Computex: Taiwans Industrie schielt immer mehr nach China

22.06.2000
Seit Mitte der 90er Jahre gilt Taiwan als - nach Amerika und Japan - drittwichtigster IT-Exporteur der Welt. Doch da die Insel längst kein Billiglohnland mehr ist, fließen massive Investitionen nach China, dessen IT-Output in diesem Jahr den Taiwans überholen dürfte.

Das Gesamtvolumen von Taiwans IT-Industrie ist im vergangenen Jahr um 18,4 Prozent auf knapp 47 Milliarden Dollar angewachsen. Auf den Hardwaresektor entfallen immer noch fast 85 Prozent, auf den mit 35 Prozent überdurchschnittlichen wachsenden Bereich Software und Services jedoch nur 0,63 Prozent. Der Umsatz der auf der Insel selbst erzeugten Waren und Dienstleistungen wuchs aber nur um neun Prozent auf 21,02 Milliarden Dollar.

Ein immer höherer Anteil wird Off-shore, vornehmlich im offiziell noch befeindeten China hergestellt, dessen IT-Produktion 1999 um 30 Prozent auf annähernd 18,5 Milliarden Dollar anwuchs, wovon rund 60 Prozent aufs Konto taiwanischer Investoren gingen. Nach Angaben des taiwanischen Marktforschungsinstitutes MIC wird der Rote Drache somit Taiwan noch vor Jahresende als drittwichtigste Produktionsstätte der Welt ablösen. Beflügelt werden dürfte die Entwicklung auch dadurch, dass die neue taiwanische Regierung unter Präsident Chen Shuibian angekündigt hat, die Inves- titionsbeschränkungen für Hightech-Produkte in China weiter zu lockern, und er sogar über eine Aufhebung des Verbots direkter Beziehungen nachdenkt.

Während Peking es vorzieht, Chen wegen seines offenen Eintretens für die Unabhängigkeit Taiwans zu ignorieren, wird seine Partei DPP gerade ob dieser neuen Möglichkeiten von vielen Herstellern der Insel heimlich oder sogar offen unterstützt. Einer von ihnen ist Acer-Chef Stan Shih, dem Peking im März dieses Jahres wegen seiner Sympathie für die DPP deutlich zu verstehen gegeben hat, dass er in China nicht erwünscht sei. Dabei ist es gerade Shih, der schon vor zwei Jahren gepredigt hat, wohin sich Taiwans IT-Industrie orientieren müsse, nämlich nach China. Acers Investitionen dort belaufen sich zwar nur auf 200 Millionen Dollar. Doch würde - wie das "Handelsblatt" schreibt - das Flaggschiff von Taiwans IT-In-dustrie attackiert, könnten taiwanische Unternehmen ihr Engagement in China serienweise abbrechen, womit dort rund sechs Millionen Arbeitsplätze bedroht wären.

Nicht nur als OffshoreProduktionsstätte gewinnt China für Taiwan wegen der einfacheren Kommunikation zunehmend an Bedeutung, sondern auch als riesiger Markt. Das erklärt auch das wachsende Interesse an Information Appliances (IAs) wie Settop-Boxen und PDAs, die in Europa zwar kaum gefragt sind, in China aber reißenden Absatz finden. Nicht umsonst haben rund 20 Prozent aller Aussteller auf der Computex 2000 derartige Produkte vorgestellt.

Den größten Anteil an der Hardwareproduktion der Insel, die sich 1999 auf einen Warenwert von 39,9 Milliarden Dollar belief, hatten Notebooks mit 9,36 Millionen Stück und einem Gesamtvolumen von 10,2 Milliarden Dollar. Damit hat Taiwan erstmals Japan als größten Notebook-Produzenten überholt und sich einen Weltmarktanteil von 49 Prozent gesichert. Doch der Wertverfall bei den mobilen PCs ist unaufhaltsam und wird sich nach Angaben des taiwanischen Market Intelligence Center (MIC) noch weiter fortsetzen, wenn Taiwans LCD-Panel-Produktion erst richtig angelaufen ist. Der Elektronikriese Tatung etwa bestückt seine LCD-Displays schon heute mit Panels von Chunghwa, einem von sechs einheimischen Herstellern, die angetreten sind, Taiwans Unternehmen von der Abhängigkeit von Japan und Korea zu befreien.

Der zweitwichtigste Umsatzrenner waren Monitore, die dank des wachsenden Anteils an LCD- Displays so ziemlich der einzige Bereich waren, in dem Taiwan verglichen mit dem Stückzahlenwachstum auch ein Umsatzplus verzeichnen konnte. Bei den Desktop-PCs ist der Margenverfall indes so weit gegangen, dass einem Stückzuwachs von 35,7 Prozent nur ein Umsatzplus von 11,2 Prozent gegenüberstand. Bei vielen anderen Produkten sieht es nicht anders aus (siehe Tabelle).

Hier liegt genau das Dilemma, weshalb die meisten taiwanischen IT-Hersteller ihr Portfolio immer weiter zu diversifizieren versuchen, vorzugsweise in höherwertige Netzwerkprodukte wie ADSL-Modems, Wireless LAN, Server und eben IAs sowie durch verbessertes Design.

"Wir sind schon mitten drin in der Post-PC-Ära. Die immer magereren Margen zwingen die Hersteller, sich eine neue Zukunft zu suchen", erklärt Gigabyte-President Richard Ma. Eine neue Zukunft sieht der Motherboardhersteller unter anderem im Internet-Servermarkt, wofür eigens ein neues Networking- and Communications-Team aufgestellt wurde. Darüber hinaus plant Gigabyte, sein in Taiwan bereits anlaufendes B2B-Modell weltweit auszudehnen, um sich als Gesamt-Service-Provider aufzustellen.

Preisverfall ruft IT-Gurus auf den Plan

Ähnliche Pläne verfolgen auch viele andere Hersteller, womit sie eigentlich nur wiederholen, was ihnen IT-Gurus wie Acer-Chef Shih oder MIC-Direktor Victor Tsan ins Ohr geflüstert haben. So lautet das Credo beider unisono: Taiwans Industrielle sollten sich wieder mehr auf ihre Kernkompetenzen beschränken, gleichzeitig aber auch versuchen, in neue Nischen vorzudringen, um den Flaschenhals des nicht uneingeschränkten Wachstums zu durchbrechen. Darüber hinaus werde es für Taiwans Hersteller immer wichtiger, nicht nur mit ihren Zulieferern und OEM-Auftraggebern, sondern auch mit ISPs und Retail-Ketten weltweit starke Partnerschaften zu bilden, um sich ihnen durch den Aufbau eigener Logistik- und E-Commerce-Systeme als Gesamtlösungsanbieter zu präsentieren.

Um vor dem Hintergrund des rapiden Margenverfalls bei Hardware weiter konkurrenzfähig zu bleiben, komme es ferner nicht nur darauf an, immer mehr Produktionsstätten nach Festlandchina oder in andere Billiglohnländer zu verlagern, sondern auch das gesamte Warenwirtschaftssystem zu optimieren. Schließlich gelte es, die landeseigene Softwareindustrie als stärksten Wachstumssektor weiter auszubauen. (kh)

mic.iii.org.tw

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