Cebit 2001 - eine Messe ohne Richtung

29.03.2001

Wir glauben gern, viel und, wie wir täglich beweisen, trotz schwerwiegender Zweifel an alles. Unsere Fähigkeit, uns der Wirklichkeit zu stellen, ist gering ausgebildet, aber jene, uns imaginären Welten zu überantworten, gewaltig. Bekanntlich berechtigt sie uns jeden Tag zu den schönsten Hoffnungen. Insofern war und ist es nur konsequent, wenn wir uns seit Jahren einbilden, wir müssten zur Cebit, der weltgrößten ITK-Messe fahren. Immerhin stellen dieses Jahr rund 8.100 Aussteller aus 60 Ländern ich weiß nicht wie viele Produkte aus. Dort treffen wir auf das Szenario einer Wirklichkeit, die nur durch die Menge der Datenströme limitiert wird; dort dürfen wir uns bestätigen, wie sehr die Realität vom Fluß der von uns geschaffenen Bits abhängt, und wenn wir beim Hallenwechsel vom Schneesturm beinahe fort geblasen werden, verdichtet sich der Glaube zur Gewissheit: Die digitale Welt ist der irdischen, einer Mischung aus zu vielen Besuchern - über 750.000 in einer Woche -, Tageskarten für 65 Mark, überdrehtem Standpersonal und lausigem Wetter, allemal vorzuziehen.

Doch warum konnte dieses Jahr die Ausstellung der digitalen Datenströme nicht richtig fesseln? Es hat sich im Gefolge der ökonomischen Hiobsbotschaften des letzten Jahres Skepsis wie Mehltau über die vielen Produkte gelegt, argumentieren die einen. Das mittlerweile permanente Fließen der Bits macht nicht nur Erfolge, sondern auch alle Misserfolge weltweit sofort sichtbar, erklärt ein anderer. Darunter müsse auch die gekonnteste Inszenierung der Telekommunikations-Hersteller, der Anbieter mobiler Dienste, der übrig gebliebenen Dot.- und E-Commerce.coms und aller anderen Aussteller leiden. Bedenke man dazu die umfassende, mitleidlose mediale Gier nach aktuellen Nachrichten, die auf der mittlerweile nicht mehr von Neuigkeiten bestimmten Messe nicht befriedigt werde (welcher Hersteller wartet noch auf die Cebit, um etwas zu zeigen?), dürfe man sich über die "Katerstimmung" nicht wundern.

Das alles mag einleuchten. Doch damit ist der schale Geschmack, der den Verlust der neben dem Fernsehen wichtigsten "Reality"-Spielwiese der letzten zehn Jahre begleitet, noch nicht erklärt. Bekanntlich können wir mühelos beliebig viele neue Welten schaffen, solange uns der diese Welten schaffende Stoff nicht ausgeht. Doch genau der ist auf der größten Provinzmesse der Welt, inmitten bunter Gadgets und gleißender Stände, trotz der handgreiflichen Nähe der weltumspannenden E-Commerce- und @-Welten abhanden gekommen.

Es fehle derzeit an Glauben, um sich mit der prosaischen Wirklichkeit der ITK-Welt befassen zu wollen, philosophiert ein Messebesucher vor leeren Kaffeebechern. Im Moment nehmen wir die Geräte und Software, die uns angeboten werden, zwar in die Hand, aber wir wollen mit ihnen nicht mehr spielen. Damit sie uns wieder Spaß machen, sollten wir sie jetzt zusammen bringen, erwidert sein Gegenüber. Melancholisch sah der Besucher einem vom Tisch kreiselnden Plastikbecher nach. Wohin gehen Sie jetzt?, fragte er dann. Dorthin, wo unterschiedliche Geräte zusammen gebracht werden. Integration nennt man das, antwortete sein Gegenüber. Ich komme mit!

Leider habe ich die beiden im Schneetreiben aus den Augen verloren. Vielleicht wüßte ich dann, wo integriert wird.

Wolfgang Leierseder

wleierseder@computerpartner.de

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