Kosten versus Organisationspolitik und Psychologie

Cloud oder On-Premise - ein unfairer Kostenvergleich?

Jochen Adler hat in verschiedenen Kulturen gearbeitet – vom Start-Up bis zum globalen Großkonzern und als Grenzgänger zwischen streng hierarchischer, bürokratisch geprägter Unternehmensführung und der Generation Y der Digital Natives. Seit 20 Jahren befasst er sich damit, wie sich Kunden- und Konsumentenerwartungen wandeln, wie aus losen Informationen richtungsweisende Erkenntnisse werden, und wie Digitaltechnologie unser Leben verändert.

Sollen die IT-Lösungen aus der Cloud kommen oder als On-Premise-Software eingekauft und betrieben werden? Vor dieser Frage stehen viele IT- und Business-Entscheider. Viele Investitionsentscheidungen leiden jedoch daran, dass die Implikationen nur punktuell betrachtet und die Alternativen unfair verglichen werden.
Cloud oder On-Premise-Software? Ein Kostenvergleich ist nicht immer fair.
Cloud oder On-Premise-Software? Ein Kostenvergleich ist nicht immer fair.
Foto: joker1991 - shutterstock.com

Cloud-Dienst oder On-Premise-Software? Standen in solchen Diskussionen vor einigen Monaten noch Bedenken und Risiken im Zusammenhang mit Datensicherheit und Datenschutz im Mittelpunkt, so dreht sich die Konversation inzwischen meistens um die Chancen der Cloud-IT: Analysen in großen Datenbeständen, selbstlernende Algorithmen, der Umgang mit natürlicher Sprache, die Skalierbarkeit und Flexibilität der Dienste.

Dennoch scheinen wir noch weit davon entfernt zu sein, diese Frage so leidenschaftslos zu diskutieren wie jede andere Investitionsentscheidung auch. Woran liegt das?

Cloud-Services erscheinen relativ teuer

Schauen wir zunächst auf einen rein betriebswirtschaftlichen Vergleich: Wir neigen dazu, fortlaufende Kosten, die eine IT-Organisation verursacht, zu unterschätzen - bewusst oder unbewusst. Kosten für Cloud-Dienste hingegen sind sehr transparent; sie erscheinen deshalb häufig im ersten Moment relativ hoch, also ungünstig.

Eine einfache Beispielrechnung verdeutlicht das: Ein Cloud-Dienst lässt sich für ein Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitenden für 5 Euro pro Nutzer pro Monat beziehen; damit fallen jährliche Nutzungsgebühren in Höhe 600.000 Euro an. Wenn dem gegenüber beim Betrieb On-Premise eine einmalige Investition in Hard- und Software mit 800.000 Euro zu Buche schlägt, zuzüglich jährlicher Software-Lizenzgebühren in Höhe von 100.000 Euro - so ergibt der Vergleich der beiden Alternativen ein eindeutiges Ergebnis wie die Grafik zeigt.

Auf den ersten Blick scheint der Cloud-Service deutlich mehr zu kosten.
Auf den ersten Blick scheint der Cloud-Service deutlich mehr zu kosten.
Foto: Opentext

Die anfängliche Investition scheint sich schnell zu rentieren. Die Verlagerung von Geschäftsprozessen auf einen Cloud-Service wirkt demgegenüber wie eine teure, belastende Verpflichtung auf eine ungewisse Zukunft. Es dürfte schwer werden, zu rechtfertigen, warum man angesichts dieses kaufmännischen Vergleichs trotzdem auf Cloud-Dienste setzen möchte.

Aufwände in der IT-Organisation berücksichtigen

Um einen fairen Vergleich zu ermöglichen, sollte man jedoch möglichst unvoreingenommen auch betrachten, welche Aufwände anfallen, um ein System In-House, also On-Premise zu betreiben. Wie komplex diese Aufgaben sind, lässt sich häufig schon daran ablesen, wie die IT-Organisation im Unternehmen personell ausgestattet ist, und inwieweit Mitarbeitende damit ausgelastet sind, den IT-Routinebetrieb tagtäglich am Laufen zu halten.

Setzen wir das Rechenbeispiel also neu an und schätzen nun, dass der fortwährende Betrieb einer On-Premise-Systemumgebung, die vergleichbare Funktionalitäten wie der oben beispielhaft erwähnte Cloud-Service bietet, den Einsatz von 2,5 Vollzeitkräften (FTE) erfordert. Zudem ist zu berücksichtigen, dass neben Servern und Datenbanken auch Basisinfrastruktur und verschiedene Umgebungen bereitgestellt werden müssen, von der Entwicklung über verschiedene Test- und Integrationsstufen bis hin zur Produktion: Eine solche Zahl ist deshalb bei einem Unternehmen, das 10.000 Anwender und damit typischerweise hunderte IT-Mitarbeiter beschäftigen dürfte, interne und externe, sicherlich nicht zu hoch angesetzt.

Sobald auch diese Aufwendungen in die Leistungsverrechnung einfließen, ändert sich der Kostenvergleich dramatisch. Dabei wurden die Kosten eines IT-Mitarbeiters (inklusive Lohnnebenkosten und Arbeitsplatzausstattung) mit 147.000 per annum angesetzt. Nun ergibt der Kostenvergleich ein ganz anderes Bild.

Das Bild verschiebt sich, wenn EDA-Kosten wie Mitarbeiter in die Kalkulation einbezogen werden.
Das Bild verschiebt sich, wenn EDA-Kosten wie Mitarbeiter in die Kalkulation einbezogen werden.
Foto: Opentext

Vorsicht vor den EDA-Kosten!

Für den möglicherweise entscheidenden Unterschied sind in diesem Rechenbeispiel die EDA-Kosten ("eh da") verantwortlich, die im Controlling längst ein geflügeltes Wort sind: Ob ein geplante Cloud-Investition einem kaufmännischen Vergleich standhält, zeigt sich erst, wenn alle internen Leistungen wirklich fair und angemessen berücksichtigt werden. Wer davon ausgeht, dass die personellen Ressourcen in der IT-Organisation ja "eh da" sind - und das Unternehmen folglich nichts kosten - begeht möglicherweise einen folgenschweren Fehler.

Spätestens hier verlässt die Diskussion allerdings den festen Boden der Kosten- und Leistungsrechnung.

Organisationspolitik, Psychologie, gesellschaftliche Verantwortung

Nun spielen nämlich plötzlich zahlreiche weitere Faktoren eine Rolle, die eher der Organisationspolitik oder Psychologie zuzurechnen sind: Wer profitiert im Unternehmen davon, im eigenen Einflussbereich eine möglichst große Zahl "eigener Mitarbeiter" zu beschäftigen? Wie wichtig schätzen Ihre Stakeholder Stabilität, Verlässlichkeit und bewährte Geschäftsmodelle ein? Wie groß ist andererseits die Bereitschaft, Risiken einzugehen, um für zukünftige Geschäfte "fit" zu sein und Vorteile bei der Agilität und Skalierbarkeit im Wettbewerb voll auszuspielen?

Wie nimmt Ihr Unternehmen seine gesellschaftliche Verantwortung wahr? Wie halten Sie die Mitarbeitenden auf Ihren Arbeitsplätzen in produktiver Beschäftigung, wie können Sie sozialverträglich gestalten, dass Ihre Organisation für den künftigen IT-Betrieb weit weniger Arbeitskräfte benötigt? Wie qualifizieren Sie Ihre IT-Mannschaften weiter für ein neues Zeitalter?

Inwieweit ist Ihre Organisation bereit, sich derart zu verändern, wie stark sind die Beharrungskräfte, die strukturelle Veränderungen bremsen? Wie hält Ihre IT-Organisation es aus, auf Dauer in zwei Geschwindigkeiten unterwegs zu sein, einerseits als verlässlicher Legacy-Bewahrer?-?und andererseits als agiler Business-Enabler?

Fazit

Um die Eignung von Cloud-Diensten zu bewerten, muss man die IT-Kosten, die beim On-Premise-Betrieb anfallen, fair berücksichtigen und transparent machen. Selbst wer hierbei sehr bewusst vorgeht, muss beim Leistungsvergleich ein Auge zudrücken: Analysen in großen Datenbeständen und selbstlernende Algorithmen ermöglichen in der Cloud IT-Anwendungen in völlig neuartiger Qualität - beispielsweise im Umgang mit natürlicher Sprache (Analysen, Übersetzungen, Interpretationen) - die On-Premise gar nicht möglich wären.

Nicht nur deshalb bringen Cloud-Technologien mit ihrer Agilität und Zukunftsfähigkeit einen fundamentalen Strukturwandel mit sich, dessen Auswirkungen sich erst langsam zu zeigen beginnen. Die Protagonisten der IT-Organisationen brauchen neue Qualifikationen, IT und Business fließen noch stärker ineinander; klassische Methoden zum Business-IT-Alignment und zur IT Governance reichen nicht länger aus. Nur, wer im Unternehmen diesen Kulturwandel vorantreibt, umsichtig, aber auch mit Nachdruck, wird auch künftig zu den Gewinnern gehören.

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