Was Arbeitgeber beachten sollten

Compliance-Regeln mindern Risiko der Scheinselbstständigkeit

28.06.2018
Von Benno Grunewald
Das Risiko der Scheinselbstständigkeit ist für alle Unternehmen, die Freiberufler beauftragen, nach wie vor eines der gravierendsten Probleme. Dabei zeigt sich, dass viele Unternehmen die Bereiche Scheinselbständigkeit, Rentenversicherungspflicht und Arbeitnehmerüberlassung in vielen Fällen miteinander in unzulässiger Weise vermischen.
Arbeitgeber als auch Freelancer wollen bei einer Zusammenarbeit keine hohen Risiken eingehen - warum in solchen Fällen ein eigenes Compliance-System hilfreich sein kann.
Arbeitgeber als auch Freelancer wollen bei einer Zusammenarbeit keine hohen Risiken eingehen - warum in solchen Fällen ein eigenes Compliance-System hilfreich sein kann.
Foto: Marta Design - shutterstock.com

Für Arbeitgeber und Freelancer stellt sich die Frage, in welcher Form eine Zusammenarbeit mit möglichst geringem Risiko vertretbar ist. Sie fürchten die falschen Konsequenzen aus so einem Verhältnis zu ziehen: Sei es, dass ein Auftragsverhältnis unnötigerweise abrupt beendet wird, sei es, dass aufwändige Vorkehrungen getroffen werden, die gegen Scheinselbstständigkeit schützen sollen, aber wirkungslos bleiben. Oder sei es, dass zwar das Thema Scheinselbstständigkeit in irgendeiner Form "bearbeitet" wird, dies aber - auch aufgrund der genannten häufig unzutreffenden rechtlichen Annahmen - sogar kontraproduktiv ist und für das Unternehmen noch schädlichere Auswirkungen haben kann.

Ein unternehmensinternes Compliance-System kann eine Antwort sein, das wichtige Risikomerkmale erfasst, bewertet und dokumentiert und die Ergebnisse konsequent umsetzt. Weiterhin sind die rechtlichen Grundlagen zu formulieren, die praktische Umsetzung zu beachten und in angepassten zeitlichen Abständigen zu überprüfen. Schließlich ist auch die Außendarstellung des Unternehmens zu prüfen, sofern sich hieraus Rückschlüsse auf die Zusammenarbeit mit Selbständigen ableiten lassen.

Ein derartiges Compliance-System regelt die Risiken der Scheinselbstständigkeit, der Rentenversicherungspflicht und der (unerlaubten) Arbeitnehmerüberlassung. Es soll Unternehmen und ihren Geschäftsführern, Vorständen oder Inhabern helfen, sich im Falle einer behördlichen Überprüfung bestmöglich verteidigen zu können und damit (Nach)Zahlungen sowie persönliche strafrechtliche Folgen zu vermeiden.

Übersicht über die Selbständigen

Eine individuelle Analyse sollte am Beginn der Entwicklung eines solchen Compliance-Systems stehen. Da die Verjährungsfrist für die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen vier Jahre beträgt, ist daher zunächst dieser Zeitraum zu untersuchen. Eine Übersicht soll Aufschluss geben, welche Selbständige in welchem Umfang und aufgrund welcher Aufträge tätig waren beziehungsweise es noch sind. Erfasst werden sollten auch Parameter wie der Ort der Leistungserbringung (beim End-Kunden, im Unternehmen oder Home-Office) und deren jeweiligen zeitlichen Anteile sowie die Rechtsform (Einzelunternehmen, GbR, Ein-Personen-GmbH oder UG etc.).

Wichtig ist auch der Umstand, ob der Selbständige direkt beauftragt wird oder ob dies über ein anderes Unternehmen wie eine Unternehmensberatung erfolgt. Ist letzteres der Fall, verlagert sich zwar das Risiko eventueller Nachzahlungen auf dieses Unternehmen - aufgrund des davon unabhängig bestehenden Risikos der (unerlaubten) Arbeitnehmerüberlassung und den strafrechtlichen Aspekten macht dies ein unternehmensinternen Compliance-System jedoch keineswegs überflüssig. Selbstverständlich sollten alle abgeschlossenen Verträge und sonstigen Vereinbarungen geprüft werden.

Rechtliche Grundlagen der Zusammenarbeit

Die rechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und den Selbständigen stellen einen weiteren wichtigen Baustein des Compliance-Systems dar. Hier sollte nicht mit Verträgen wie Gesamtvertrag oder Rahmen- und Einzelvertrag gearbeitet werden. Vielmehr hat sich hier nach meiner Erfahrung der Einsatz von AGB und Bestellung/Angebot bewährt.

Dies ist bereits formal deutlich weiter von einem möglichen sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis bzw. Arbeitsverhältnis entfernt. Auch die praktische Handhabung ist für alle Beteiligten erheblich weniger aufwändig und deutlich transparenter. Selbstverständlich müssen die AGB den tatsächlichen Bedingungen entsprechen und sollten keine missverständlichen Formulierungen enthalten.

Das Scoring-System

Das Scoring-System hilft Risiken möglichst früh zu erkennen und ihnen angemessen zu begegnen.
Das Scoring-System hilft Risiken möglichst früh zu erkennen und ihnen angemessen zu begegnen.
Foto: Freedomz - shutterstock.com

Gerade wenn häufiger Selbstständige beauftragt werden, kann mit dem Scoring-System auch von rechtlich nicht vorgebildeten Mitarbeitern des beauftragenden Unternehmens eine erste Einschätzung vorgenommen werden. Weiterhin stellen das Scoring-System und deren Ergebnisse auch für den (später) hinzugezogenen rechtlichen Berater ein wertvolles Instrument der Risiko-Analyse dar.

Das Scoring-System sollte vor jeder Beauftragung eines Selbstständigen eingesetzt werden und - je nach Dauer der Zusammenarbeit - wiederholt zur Anwendung kommen, da viele Parameter wie die Anzahl der Auftraggeber des Selbständigen, die Tätigkeitsumstände beim (End-)Kunden oder die persönlichen Merkmale des Selbständigen im Laufe der Zeit häufig einem Wandel unterliegen.

Die Leitlinien der Tätigkeit Selbstständiger

Die Leitlinien der Tätigkeit Selbstständiger sollten keine mehr oder minder willkürlich "zusammengewürfelte" Checklisten sein! Diese nützen praktisch nichts, da sie in der Regel lediglich eine Auflistung mehrerer für oder gegen die Selbstständigkeit sprechender Kriterien sind. Da es aber einerseits eine (fast) unbegrenzte Anzahl von Kriterien gibt und es andererseits evident wichtig ist, die einzelnen Kriterien zu gewichten, werden pauschale Checklisten, deren Merkmale zudem häufig unsauber formuliert sind, einer sachgerechten Bewertung der Tätigkeit eines Selbstständigen nicht gerecht; sie vermitteln eher eine gefährliche Scheinsicherheit, was sich im Rahmen einer späteren Überprüfung bitter rächen kann.

Umsetzung eines Compliance-Systems

Die Planung und Umsetzung eines Compliance-Systems ist ein wirksames Mittel, dem Risiko der Scheinselbstständigkeit zu begegnen. Dabei ist wichtig, das System nicht nur zu installieren, sondern auch "zu leben". Darauf sollten alle mit der Zusammenarbeit mit Selbstständigen befassten Mitarbeiter des Unternehmens "geeicht" werden, wozu als Einstieg und quasi "Initialzündung" meiner Erfahrung nach ein Workshop mit den Beteiligten sehr gut geeignet ist.

Schließlich sollte neben der konsequenten Anwendung des Compliance-Systems, die im Einzelfall selbstverständlich auch zu einer "Nicht"-Beauftragung führen kann - die Dokumentation gepflegt werden. Dies ist gerade unter dem Aspekt möglicher strafrechtlicher Vorwürfe von großer Bedeutung. Zudem stellt dies ein probates Mittel zur Abwehr der wenngleich tatsächlich selten relevanten 30jährigen Verjährung bezüglich der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeträgen dar.

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