Channel: Zurück zu den Wurzeln

05.08.2004
Die Konsolidierung in den Channel-Vertriebswegen geht weiter. Kurzfristiges Handeln, zu wenig Strategie und mangelnde Glaubwürdigkeit der Hersteller macht der bisherige FSC-Channel-Chef Heinz Brandenberger im Interview mit Volker Richert* dafür verantwortlich.

Der Channel krankt an einer zunehmenden Verrohung der Sitten durch die Herstellervertreter. Dies ist jedenfalls der Eindruck, den diverse Insider unverhohlen äußern. Kurzfristiges Handeln, wenig nachhaltige Strategien und eine sinkende Glaubwürdigkeit der Marktteilnehmer sind laut Heinz Brandenberger die Folge. Der ehemalige Schweizer Channel-Chef von FSC (Fujitsu Siemens Computers), der gerade seinen Sessel geräumt hat, spricht von einer Zuspitzung der Situation in den vergangenen Jahren. Er arbeitet seit 1986 im IT-Handel, unter anderem bei Macrotron und C-2000, und gehört mit zu den besten Kennern des hiesigen Channels.

Computerworld: Was hat sich in den vergangenen Jahren im Channel verändert?

Brandenberger: Vor 10, 15 Jahren vertrat ein Händler einen oder maximal zwei Hersteller, die sich ergänzten. Eine Marke deckte das untere und mittlere Produktsegment ab und eine zweite den Highend-Bereich. Damals vergingen noch von der Produktankündigung bis zur ersten Lieferung sechs bis neun Monate. Beispiel dafür war IBM mit der PS/2-Familie. Die Loyalität der Händler zu ihrer Marke war sehr hoch. Dieses Bild hat sich nachhaltig gewandelt: Heute beschaffen die Händler über diverse Distributoren jedes Produkt und jede Marke, die der Kunde will. Dadurch hat sich das Markenbewusstsein vor allem bei PCs und Notebooks deutlich abgeschwächt. Lediglich im Serverbereich, wo mehr Know-how und Dienstleistungen Bedingung sind, ist noch Loyalität vorhanden. Aktuelle Produktankündigungen schlagen aber auch weniger hohe Wellen als früher, weil inzwischen ein Einsteiger-PC den meisten Anforderungen der Anwender genügt.

Aktuelle Technologiestrategien der Hersteller verdrängen den Channel. Ob sie bei FSC Triole, bei HP Adaptive Enterprise oder bei IBM On-Demand heißen, dahinter stehen immer häufiger Outsourcing- und Mietkonzepte. Die sprechen den Kunden aber direkt an. Hat in dieser Situation der Channel noch eine Zukunft?

Brandenberger: Diese Strategien zielen auf das obere Kundensegment, das schon seit Jahren von den Herstellern direkt angegangen wird. Nur wenige Händler spielen in diesem Segment eine aktive Rolle. Auf der Einsteigerseite hat in den letzten Jahren der Detailhandel den Händler massiv unter Druck gesetzt. Viele KMU kaufen heute im Retail-Markt ein. Im mittleren Segment können die Händler heute nur noch mit zusätzlichen Dienstleistungen wie Installationen, Support, Wartung und Schulung überleben. Der reine Hardwareverkauf spielt ja bekanntlich kaum mehr die Kosten ein. Dieser Prozess ist auch von den Herstellern vorangetrieben worden, insbesondere mit wachsenden Ansprüchen wie Zertifizierungszwang oder Umsatzvorgaben an die Händler. Kleinere und mittlere Wiederverkäufer konnten da schnell nicht mehr mithalten. Als weitere Konsequenz dieser Entwicklung ging die Markentreue verloren. Heute bietet jeder Distributor jedes Produkt an. Aus Herstellersicht verliert der Wiederverkaufskanal weiter an Bedeutung. Diverse große Hersteller verkaufen längst genauso direkt wie Dell. Häufig vermittelt der Hersteller die Hardware und der Händler verkauft dem Kunden, falls benötigt, seine Dienstleistungen dazu.

Welche Stärken muss der Channel-Partner ausspielen?

Brandenberger: Der klassische Channel ist regional orientiert und vom Beziehungsnetz der Wiederverkäufer geprägt. Hier hat der Handel meiner Meinung nach auch seine große Stärke. Gleichzeitig haben viele Reseller ein breites technisches Wissen aufgebaut. Kundennähe und Kundenbeziehung sind immer noch sein wichtigstes Gut und generieren eine kaum zu konkurrenzierende Kundenbindung. Die Gefahr, die ich hier sehe, ist die Verlagerung der Wartung. Vermehrt engagieren sich die Hersteller in diesem Bereich. Dies wird natürlich misstrauisch von den Händlern verfolgt.

Leidet deshalb die Markentreue?

Brandenberger: Ja. Dazu muss man aber die gegenwärtige Situation sehen: 1986 haben Reseller noch mehr als 40 Prozent Marge generiert. Die Distributoren hatten zu dieser Zeit ebenfalls eine Marge von 20 bis 30 Prozent. Bis ins Jahr 2004 hat sich die Situation dramatisch geändert. Heute können Distis und Händler nur noch mit Margen von zwei bis acht Prozent rechnen. Bei solchen Kalkulationsmodellen bleiben Faktoren wie etwa die Markentreue auf der Strecke.

Welche Konsequenzen hat das für den Channel?

Brandenberger: Früher war die Supply Chain klar. Die Ware und die Rechnung gingen vom Her-steller über den Disti zum Händ-ler, und der verkaufte die Ware an den Endkunden. Heute muss jeder Partner in dieser Kette im Einzelfall seinen Nutzen bringen - oder er wird ausgelassen. Damals war ein Projekt ein Geschäft von mindestens mehreren 100.000 Franken. Heute beginnen solche Projekte bereits bereits bei wenigen 10.000 Franken. Deshalb offerieren die Hersteller häufig direkt, um die Supply-Chain-Kosten aus dem Preis zu nehmen und damit günstigere Angebote machen zu können.

Gibt es Alternativen oder Gegentrends?

Brandenberger: Bis jetzt kenne ich nur das Konzept von Actebis. Mit einem Reseller-Netzwerk versucht Harald Niemand, wieder Vertrauen bei seinen Partnern aufzubauen. Im Austausch miteinander will man dort nicht nur Qualität, sondern auch Marketing und technische Schulungen liefern. Das heißt, Actebis und die Hersteller schulen die Partner. Eine sich ergänzende Partnerschaft, die da wieder in den Vordergrund rückt. Ich glaube, dass so das Händlervertrauen massiv gestärkt werden kann. Das ist ein Lichtblick für die Reseller. Wenn ich das analysiere, sind wir wieder am Anfang der Geschichte. Schon vor 15 Jahren war dies das Erfolgsgeheimnis vieler Händler. Back to the roots.

Welche Qualitäten erwarten Sie von den Chefetagen der Hersteller?

Brandenberger: Bekannt ist das Schlagwort "Walk the Talk". Das heißt, man sollte umsetzen, was man den Händlern verspricht. Dann wäre schon viel erreicht. Leider setzt sich der Trend der rein zahlenorientierten Führung auch bei den IT-Herstellern durch. Der Fokus ist kurzfristiger, und langfristige Strategien haben an Bedeutung verloren.

Kennen Sie Beispiele dafür, dass es einmal anders war?

Brandenberger: Es ist eigentlich das Compaq-Modell der 90er-Jahre. Die Partner wurden wirklich unterstützt, dem Label konnten die Händler treu sein, und das Marketing des Herstellers trieb den Absatz voran. Aber, wie gesagt, diese Zeiten sind vorbei. Die Strukturbereinigung im Channel wird noch weitergehen.

Wer bleibt dann noch übrig?

Brandenberger: Ich glaube, dass in der Schweiz nur zwei, drei große Distributoren übrig bleiben, die international arbeiten. Die kleineren Anbieter stärken ihre Position mit dem bereits erwähnten zweiten Standbein Services und Know-how. Eine Fokussierung ist auch hier überlebensnotwendig.

Und wie werden in dieser Lage die Reseller reagieren?

Brandenberger: Das ist eine andere Konsequenz der vergangenen Jahre. Viele Händler mussten sich dieser Situation stellen und haben sich daran angepasst. Sie konzentrieren sich heute auf Dienstleistungen und verkaufen Hardware nicht mehr zu jedem Preis. Inzwischen selektieren die Reseller ja selber. Da müssen sich immer öfter die Hersteller anstrengen, um den Anforderungen der Händler noch gerecht werden zu können.

*Volker Richert ist Redakteur bei der Schweizer Computerworld (www.computerworld.ch).

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