Creditreform-Chef: "Die Agenda 2010 ist eine Mickymaus-Veranstaltung"

12.06.2003
Die Konjunktur stagniert, der Mittelstand kränkelt, die Zahl der Insolvenzen steigt - und es könnte mangels politischer Innovationen noch schlimmer kommen, warnt Creditreform-Chef Dr. Helmut Rödl. Er erklärt, warum gerade IT-Firmen bei Banken und Kreditversicherern als Risikogruppe gelten und welche Auswirkungen "Basel II" noch auf die IT-Branche haben wird.

Es sieht nicht gut aus für die deutschen Unternehmen: Vor allem im Mittelstand hat sich die Lage im Frühjahr 2003 weiter verschlechtert. Nur 20 Prozent der Firmen - und damit deutlich weniger als im vergangenen Jahr - beurteilen laut einer aktuellen Umfrage von Creditreform ihre Geschäftslage mit "gut" oder "sehr gut". Genauso viele bewerten die Situation mit "mangelhaft" bis "ungenügend". Das ist schlimmer, als es sich zunächst anhört: Denn als Mittelstand bezeichnet man in Deutschland nach Auskunft des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung alle, deren Jahresumsatz bei bis zu 50 Millionen Euro liegt und die weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigen - das sind 99,7 aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen und Freiberufler in Deutschland.

Immerhin zeichnet sich im Mittelfeld eine Stabilisierung ab: 57,8 Prozent der Befragten schätzen ihre Geschäftslage als "befriedigend" und "ausreichend" ein. Von Aufschwung könne man dennoch kaum sprechen, meint Helmut Rödl, Hauptgeschäftsführer im Verband der Vereine Creditreform: "Bei der wirtschaftlichen Entwicklung sind derzeit keine Lichtblicke und Impulse in Sicht. Die Erwartungshaltung der Unternehmer ist bis weit in den Herbst hinein bescheiden." Dennoch bestehe durchaus noch Hoffnung für die Gesamtkonjunktur: "Wir sind am Boden und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir bleiben liegen oder es geht wieder aufwärts." Er persönlich bevorzuge die optimistische Variante.

Zu hohe Steuern, zu wenig finanzielle Freiheit

Konkrete Anzeichen eines Aufschwungs gibt es derzeit aber nicht, und der Creditreform-Chef glaubt zu wissen, woran es in Deutschland hapert: "Die politischen Rahmenbedingungen sind verheerend: Der politische Zick-Zack-Kurs macht es für die Unternehmen schwierig, zu kalkulieren; die hohe Steuerbelastung gibt ihnen zu wenig finanzielle Freiheit." Und weil es der Politik an einer klaren Linie fehle, sei ihr Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung derzeit eher "psychologischer Natur" und zwar vor allem im negativen Sinne: "Nicht nur die Politik, sondern auch die Konjunktur hat eine Auszeit genommen", glaubt Rödl.

Nur Steuersenkungen bringen Aufschwung

Sicher ist, dass viele Unternehmen den Stillstand finanziell nicht überstehen werden. Bereits 2002 gingen 38.000 Firmen in die Insolvenz. Der Schaden wird auf rund 40 Milliarden Euro geschätzt, hinzu kommen auch noch etwa 600.000 verlorene Arbeitsplätze. In diesem Jahr soll es noch viel schlimmer werden: Laut Rödl rechnet die Creditreform 2003 mit 40.000 bis 42.000 Unternehmensinsolvenzen. Kreditversicherer Euler Hermes sieht die Lage sogar noch dramatischer: Hier prognostiziert man 44.000 Pleiten und einen Schaden von mehr als 50 Millionen Euro.

Die angeschlagene IT-Branche steuert in jedem Fall einiges dazu bei: Allein im Bereich der Datenverarbeitung gab es im vergangenen Jahr fast 1.000 Pleiten. Aktuell melden auch die IT-Dienstleister weiter sinkende Umsätze und Erträge, die Analysten rechnen mit weiteren Konsolidierungsprozessen. "Eine Trendwende ist nicht in Sicht", sagt Rödl. Die Firmen müssten sich ihre Konjunktur derzeit vielmehr "selber machen", indem sie die Gewinne steigern und die Kosten senken - was in den meisten Fällen bedeutet, dass an der Personalschraube gedreht wird - und könnten ansonsten nur hoffen, dass endlich die Steuern gesenkt werden, so der Manager.

Für wirklich sinnvoll hält er in diesem Zusammenhang den Vorschlag des saarländischen Wirtschaftsministers Hanspeter Georgi (CDU), die Körperschaftssteuern für einbehaltene Gewinne so lange zu erlassen, bis die Unternehmen eine Eigenkapitalquote von 25 Prozent erreichen. Dass diese Strategie funktioniert, hätte man beispielsweise in Frankreich schon bewiesen, meint Rödl. Für Deutschland hat der Manager allerdings wenig Hoffnung auf Besserung: "Die Politiker haben kein Vertrauen in die selbstregulierenden Kräfte der Marktwirtschaft." Die Versuche seitens Schröder & Co, die Konjunktur wieder anzukurbeln, gehen Rödl nicht weit genug: "Die Agenda 2010 ist volkswirtschaftlich gesehen eine Mickymaus-Veranstaltung."

Schlechte Stimmung bremst Investitionsbereitschaft

Wie die Creditreform-Umfrage bestätigt, schlägt sich die schlechte Stimmung und Umsatzentwicklung inzwischen auch auf die Investitionsbereitschaft nieder. Hier wurde sogar ein neuer Tiefpunkt erreicht: Nur 32,2 Prozent der Befragten sind in den kommenden sechs Monaten zu Investitionen bereit, im Gegensatz zu 38 Prozent vor Jahresfrist. Von der andauernden Projektverschiebung ist laut Rödl insbesondere die IT-Branche betroffen: "Die Auftragsbücher sind eigentlich voll, aber die Leute kommen nicht zum Arbeiten." Hinzu kommt noch eine mangelnde Zahlungsmoral der Kunden. Nur 8,6 Prozent der befragten Unternehmen hatten im vergangenen Jahr keine Forderungsverluste hinzunehmen. Daraus ergebe sich wiederum ein gewisser "Dominoeffekt", sagt Rödl. Wenn der Kunde nicht zahlt, kommt das Unternehmen selbst in Schwierigkeiten und reißt prompt den nächsten in der Kette mit: "Natürlich nutzen viele Firmen ihre Zahlungsspielräume bei Lieferanten jetzt bis zum Äußersten aus."

IT-Firmen gelten als Risikogruppe

Die IT-Branche kämpft unter erschwerten Bedingungen: Nicht nur wegen der unsicheren Projektsituation, sondern auch wegen des hier üblichen starken Preisverfalls und einem schnellen Produktzyklus gelten Firmen aus dem IT-Umfeld bei Kreditversicherern und Banken derzeit als "Risikogruppe", der man nur ungern Geld in die Hand gibt.

Mit der Umsetzung von Basel II, den neuen Richtlinien zur Kreditvergabe, werde sich die Lage für die einst als Deutschlands Wirtschaftsmotor hochgelobte Branche weiter zuspitzen, glaubt Rödl: "IT-Unternehmen werden mit höheren Zinsen rechnen müssen." Denn wer zu den Risikogruppen zählt, wird vereinfacht ausgedrückt künftig - wenn überhaupt - weniger Geld bekommen und dafür mehr Zinsen zahlen müssen: "Es wird hier um vier bis sechs Prozentpunkte gehen", schätzt Rödl, "das ist eine Menge". In diesem Zusammenhang sei auch zu erwarten, dass Hersteller und Distis verstärkt als Kapitalgeber einspringen. Und die finanzschwachen Partner eventuell auch übernehmen. Grundsätzlich werde es am unteren Ende für alle noch enger: "Basel II ist ein Spiegelbild der gesamten Mittelstandsentwicklung."

Nur 18 Prozent der Unternehmen sind solide

Es gibt laut Rödl nur eine Möglichkeit, um bei den Finanzexperten nicht durchzufallen: mehr Eigenkapital ansammeln. Doch das ist leichter gesagt als getan. Das Problem, zu wenig auf dem Konto zu haben, zieht sich allerdings durch den gesamten Mittelstand; lediglich knapp 18 Prozent der Betriebe verfügten über eine Eigenkapitalquote von mehr als 30 Prozent und gelten damit als solide. Über ein Drittel der Firmen müsste mit weniger als zehn Prozent der Bilanzsumme an Eigenkapital auskommen und gelte damit als "unterkapitalisiert" und gefährdet. Die Einschätzung sei durchaus richtig, sagt Rödl: "Es gibt natürlich einen direkten Zusammenhang zwischen Eigenkapitalmangel und Insolvenz."

www.creditreform.de

ComputerPartner-Meinung

Die Umsetzung der Basel-II-Richtlinien plus das härtere Vorgehen der Kreditversicherer wird vor allem die finanzielle Situation der IT-Händler und Systemhäuser weiter verschärfen. Hier bleibt zu hoffen, dass sich noch mehr Hersteller, Distributoren und Einkaufskooperationen entschließen können, die Absatzfinanzierung über den Channel selbst in die Hand zu nehmen. (mf)

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