Checkliste für den Ernstfall

26.08.1999

MÜNCHEN: Vergiftete Lebensmittel, lebensgefährlich konstruierte Automobile: Herstellerfehler bei der Fertigung oder dem Design von Produkten haben oft ernsthafte Konsequenzen für die Kunden. Und können den Ruf des Händlers arg ramponieren. Auch in der IT-Branche sorgen rauchende Monitore und explosionsgefährdete Peripheriegeräte für Aufregung. Gar nicht zu reden von bugbestückten Software-Systemen. Über Pflichten der Hersteller - oder der Assemblierer - bei Rücknahmeaktionen informiert der folgende Beitrag.Eben war es noch der Weltkonzern Coca-Cola, der Millionen von Limonadendosen in Frankreich und Belgien aus dem Verkehr zog. Dann ist es beispielsweise der Autohersteller BMW, der wegen fehlerhaft arbeitender Airbags die Fahrzeuge in die Werkstatt beruft. Und auch Mercedes-Benz blieb mit seinem A-Klasse-Fahrzeug nicht verschont, Stichwort "Elchtest"... Die Liste solcher Rückrufaktionen ist lang. Kein Hersteller ist vor solchen Problemen sicher.

Werden die Produkte immer schlechter, die Hersteller immer sensibler oder wird der Verbraucher immer kritischer? Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen. Zum einen genießen spektakuläre Rückrufaktionen in den Medien große Aufmerksamkeit. Zum anderen zwingt die Marktpolitik zu schnellen brandneuen Produkten, was zwangsläufig zu "Kinderkrankheiten" bei den unausgereiften Produkten führt. Hinzu kommen Verbrauchertest und der Druck des Gesetzgebers durch das Produkthaftungsgesetz. Gerade das letztere Instrument zwingt den Hersteller zum Handeln, will er nicht schon aus Untätigkeitsgesichtspunkten zum Schadensersatz verurteilt werden.

Produktrückrufe geschehen aber auch durch Manipulationen von Produkten durch Dritte. Häufig sind dies dann Erpressungsversuche gegenüber Lebensmittelproduzenten.

Gemeinsam ist all diesen Punkten, daß die Leidtragenden die Produktnutzer, nämlich die Verbraucher, sind. Schadensverhütende Maßnahmen müssen daher getroffen werden. Als solche kommen die Produktwarnung und der Produktrückruf in Betracht.

Beide Maßnahmen sind kein Selbstzweck, sondern dienen alleine der Schadensverhütung, wobei das unternehmerische Marktrisiko, Wettbewerbsnachteile, Umsatzrückgang oder gar Rufschädigung hinten anstehen müssen.

Der Produktrückruf ist untrennbar verbunden mit dem Begriff der Produktgefahr und findet seine haftungsrechtliche Grundlage im Produkthaftungsrecht. Hiernach haftet der Warenhersteller im Rahmen seiner Verantwortlichkeit für die Gebrauchssicherheit seines Produkts, nicht aber für dessen Gebrauchstauglichkeit. Diese Haftung ist verschuldensunabhängig. Das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts begründet danach ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Herstellers dessen Haftung, wenn durch das Produkt ein Mensch getötet, verletzt oder eine Sache beschädigt wird.

Sicherungspflichten - auch der Händler

Den Hersteller treffen Sicherungspflichten, und zwar zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten:

- Organisationspflicht: Mit dem Warenproduktionsbeginn ist der Hersteller gehalten, eine möglichst fehlerfreie Konstruktion und Fabrikation nach dem erkennbaren Stand von Sicherheit und Technik zu gewährleisten. Der Betriebsablauf ist so einzurichten, daß Fehler in diesen Kategorien ausgeschaltet oder durch Kontrollen entdeckt werden. Für Ausreißerschäden, das heißt für Fabrikationsschäden, die auf menschliche Unzulänglichkeit zurückzuführen und trotz aller zumutbaren Anforderungen unvermeidbar sind, haftet der Hersteller aber nicht.

- Instruktionspflicht: Mit der Produktherstellung hat der Hersteller für eine ausreichende Information und Instruktion des Warenabnehmers zu sorgen. Diese umfaßt eine ausführliche Gebrauchsanleitung, gegebenenfalls mit Warnhinweisen vor gefähr-lichen Eigenschaften oder bei bestimmungswidriger Verwendung. Diese Verpflichtung trifft nicht nur den Hersteller, sondern auch den Händler, ja sogar den Einzelhändler.

- Produktbeobachtungspflicht: Mit der Warenabgabe endet der Pflichtenkatalog nicht. Dem Hersteller obliegt jetzt eine Beobachtungspflicht für seine Produkte. Diese bezieht auch fremde Produkte mit ein, die in das Produkt eingebaut oder sonst mit verwendet wurden. Der Hersteller muß alle ihm zugänglichen und zumutbaren Informationsquellen nutzen, so etwa die gängige Fachliteratur oder die Produktentwicklungen seiner Mitbewerber. Die Erkenntnisse durch Warentest muß er genauso sorgsam verfolgen und Fehler ausmerzen wie Hinweise der eigenen Mitarbeiter.

Offenbaren sich dem Hersteller Entwicklungsfehler, trifft ihn eine Verpflichtung zur Produktwarnung oder zum Produktrückruf. Unterläßt er diese Vorsichtsmaßnahmen, kann dies, gerade bei gesundheitsgefährdenden Artikeln, auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit haben nämlich einen weitaus höheren Stellenwert als ein unliebsamer und zudem kostenträchtiger Produktrückruf.

Jeder Hersteller muß daher bemüht sein, stets sein Qualitätssicherungsverfahren zu optimieren und dafür Sorge zu tragen, daß nur fehlerfreie Produkte seinen Einflußbereich verlassen. Gerade bei besonders gefährlichen Produkten ist der Hersteller verpflichtet, sich vor Auslieferung nochmals von der Fehlerlosigkeit zu überzeugen.

Der Erfolg einer unausweichlichen Rückrufaktion hängt von der Informationsgeschwindigkeit ab. Läßt sich der Warenabnehmer nicht wie beim Pkw über die Fahrzeugidentitätsnummer und über das Kraftfahrzeugbundesamt ermitteln, bleibt dem Hersteller oft nur der unbequeme Weg über die Medien, will er sich nicht dem Vorwurf einer schuldhaften Rückrufverzögerung aussetzen.

Das betriebliche Risikomanagement muß für solche Fälle funktionieren. Einige Tips zur Absicherung finden Sie in dem untenstehenden Kasten "Checkliste".

Resümee: Da das Damoklesschwert über jeden Hersteller in Form der Produkthaftung schwebt, muß jeder Betrieb für sich einen geeigneten Anforderungskatalog für die zu gewährleistende Produktsicherheit aufstellen und diese selbst gestellten Anforderungen immer wieder kontrollieren. Ein spektakulärer und folgeträchtiger Produktrückruf läßt sich dann weitestgehend vermeiden.

Reinhard Hahn

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