Das Büro der Zukunft: mit dem Rollwägelchen zum Arbeitsplatz

23.01.2003
Michael Schell, Abteilungsleiter bei der ADA-Orgaplus Systemhaus GmbH, und ComputerPartner-Redakteurin Beate Wöhe diskutierten bei einem Besuch im "Office Innovation Center" (OIC) am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart über futuristische Ideen für das Arbeitsumfeld der Zukunft. IT-Unternehmen, die dieses Projekt schon in die Tat umgesetzt haben, berichten über ihre Erfahrungen.

Die fünfte Etage der Rosensteinstraße 22-24 in Stuttgart unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von der eines "normalen" Unternehmens. Der durch hohe Glasfenster lichtdurchflutete Eingangsraum ist mit Pflanzen und hellem Holz ausgestattet. Eine angenehme, ruhige Atmosphäre. Doch in diesem Raum hat das OIC im vergangenen Jahr rund 6.000 Besucher begrüßt, die durch alle Gänge liefen, den Mitarbeitern über die Schultern schauten und jeden Raum genau unter die Lupe nahmen.

Diese Besucher waren Firmenchefs und andere Interessierte, die sich im Office Innovation Center Ideen und Ratschläge für eine neue Art von Bürostruktur holten. In diesem Teil des Fraunhofer Institutes ist immer das Neueste in Sachen Bürolandschaft der Zukunft zu sehen.

Hinter einer durchgehenden Glaswand an der rechten Seite des Empfangsraumes verpassen Handwerker dem angrenzenden Raum gerade ein neues Outfit. "Wir werden in der Ausstattung unserer Räume zum überwiegenden Teil von interessierten Herstellern gesponsert, die unsere Räumlichkeiten gerne zur Präsentation für ein qualifiziertes Fachpublikum nutzen", erklärt Alexander Greisle mit Blick auf die Umbauarbeiten. Greisle ist seit März 2002 Projektleiter für die IT-Forschung im OIC (siehe Kasten auf Seite 28). "Das ist bestimmt nicht gerade billig", murmelt Michael Schell, Abteilungsleiter Technik bei der ADA-Orgaplus Systemhaus GmbH in Heilbronn.

Was heißt "nonterritoriales Arbeiten"?

Viele Unternehmen erkennen den Trend zu nonterritorialen Bürolandschaften. Das bedeutet: "Man sucht sich am Morgen einen Arbeitsplatz für den Job, den man an diesem Tag zu erledigen hat", erklärt der OIC-Projektleiter den Begriff "nonterritoriales Arbeiten". Auch während des Arbeitstages seien, je nach Bedarf, erneute Wechsel der Tätigkeit und somit des Arbeitsplatzes möglich oder sogar notwendig. Schell runzelt die Stirn. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Chefs der ADA-Gruppe jeden Morgen auf die Suche nach einem freien Arbeitsplatz machen", witzelt er.

Diese Meinung vertritt auch ein Leser der ComputerPartner-Online-News: "Also vielleicht bin ich ja etwas altbacken oder gar spießig mit meiner Vorstellung, dass ein Arbeitsplatz auch etwas mit Persönlichkeit zu tun hat. Mit einem Wohlfühlaspekt sozusagen. Ständig woanders untergebracht zu sein, die Hektik, überhaupt einen Platz zu kriegen, oder sei es auch nur die Suche nach einer Rolle Tesafilm" (siehe ComputerPartner-Online vom 09.01.2003 zu: "Flexibilität groß geschrieben: neuer Standort von Fujitsu Siemens Computers").

In der Tat sei das eigene Territorium einer der Punkte, die in den Unternehmen unterschiedlich gelöst werden, räumt OIC-Forscher Greisler ein. Nach wie vor gebe es viele Unternehmen, deren Führungsriege großen Wert auf die Einhaltung von Hierarchien lege. Hier lasse sich jedoch ein gesunder Mix zwischen nonterritorialen und fixen Arbeitsplätzen schaffen. So mancher Chef habe erst nach einer gewissen Zeit erkannt, dass das "Miteinander" seiner Kollegen sich verbessert hat und wolle in dieser Gemeinschaft nicht ausgeschlossen sein, gibt Greisler seine Erfahrungen wieder. Er habe im Bezug auf Raumbelegungen in einem offenen Konzept schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Auch große IT-Firmen erkennen diesen Trend.

Von der Theorie zur Praxis

Ein Weltunternehmen, das dieses System im Jahr 2000 auch in der deutschen Niederlassung in die Tat umgesetzt hat, ist Sun Microsys-tems. "Wir haben 1999 mit unserem Projekt ,Flexible Office‘ völliges Neuland betreten", erzählt Ulrich Pelda, Business-Development-Manager bei der Sun Microsystems GmbH. Heute - drei Jahre später - ist er stolz auf das, was er und seine damalige Projektgruppe zusammen mit den derzeit rund 900 Mitarbeitern aus diesem Projekt gemacht haben. Denn nicht nur die Raumplanung und die IT-Infrastruktur wollen geplant sein, auch die Mitarbeiter müssen mitziehen. In die neunmonatige Planungsphase wurde auch das Fraunhofer Institut involviert. Heute hat bei Sun Microsystems nur noch ein einziger Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz. "Und es ist nicht unser Firmenchef Herr Wilke, sondern einer unserer Techniker", hält Pelda der nahe liegenden Vermutung entgegen.

In der Vorbereitungsphase durchleuchtete Sun für die Niederlassung in Heimstetten auch Kosten für die IT-Landschaft. Es entstanden bei der Neuausstattung von 600 flexiblen Arbeitsplätzen Mehrkosten von knapp 40 Prozent gegenüber einer klassischen PC-Server-Lösung. Bei den jährlichen Betriebskosten sieht die Rechnung jedoch anders aus. Hier ist dagegen der Aufwand für intelligente PC-Arbeitsplätze 27-mal so hoch wie für die bei Sun installierte File-Server-Lösung mit Sun-Ray-Endgeräten. Eine TCO-Kalkulation über drei Jahre ergab bei Sun Microsys-tems somit Einsparungen in Höhe von knapp 50 Prozent.

Auch Computerriese IBM machte sich im Frühjahr 1998 erste Gedanken über ein flexibles Raumsys-tem. Lou Gerstner, Ex-Chef von IBM, brachte die Entscheidung auf den Punkt: "Wir müssen die Mauern zwischen unseren Mitarbeitern einreißen." Aus den damaligen Überlegungen wurde mit Unterstützung des Fraunhofer Instituts ein "Test am lebenden Objekt", so Michael Rupf, Projektmanager "E-Place" bei IBM. Auch hier hat die Deutschlandzentrale konsequent die Räume der Geschäftsführung in das Konzept integriert. Nach ersten positiven, aber auch negativen Erfahrungen, wie zum Beispiel Raumakustik und Privatsphäre, ist das Unternehmen heu-te für die Umsetzung der E-Place-Idee in weiteren Geschäftsstellen gewappnet.

Unternehmen müssen die Mitarbeiter unterstützen

Bevor die Mitarbeiter in eine nonterritoriale Arbeitsumgebung einziehen können, gibt es viele Punkte im Vorfeld zu klären. Nicht zu vergessen sei hierbei auch der Betriebsrat. Denn eines ist nach Aussage des OIC-Projektleiters klar: "Natürlich gibt es auch Szenarien, in denen Firmen neue Arbeitskonzepte für weniger mitarbeiterfreundliche Zwecke nutzen." So könnten auch Rationalisierungs-maßnahmen bei solchen Umstrukturierungen eine Rolle spielen. "Nach meinen Erfahrungen stehen die Betriebsräte diesem Konzept anfangs oft skeptisch gegenüber." Nach getaner Aufklärungsarbeit und dem gemeinsamen Ausarbeiten von Lösungen sei jedoch die Mehrzahl der Betriebsräte von dem Konzept überzeugt. Mitarbeiter, die in einer nonterritorialen Arbeitsumgebung ihren Tag verbringen, müssen umdenken. Kein eigener Arbeitsplatz, kein eigener PC, kein eigenes Telefon. "Hier muss man den Leuten helfen", meint Greisle. Ein wichtiger Punkt sei es, in den Büros eine angenehme Arbeitsumgebung zu schaffen. Der Fantasie sind hier fast keine Grenzen gesetzt. Pflanzen, Farben, Luft und Klima unterstützen den Wohlfühlaspekt. "Dann schafft man es, die Menschen von der Idee des nonterritorialen Arbeitens zu überzeugen", ist sich der Wissenschaftler sicher.

Trotz vieler Freiheiten bedarf es, um ein offenes Konzept für alle Beteiligten angenehm zu gestalten, auch der Einhaltung gewisser Regeln. So gibt es beispielsweise im Office Innovation Center die so genannte "Clean Desk Policy". Das heißt: Verlässt jemand länger als zwei Stunden seinen Arbeitsplatz, muss er ihn so hinterlassen, wie er ihn vorgefunden hat.

Auf diese wichtige Regel hatte auch Sun Microsystems seine Mitarbeiter in der Planungsphase vorbereitet. Drei Monate lang hieß das Motto: "Clean your desk". Jeder Mitarbeiter war angehalten, seinen Arbeitsplatz am Abend komplett leer und sauber zu verlassen. Dieses Ziel wurde von Seiten des Arbeitgebers mit Kursangeboten für Arbeitsorganisation unterstützt. "Eine solche Umstellung ist begleitet von Verlustängsten, denen man jedoch durch das Erzeugen von positiver Neugier und Erwartungen entgegentreten kann", erzählt Sun-Manager Pelda die damaligen Erfahrungen.

Früher Papier - heute der Server

Auch was die Arbeitsmittel be-trifft, kann sich in den Büros der Zukunft vieles ändern. Im Office Innovation Center hat beispielsweise jeder Mitarbeiter sein eigenes schnurloses Telefon, das er sich bei Arbeitsbeginn an der Caddy-Station abholt. In einem persönlichen "Caddy", der an einen Schreibtischunterschrank mit Rollen erinnert, sind die persönlichen Arbeitsunterlagen verstaut. Wer schon "entwöhnt" ist, kann sich auch nur mit einem Spind begnügen, in dem er sein Ar-beitsmaterial verstaut.

Wo bisher ein Hausbote die Post verteilte, könnte in Zukunft ein Popup-Menü den Empfänger über den in der Poststelle eingescannten Briefeingang informieren. Die Konsequenz daraus wären weni-ger gefüllte Papierkörbe, dafür aber mehr benötigter Festplattenspeicher. Dennoch sieht OIC-Mitarbeiter Greisle "die Technologie noch nicht so weit, dass man alles ohne Papier machen kann". Dieses Ziel werde sich erst in einigen Jahren verwirklichen lassen. Ansätze dazu gibt es bereits heute in vielen Unternehmen. "Bei der ADA-Orgaplus GmbH hat jeder unserer Mitarbeiter seinen eigenen digitalen Faxanschluss", nennt Schell ein Beispiel.

Auch die Heilbronner ADA-Orgaplus Systemhaus GmbH hat sich nach dem Besuch ihres Abteilungsleiters im Office Innovation Center Gedanken gemacht. "Es gibt bereits Kunden, die weggehen von intelligenten Einzelplatzlösungen. Dennoch braucht man im mobilen Arbeitsumfeld außer Haus immer noch Intelligenz auf der Maschine", schränkt Schell die derzeitigen Möglichkeiten ein. Darum sei es wichtig, jeden Kunden genau nach seiner Firmen- und Mitarbeiterstruktur zu befragen. "Denn eine Server-basierende Lösung macht nicht immer Sinn", ist Schells Meinung. Was die Verdienstmöglichkeiten bei Kunden mit einer offenen, mobilen IT-Landschaft betrifft, sieht er jedoch keinen großen Unterschied. "Das Geschäft verlagert sich nur von den Clients auf den Server. Auch der Server muss eingerichtet und gewartet werden", sagt Schell.

Für ihn und seine Heilbronner Kollegen der ADA-Orgaplus sieht er eine solche Arbeitsplatzlösung eher mit Skepsis. Er selbst brauche, um gewisse Entscheidungen zu treffen, ein Büro, wo er die Tür hinter sich zumachen könne, und habe keine Lust, innerhalb eines Tages von Büro zu Büro zu springen. "Eine solche Lösung kommt wohl doch nur für große Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern in Frage", meint er.

www.ada-orgaplus.de

www.oic.fhg.de

www.iao.fraunhofer.de

www.ibm.de; www.sun.de

Bitte lesen sie hierzu auch die beiden Kommentare auf Seite 8.

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