Computer verbessern die Produktivität? Wer's glaubt, wird Händler!

24.10.1997
MÜNCHEN: Computer sind nutzlos und stehlen den Leuten die Zeit. Was bisher nur PC-Analphabeten und Kulturpessimisten zu behaupten wagten, vertreten in den USA nun auch Experten aus Wirtschaft und IT-Branche: Rechenmaschinen alleine bringen nichts, und in den meisten Fällen kosten sie die Unternehmen sogar eine Menge Geld.Vollbeschäftigung, niedrige Inflation und anhaltendes Wachstum: Unternehmer und konservative Politiker aus aller Welt blicken neidvoll auf das leuchtende Vorbild Vereinigte Staaten. Allerdings sollten sie vorsichtig sein, was das Kopieren von ökonomischen Rezepten angeht: Nicht niedrige Steuern und Löhne oder eine kapitalistenfreundliche Gesetzgebung gelten vielen in den USA als Treibstoff der brummenden Konjunktur, sondern die Informationstechnologie. Angeführt wird die Schar der Technikeuphoriker vom Zentralbank-Chef Alan Greenspan. Endlich würden die IT-Investitionen der letzten Jahre ihre Früchte tragen, die Unternehmen flexibler und produktiver machen, und ein Ende dieser segensreichen Entwicklung sei nicht abzusehen, jubelt der prominente Ökonom stellvertretend für Firmenlenker und Wall-Street-Spekulanten.

MÜNCHEN: Computer sind nutzlos und stehlen den Leuten die Zeit. Was bisher nur PC-Analphabeten und Kulturpessimisten zu behaupten wagten, vertreten in den USA nun auch Experten aus Wirtschaft und IT-Branche: Rechenmaschinen alleine bringen nichts, und in den meisten Fällen kosten sie die Unternehmen sogar eine Menge Geld.Vollbeschäftigung, niedrige Inflation und anhaltendes Wachstum: Unternehmer und konservative Politiker aus aller Welt blicken neidvoll auf das leuchtende Vorbild Vereinigte Staaten. Allerdings sollten sie vorsichtig sein, was das Kopieren von ökonomischen Rezepten angeht: Nicht niedrige Steuern und Löhne oder eine kapitalistenfreundliche Gesetzgebung gelten vielen in den USA als Treibstoff der brummenden Konjunktur, sondern die Informationstechnologie. Angeführt wird die Schar der Technikeuphoriker vom Zentralbank-Chef Alan Greenspan. Endlich würden die IT-Investitionen der letzten Jahre ihre Früchte tragen, die Unternehmen flexibler und produktiver machen, und ein Ende dieser segensreichen Entwicklung sei nicht abzusehen, jubelt der prominente Ökonom stellvertretend für Firmenlenker und Wall-Street-Spekulanten.

An dieser Überzeugung hängt ein Rattenschwanz an Erwartungen in Wirtschaft und Politik: niedrige Staatsschulden, steigende Technologie-Aktienkurse, anhaltende IT-Investitionen und viele bunte Anzeigen in den Computerzeitschriften.

IT-Ausgaben steigen, die Produktivität stagniert

Unfug!" rufen die Skeptiker aus und führen behördliche Statistiken an, nach denen die Produktivität in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, sondern sogar leicht gesunken sei; und das obwohl die US-Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt rund 500 Milliarden Dollar für neue Computer und Software ausgegeben haben. Auch 1996 gaben die Firmen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten 41 Prozent ihrer Inventarbudgets für IT aus, allen voran die Dienstleistungsbranche. Doch selbst deren Produktivität stieg in den vergangenen Jahren um weniger als ein Prozent.

Paul Strassmann, vormals Chefinformatiker beim Kopiererhersteller Xerox, hat sich einmal die Bilanzen der 66 größten US-Unternehmen angeschaut und dabei folgendes festgestellt: Die Kosten für Informationsmanagement (Verwaltung, Produktionsmanagement, Vertrieb, Marketing etc.) sind seit 1987 stärker gestiegen als die restlichen Produktionskosten. "Weder Client/Server noch das Internet oder Netzwerke haben bislang den Umgang mit Informationen in den amerikanischen Industrieunternehmen substantiell produktiver gemacht. Die Produktivität derer, die Informationen verarbeiten - und das sind immerhin bereits 59 Prozent aller Beschäftigten -, hat sich nicht verbessert, sondern ist schlechter geworden. Es ist Zeit, sich den Tatsachen zu stellen: Die Börsenanalysten und überoptimistischen Konzernbosse sind irregeleitet", poltert Strassmann. Und da, wo Computer tatsächlich die Produktivität gesteigert hätten, sei der Zugewinn durch eine Verschwendung von menschlichen und technologischen Ressourcen wieder aufgefressen worden. Man denke nur ans Internetsurfen und Computerspielen während der Arbeitszeit, damit verbundene Systemabstürze oder den ständigen Schulungsbedarf, unkt der Autor des Buches: "Der verschwendete Computer" weiter.

Fatal: Die Microsoft-Intel-Spirale

Die Total Cost of Ownership-Diskussion läßt grüßen. Auch Microsoft-Cheftechnologe Nathan Myhrvold gibt unverblümt zu: "Software ist wie Gas: Sie dehnt sich aus, um ihren Behälter zu füllen. Schließlich würde niemand einen neuen Prozessor kaufen, wenn wir den alten nicht in die Knie gezwungen hätten." Hinzu kommt: "70 Prozent aller Projekte der Informationstechnologie hielten nicht, was sie versprachen", behauptet etwa das Marktforschungsunternehmen Gartner Group.

Computer machen besser, nicht produktiver

Außer Spesen also nichts gewesen? Die Computerindustrie und ihre Anhänger ficht derlei Erbsenzählerei nicht an. Manager interessieren sich ohnedies nicht für die volkswirtschaftliche Makroperspektive und ihre Definition von Produktivität als Ertrag pro eingesetzter Arbeitseinheit. Sie untersuchen viel lieber den Return on Investment (ROI), um konkrete Problemstellungen zu lösen, und nicht, um grundsätzlich Sinn und Unsinn des Einsatzes von Informationstechnologie zu rechtfertigen. "Den gesamten ROI von IT zu messen ist genauso, als wenn man den Wert von Elektrizität und dem Telefon ermitteln wollte", erläutert David Moschella in der Zeitschrift Computerworld.

Hätten die Kritiker der IT-Begeisterten recht, dann wäre es vollkommen egal, ob ein Unternehmen Computer einsetzt oder nicht. Ganz abgesehen davon, daß ein solcher Vergleich hypothetisch wäre, weil es in den modernen Industriestaaten kein Unternehmen ohne IT mehr gibt: Die Vorteile von Bits und Bytes in der modernen Wirtschaft lassen sich nicht an simplen Produktivitätsgleichungen festmachen. "Man stelle sich zwei konkurrierende Firmen mit jeweils zehn Arbeitern vor; außerdem eine neue Technologie, die es beiden Firmen ermöglicht, ihre Produkte doppelt so leistungsfähig zu machen, ohne die Kosten zu erhöhen", erklärt Moschella. "Volkswirtschaftler würden sagen, die Produktivität sei gleich geblieben, weil die gleichen zehn Leute ein ähnliches Produkt mit den gleichen Kosten herstellen. Aus der Perspektive des Unternehmers jedoch würde es den geschäftlichen Selbstmord bedeuten, falls eine Firma die neue Technologie nicht einsetzt."

Ökonomen und Unternehmer reden aneinander vorbei

Ein reales Beispiel für diesen Wettbewerbsvorteil durch Computer sind die maßgeschneiderten Jeans, die Levi's seit geraumer Zeit ihren Kunden per Internet anbietet. In die Produktivitätsstatistik geht der High-Tech-Service nicht ein, weil diese nur die Zahl und die Kosten der produzierten Hosen erfaßt.

Makroökonomen und Betriebswirtschaftler reden also aneinander vorbei, wenn sie von Produktivität reden. Die Wahrheit liegt wieder einmal irgendwo in der Mitte. Computer können weder Volkswirtschaften sanieren und ewiges Wachstum anfachen, noch garantiert ihre bloße Existenz in den Unternehmen irgendeinen geldwerten Vorteil. Den Unterschied macht der Faktor Mensch: "Was in jedem Unternehmen tatsächlich zählt, sind gut ausgebildete, engagierte und kreative Mitarbeiter", so Strassmann. "IT muß so an den Arbeitsplätzen eingerichtet werden, daß die Mitarbeiter ständig bessere Ergebnisse mit immer weniger Aufwand liefern können." So einfach ist das. (ld)

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