Crusoe: echte Alternative zu AMD und Intel?

26.10.2000
Derzeit teilen sich Intel und AMD den PC-Prozessormarkt auf. Doch aufgepasst! Ein Neuling will die Etablierten das Fürchten lehren: Transmeta. Mit Firmengründer und CEO David Ditzel sprach ComputerPartner-Redakteur Christian Töpfer.

Als Transmeta zu Beginn des Jahres den Crusoe als neuartigen Prozessor für Mobil-PCs vorstellte, sorgte es damit für reichlich Wirbel. Wann kommen denn nun endlich die ersten Notebooks mit Crusoe-CPUs in Deutschland auf den Markt?

Ditzel: Sony ist gerade dabei, das "Vaio Picturebook C1VN" in Europa auszuliefern. Es handelt sich um einen ein Kilogramm schweren Windows-Rechner, dessen Akku für bis zu 20 Stunden reicht. Als nächstes werden der "Biblo Loox S" und der "Biblo Loox T" von Fujit-su Siemens in Deutschland zu haben sein.

Woher kommt überhaupt der Name "Crusoe"?

Ditzel: Von Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe. Jeder kennt diesen Abenteurer, der auf sich allein angewiesen ist und niemanden braucht, um zu überleben. Übertragen bedeutet Unabhängigkeit, dass man Intel nicht benötigt. Wir wollten einen Namen, der kurz, weltweit bekannt und positiv besetzt ist. Eine Agentur hat uns 200 Namen vorgeschlagen, "Crusoe" kam aber von einem Transmeta-Angestellten und erfüllt alle Anforderungen. Alle zukünftigen Chips werden ebenfalls Crusoe heißen.

Was kann der Crusoe, was andere CPUs nicht können?

Ditzel: Der größte Vorteil ist die geringere Leistungsaufnahme und damit der geringere Stromverbrauch bei einer gleichzeitigen Verbesserung der Leistung. Im Laufe der Zeit wird man aber noch weitere Vorteile erkennen. Zum Beispiel haben wir in den Crusoe zwei verschiedene Chips implementiert, wodurch das Motherboard und dann zwangsläufig auch das Notebook sehr klein bleiben können. Im Zuge dessen werden die Notebooks auch leichter. Nicht zu vergessen ist auch die geringere Lautstärke, da sie nicht so heiß werden und keinen aktiven Kühler mehr brauchen.

Welche anderen Einsatzfelder gibt es für den Crusoe noch?

Ditzel: Alle Geräte, die zu den so genannten Internet-Appliances zählen. Sie werden sehr einfach zu bedienen sein und nur zwei Knöpfe haben: einen zum Ein-/Ausschalten und einen Lautstärkeregler. Auch Embedded Systems kommen in Frage. Wichtig ist dabei eine Kompatibilität mit dem PC. Eine weitere große Chance für den Crusoe sind Settop-Boxen.

Was gab Ihnen im Jahr 1995 den Anstoß, Transmeta zu gründen?

Ditzel: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon 15 Jahre mit Mikroprozessoren zu tun, aber ich war nicht mit der Richtung zufrieden, in die sie sich weiterentwickelten. Die Chips wurden immer komplizierter. Daher entschied ich mich, einen komplett anderen Weg in der Prozessortechnologie einzuschlagen. Anfangs waren wir acht Leute, für jeden Bereich ein Experte. Durch den regen Austausch zwischen den Fachleuten für Hardware und Software gelang es uns, eine kombinierte Hardware/Software-Lösung zu entwickeln, wie es noch niemand vorher getan hatte. Das ist unser Grundstock.

Mittlerweile sind aber noch ein paar Leute hinzugekommen ...

Ditzel: Alles in allem sind wir zurzeit knapp 400 Leute, demnächst auch über die ganze Welt verteilt. In Japan haben wir bereits eine Niederlassung, demnächst eröffnen wir eine in Taiwan. Und derzeit überlegen wir, welchen Standort wir in Europa wählen. Als erstes wollen wir die asiatischen PC-Hersteller für uns gewinnen, weil gerade bei den Japanern die leichten und kleinen Notebooks sehr gut ankommen. In den USA hingegen sieht man die Notebooks eher noch als tragbaren Desktop-PC.

Wie lange hat es gedauert, den Chip zu entwickeln?

Ditzel: Bis zur öffentlichen Bekanntmachung vergingen fünf, nein, eigentlich nur vier Jahre, weil wir die ersten Monate damit verbrachten, Investoren zu gewinnen. Mit der Entwicklung von Crusoe haben wir also im Januar 1996 begonnen.

Als zu hören war, dass Linus Torvalds bei Transmeta arbeitet, fragte sich die gesamte Branche, was da wohl ausgeheckt werde. Wie haben Sie es geschafft, über die Jahre hinweg nichts nach außen dringen zu lassen?

Ditzel: Diese Frage wird uns oft gestellt. Jeder Mitarbeiter bis hinunter zu den Leuten am Empfang ist an Transmeta beteiligt. Und wir haben ihnen immer gesagt, dass ihr Anteil nicht besonders viel wert sein würde, wenn sie mit irgendwelchen Aussagen an die Öffentlichkeit gingen. Sie hatten also ein persönliches Interesse, ihren Mund zu halten. Und das hat ja wohl ganz gut geklappt.

Kann Transmeta als relativ kleine Firma aber auf Dauer Erfolg haben?

Ditzel: Ich glaube, dass die besten Produkte von den Firmen kommen, deren einzelne Abteilungen nur aus wenigen Leuten bestehen. Bei Tausenden von Mitarbeitern in einer Mikroprozessor-Abteilung frage ich mich, wie man über mehrere Jahre hinweg ein solches Team und Projekt überhaupt organisieren kann. Sie brauchen doch nur einen Ingenieur frisch von der Uni einzustellen, ihn zweimal zu befördern, und dann verlässt er Ihre Firma, bevor das Projekt abgeschlossen ist. Unser Konzept geht dahin, dass wir sehr wenige Ebenen im Management haben und unsere Mitarbeiter alle in etwa gleichberechtigt sind.

Auch was die Mitarbeiter selbst betrifft, ist Transmeta anders als andere IT-Unternehmen ...

Ditzel: Verglichen mit den Firmen im Silicon Valley haben wir den größten Anteil an Mitarbeitern aus Europa. Vielleicht liegt es daran, dass wir mit Linus Torvalds begonnen haben. Unsere ganze Software-Abteilung kommt aus Europa. Erstaunlicherweise haben wir nur zwei Mitarbeiter aus Indien, das ist sehr ungewöhnlich. Wir sind also eine internationale Firma, und darauf sind wir stolz.

Sind Sie persönlich zufrieden mit dem bisher Erreichten?

Ditzel: Auf jeden Fall. Es ist äußerst schwierig, einen neuen Mik-roprozessor zu entwickeln. Das allererste Modell ist dabei das schwierigste, weil Sie es vollkommen neu entwickeln müssen. Außerdem haben Sie noch kein Testumfeld, und es dauert, bis Sie die volle Kompatibilität zu den PCs erzielen.

Im nächsten Jahr plant Transmeta den Gang an die Börse.

Ditzel: Genau, und solange die Börsenaufsichtsbehörde den Börsengang prüft, darf ich nichts Genaues über abgesetzte oder über geplante Chip- oder Notebook-Stückzahlen erzählen. Obwohl ich es gerade in der derzeitigen Situation sehr gerne tun würde.

Wie werden Intel und AMD darauf reagieren, dass sie jetzt einen neuen Wettbewerber, vielleicht sogar einen neuen Rivalen haben?

Ditzel: Nein, wir sind kein neuer Rivale. Intel hatte nie einen Lowpower-Prozessor. Mit Crusoe erweitern wir lediglich den Markt. Intel steckt viel Geld in die Werbung und erzählt viele Geschichten von Dingen, die sie planen. Vielleicht gibt es ein paar Leute, die Intel glauben werden. Beim Marketing können wir nicht mithalten, da wir eine kleine Firma mit wenig Geld sind. Wir müssen gute Produkte herstellen, die sich von selbst verkaufen.

Gegen die Etablierten dürfte es aber nicht leicht werden.

Ditzel: Viele Leute sagen: "Versucht es erst gar nicht. Es ist unmöglich, gegen Intel anzukommen." Aber wir sind überzeugt, dass unsere Idee gut ist und viele Vorteile hat. Der Crusoe unterstützt zum Beispiel etwa 30 verschiedene Betriebssysteme. Darunter alle Windows- und Linux- Varianten, dazu Solaris, SCO-Unix, Be-OS, Epoc und so weiter Die Chips, an denen ich in der Vergangenheit gearbeitet hatte, konnten das nicht. Und dadurch waren von vornherein die Marktanteile begrenzt.

Wie schwierig ist es, bei den Notebook-Herstellern das Interesse an Crusoe zu wecken?

Ditzel: Wir mussten sie überzeugen, dass sie gewisse Vorteile bekommen, die sie sonst nicht erhalten würden. Dabei geht es nicht allein um den Preis. Es gab Hersteller, die waren mit dem, was sie von anderen CPU-Herstellern bekamen, nicht zufrieden. Und sie wollten Chips sehen, die speziell für Notebooks gemacht sind. Sony, AOL, Gateway. Compaq, IBM und Toshiba haben in Transmeta inves-tiert. Da sie jetzt mit Crusoe-Produkten auf den Markt kommen oder sie ankündigen, zeigt, dass sie an unsere Technologie glauben. Kein Prozessorhersteller hat so stark begonnen wie Transmeta. Cyrix hat sich nie einen großen Namen gemacht und war immer nur zweit- und drittklassig. AMD hat lange gebraucht, um sich zu etablieren.

Das klingt ziemlich hochmütig.

Ditzel: Viele Leute fragen sich angesichts der Nachrichten der vergangenen Monate, was denn mit Intel los sei. An der PC-Industrie kann es aber nicht liegen, denn die ist ziemlich gesund. AMD hat sich doch auch ganz gut gemacht. Jedenfalls helfen wir mit Crusoe der gesamten Industrie. Intel arbeitet jetzt viel härter, denn sie beachten uns. Viele zitieren Intel mit den Worten: "Abwarten, wir werden Transmeta schon noch einholen." Was für eine wundervolle Sache! Intel gibt also zu, dass wir die Nase vorn haben. Doch was bringt die Zukunft? Vergleichen Sie es mit der Leichtathletik: Auf wen würden Sie setzen? Auf den kleinen, geschmeidigen Läufer oder auf den, der aussieht wie ein Sumo-Ringer?

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