche nur als halbherziger Versuch der Cancom-Gruppe, sich als Electronic-Software-Online-Händler zu etablieren. Nach der Übernahme der Vendit AG ändern sich nun Strategie und Bedeutung der bislang unprofitablen Tochter: "Wir wollen bis 2003 Europas größter und überdurchschnittlich profitabler Software-Vermarkter werden", sagt Stefan Kober, einer der Cancom-Gründer und außerdem Vorstandsvorsitzender der "neuen" Tendi AG im Gespräch mit ComputerPartner.

Als Spezialist für Electronic-Software-Distribution (ESD) war Tendi schon seit Mitte Oktober 2000 aktiv. Trotz der Verwurzelung der "Mutter" im Grafik- und Publishing-Bereich fanden sich auch Office- und Netzwerklösungen, Betriebssysteme und Programmierer-Tools im Portfolio des Online-Händlers, insgesamt 2.000 Produkte von 150 Software-Herstellern. Verdient hat man daran nicht: "Das war eine reine Investitionsphase", gibt Kober zu. Unterstützung kommt jetzt von der Vendit AG, einer Management-Holding, bestehend aus den Software-Handelshäusern Logibyte und Software-Wings. Deren Übernahme wird wohl als erfolgreichster "Schnellschuss" in die Cancom-Annalen eingehen: Auf der Cebit, Ende März, habe man erstmals ernsthaftes Interesse am Kauf der Mehrheitsanteile bekundet, 14 Tage später bereits den Vertrag unterzeichnet, berichtet Kober. "Da entsteht ein immenser Zeitdruck für alle Beteiligten. Es soll ja nichts nach Außen dringen."

Die erhöhte Geschwindigkeit habe sich jedenfalls bewährt: "Jedesmal, wenn wir schnell gekauft und schnell gesagt haben, wo es lang geht, hatten wir den größten Erfolg", glaubt Kober. Weshalb es wohl auch nur weitere 18 Tage gedauert hat, bis alle wesentlichen Entscheidungen vom Tisch waren: Mitte Mai wurden alle Mitarbeiter bei einem Kick-Off in Adelsried über die künftige Strategie und die Zusammensetzung der neuen Führungscrew informiert.

Die wichtigste strategische Entscheidung hat zur Folge, dass Vendit, Logibyte und Software-Wings demnächst Geschichte sind, dafür Kober seinem Ziel einen großen Schritt näher kommt: Durch die geplante Verschmelzung von Vendit und Tendi entsteht schlagartig einer der größten Software-Händler in diesem Markt. Die Handelsmarken Logibyte und Software-Wings bekommen zunächst "A Tendi Company" als Zusatz ins Logo geheftet, werden als eigene Handelsmarken bis Januar 2001 aber endgültig vom Markt verschwunden sein, man wird in Zukunft nur noch als Tendi firmieren. "Die Marktanteile waren noch nicht so groß, dass wir wegen der Namensänderung hätten Nachteile befürchten müssen", so Kober.

Ein produktneutraler Name sei sehr wichtig, betont auch Walter von Szczytnicki. Der Ex-Computer- 2000-Chef hat sich im IT-Umfeld einen Ruf als "harter Brocken" erarbeitet, fungiert derzeit bei Tendi als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates. Er gilt als Berater und väterlicher Freund der jungen Cancom-Gründer. Man werde auf gar keinen Fall eine Mehrmarkenstrategie fahren, sagt der Manager. Natürlich habe es wegen der Namensänderung eine "sehr emotionale" Diskussion mit der neuen Crew gegeben: "Hier spielen die Identität und der Stolz eine wichtige Rolle." Doch Cancom hält jetzt 84 Prozent der Vendit-Anteile und hat damit das Sagen.

Eine ungewohnte Situation für die Logibyte- und Software-Wings-Mitarbeiter und deswegen für die meisten auch ein Segen, wie Stefan Kober durchblicken lässt. Das 50:50-Verhältnis im Management der Holding habe nämlich zur Folge gehabt, dass man sich bei Entscheidungen nur schwer einigen konnte: "Die waren froh, als wir die Mehrheit übernommen haben und endlich mal einer gesagt hat, wo es lang geht." Mit dem Finger auf jemanden zeigen - das wolle er aber nicht, schickt Kober hinterher: "Es war einfach eine Patt-Situation, das waren zwei gleich starke Unternehmen. Würden die Verhältnisse bei uns ähnlich aussehen, könnten wir auch nichts bewegen."

Bei dem Kompetenz-Gerangel war Vendit zudem finanziell die Puste ausgegangen, sagt Kober, was letztendlich zu dem Mehrheitsverkauf führte: "Man wollte an den Neuen Markt, so etwas kostet", weiß der Cancom-Hauptaktionär. Logibyte und Software-Wings würden zwar profitabel arbeiten, doch die IPO-Vorbereitungen hätten die Gewinne "aufgefressen". Im Markt habe man aber sehr erfolgreich agiert, betont Kober, ansonsten wäre es niemals zur Übernahme durch die Cancom-Gruppe gekommen: "Wir lassen von sanierungsbedürftigen Firmen prinzipiell die Finger." Machtkämpfe und finanzielle Probleme soll es unter dem Cancom-Dach künftig nicht mehr geben.

Bei der neuen Ausrichtung wurden die Zuständigkeiten mit Bedacht verteilt. So wird sich die Berliner Logibyte-Niederlassung dem Vertrieb von Software an Großkunden, Bildungseinrichtungen, Behörden und Privatkunden widmen, während sich die Software-Wings-Mitarbeiter in Pfronten um den Vertrieb von Hard- und Software an gewerbliche Mittelstandskunden kümmern. Die Münchner Tendi-Crew bleibt dem ESD-Thema treu. In Sindelfingen sitzt dann noch der Nischendistributor Maily, der ebenfalls zur neuen Tendi gehört, und Hard- und Software für Wiederverkäufer bereit hält. Unternehmenskenner rechnen allerdings damit, dass Maily verkauft werden soll, weil es nicht mehr in das Konzept passt. Das dementiert Kober noch, betont, dass überhaupt kein Mitarbeiter wegen der Übernahme und Neustrukturierung um seinen Arbeitsplatz fürchten muss: "Es ist so schwierig kompetente Leute zu bekommen. Wir haben sie, wollen keinen rausschmeißen, sondern die richtigen Systeme schaffen, um alle einzubinden."

Als Zeichen des guten Willens darf wohl gewertet werden, dass der Großteil der neuen Tendi-Geschäftsführer von Software-Wings und Logibyte kommt. Die seien hochmotiviert und werden in der neuen Firma das Beste geben, weiß von Szczytnicki. Schließlich liegt der Großteil der 16 Prozent, die Cancom nicht bekommen hat, in ihrer Hand. Die Übernahme erfolgte via Aktientausch, somit sind sie jetzt alle Cancom-Aktionäre: "Das ist sicher eine Art Motivation, um sich weiter kräftig reinzuhängen", meint der Manager.

Kanalkonflikte zwischen den einzelnen Niederlassungen werde es nicht geben, weil man an unterschiedliche Kunden adressiert, ebenso käme man den klassischen Cancom-Aktivitäten nicht in die Quere, sagt Kober. Tendis Schwerpunkt liege zu 97 Prozent im PC-Umfeld. Kober: "Man hat uns immer vorgeworfen, wir wären Apple-abhängig. Jetzt werden wir eben Apple- und Microsoft-abhängig."

Der Vorstandsvorsitzende sieht auf das Tochterunternehmen harmonische Zeiten zukommen: "Die Produktportfolios ergänzen sich, wir werden die EDV-Systeme gemeinsam nutzen können." Aufgrund des erhöhten Einkaufvolumens sei außerdem eine bevorzugte Zuteilung knapper Produkte zu erwarten, ebenso wie bessere Einkaufskonditionen bei Produkten und Dienstleistungen. Bisher habe es seitens der Hersteller auch nur positives Feedback gegeben, außerdem "müssen Sie unter den Top-3-Partnern dabei sein, um die volle Aufmerksamkeit des Herstellers zu haben", meint Kober.

Vom baldigen Erfolg ist der Unternehmensgründer überzeugt: Dieses Jahr rechnet man mit einem Umsatz von 200 Millionen Mark, bis 2004 soll er verdoppelt werden (siehe Grafik). Dabei habe man nach gewohnter Manier vorsichtig kalkuliert, wolle die Erwartungen lieber übertreffen, als Rückzieher machen zu müssen. Ein Risiko ist der Vorstoß ins E-Business für die Cancom-Gruppe nicht: "Wir haben das nie so gesehen. Wir haben uns im Apple-Umfeld eine starke Position geschaffen. Einen Marktanteil von 25 Prozent kann man aber nicht mehr so leicht steigern. Außerdem wollten wir uns ein zweites Standbein schaffen." Niemand müsse eine Enttäuschung befürchten, glaubt Kober: "Was uns bei unseren Planungen aber von anderen unterscheidet, ist, dass wir schon immer Gewinn gemacht haben."

www.cancom.de; www.tendi.com

ComputerPartner-Meinung:

Der Markt für ESD gehört noch lange nicht zu den wachstumsstarken Sektoren. Für Cancom stellte sich die Frage, ob man weiter in Tendi investieren will, ohne Aussicht auf ernsthaften Gewinn in naher Zukunft. Mit Vendit bekam man eine Erfolgsgarantie zugespielt: relativ günstig wurden hier zwei bereits etablierte Firmen eingekauft, die ebenso wie der erfolgreiche Nischendistributor Maily Tendis Zukunft und Profitabilität sichern können. (mf)

Cancom AG

Facts & Figures

Die Cancom IT Systeme AG wurde 1992 von den Schulfreunden Klaus Weinmann und Stefan Kober gegründet. Raymond Kober, Bruder des Unternehmensgründers, stieß im November 1993 dazu. Weinmann ist Vorstandsvorsitzender der Cancom AG und leitet die Bereiche Finanzen, Marketing, Vertrieb, M&A und Investor Relations. Raymond Kober fungiert bei Cancom als stellvertretender Vorsitzender. Nach dem Aufbau bei Cancom Austria ist er seit 1995 für die Bereiche Interne IT, Einkauf, Logis-tik und Technik verantwortlich. Stefan Kober ist im Cancom-Vorstand für das internationale Geschäft zuständig und zudem Vorstandsvorsitzender der Tendi AG. Zur Europa-weit tätigen Cancom-Gruppe gehörten (vor der Vendit-Übernahme) die Unternehmen Cancom Sys-temhaus, Tendi AG und Softmail, außerdem hält man Beteiligungen an Novodrom, FF-Ecommerce, Bizzcuss und Anfang Februar wurde das irische Software-Unternehmen Techconsult übernommen. Zu den Referenzkunden der Gruppe gehören Unternehmen wie L’Oreal, BMW, ADAC, Pro 7, der Axel Springer Verlag oder die Oxford University. "Keiner der Kunden macht bei uns mehr als zwei Prozent des Umsatzes aus", sagt Stefan Kober. "Sollte einer wegbrechen, ist das zwar schade, aber nicht lebensbedrohlich für uns." Nach Angaben des Unternehmens stieg der Konzernumsatz der Cancom-Gruppe im ersten Quartal 2001 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 69 Prozent auf 94,8 Millionen Mark und lag so wie das EBIT Ergebnis im Plan. Der Rohertrag kletterte dabei von 11,2 Prozent auf 18,5 Prozent. Nominal steigt er damit um 179 Prozent von 6,3 Millionen auf 17,6 Millionen Mark. Das Konzern-EBIT erreichte wie im Vorjahr 0,8 Millionen Mark. Für das Gesamtjahr 2001 rechnet man mit einem Umsatz von 502 Mio. DM bei einem EBIT von 10,0 Millionen Mark. Laut Kober plant man zudem einen Zuwachs der Business-to-Business-Marktanteile im Apple-Umfeld von derzeit 25 auf 40 Prozent bis 2003. Zwar sei mit weiteren Firmen-Zukäufen zu rechnen, gibt Kober zu, allerdings nicht im Apple-Segment: "Wir wissen, wo die Apple-Händler stehen und den meis-ten geht es nicht sehr gut, es gibt sehr viele, die kränkeln." Man setze man lieber auf Expansion aus dem eigenen Unternehmen heraus. Das Cancom Systemhaus ist im deutschsprachigen Raum derzeit mit 15 Niederlassungen vertreten, weitere Filialen sind laut Kober nicht geplant. (mf)

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