Das Prinzip Hoffnung regiert den elektronischen Handel

24.04.1998

MÜNCHEN: Innovationsfreudige Firmen wittern das große Geschäft im Internet. Die Folge: Auf der CeBIT war der "me-too"-Effekt deutlich zu spüren. Muß der IT-Fachhandel die zunehmende Konkurrenz durch virtuelle Computershops fürchten?

Schwindelerregende Marktprognosen für den Handel übers Internet verbreiten Goldgräberstimmung: Laut IDC steigt das Marktvolumen für Internet Commerce von einer Milliarde Dollar (1997) in Westeuropa auf 30 Milliarden Dollar im Jahr 2001. Für Deutschland rechnet Martin Haas, Analyst bei IDC in Kronberg, 1998 mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar. Seiner Einschätzung nach resultiert das Marktwachstum aus zwei Entwicklungen: Zum einen nimmt die Zahl der Internet-Käufer stetig zu, zum anderen geben die Käufer pro Transaktion immer mehr aus, weil die Sicherheitsmechanismen besser werden. "In Deutschland wird der Durchbruch allerdings erst in den nächsten zwei Jahren erfolgen, da die Akzeptanz bei den WWW-Nutzern noch nicht so groß ist und das Angebot deutscher Unternehmen recht dürftig ausfällt", schätzt Haas die Situation ein. Ganz so weit wie die amerikanischen Vorbilder Dell oder Cisco sind die Firmen hier also noch nicht, die den Aufbruch in die schöne neue Handelswelt wagen. Trotzdem ist unverkennbar, daß neue Firmen im Internet dem traditionellen IT-Handel Umsatzanteile abjagen wollen.

Alexander Holl sieht deswegen langfristig schwarz für die Zukunft des Computerfachhandels. Der Marketingdirektor von ECRC Network Services GmbH in München ist überzeugt, daß der elektronische Handel eine große Chance für mittlere Unternehmen und Großhändler birgt. Der Einzelhandel wird seiner Meinung nach in Zukunft Federn lassen müssen, weil sich viel Umsatz auf den elektronischen Marktplatz verlagern wird. Branchenbeobachter glauben, daß gerade PCs, Software und Peripherie-Geräte für den Handel über das Netz prädestiniert sind. Nicht nur, weil die meisten PC-Produkte standardisiert sind, sondern auch weil die computerinteressierten Käufer das Internet und damit den elektronischen Einkauf am ehesten nutzten. Die bange Frage, was dann mit dem IT-Einzelhandel passiert, stellt sich unweigerlich.

Schon jetzt ist klar, daß Kunden vor allem darum im Internet kaufen, weil sie dort mit einem günstigeren Preis rechnen. Schließlich empfehlen Webagenturen Kunden, die einen Online-Shop einrichten, sich vom "normalen" Handel zu differenzieren - und zwar über den Preis. Und dann erst über das Produktangebot und über den Vorteil, 24 Stunden täglich erreichbar zu sein.

Staat fördert Mittelstand beim Einstieg in E-Commerce

Prinzipiell prophezeien zwar alle Analysten dem Business-to-Business-Segment ein stärkeres Wachstum als dem Geschäft mit Verbrauchern (Business-to-Consumer), trotzdem springen derzeit viele kleine Unternehmen auf den Zug in die virtuelle Handelswelt auf. Das kommt wiederum den Software-Anbietern für Online-Stores zugute. Sie ködern die Glücksritter des E-Commerce mit günstigen Einstiegslösungen. "Vor einem Jahr empfanden die Besucher das ganze Thema noch als schwammig und haben nur geschaut. Jetzt kaufen die Leute E-Commerce-Lösungen", spürte Jörg Anhalt den Trend auf der diesjährigen CeBIT. Großes Interesse stellte der Vertriebsdirektor der Intershop Communications GmbH bei kleineren Unternehmen und bei Existenzgründern fest, weil das Anfangsrisiko bei einem virtuellen Laden eben geringer ist als im richtigen Leben.

BVB und KMPG stellten Studie vor

Gefördert wird das Interesse für den elektronischen Handel auch vom Staat. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte den Wettbewerb "Electronic Commerce im Mittelstand" ausgeschrieben. In Hannover überreichte dann Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt die Preise und sicherte so dem Thema die öffentliche Aufmerksamkeit. Verbände und Unternehmen nutzten die Messe als Forum, um die Ergebnisse von Studien zum Thema digitaler Vertrieb vorzustellen.

"Electronic Commerce boomt!" war die Kernaussage des BVB Bundesverband Informations- und Kommunikations-Systeme e.V., der zusammen mit der "Wirtschaftswoche" eine Umfrage unter 102 Mitgliedsunternehmen durchgeführt hatte. Fast 80 Prozent bieten ihre Produkte und Dienstleistungen bereits übers Netz an. 42 Prozent verkaufen bereits direkt über das WWW. Und "bereits jedes elfte Unternehmen erzielt heute mehr als 15 Prozent seines Umsatzes via E-Commerce", so der BVB.

Die Beratungsgesellschaft KMPG legte ebenfalls die Ergebnisse ihrer Studie "Electronic Commerce - Status und Perspektiven '98" vor: Demnach ist der elektronische Handel "auf dem Weg der Etablierung". Das in der vorangegangenen Studie ausgemachte Hauptproblem "Sicherheit" ist laut KMPG "mittlerweile ein weitgehend beherrschbares Problem". Der Mittelstand ist noch nicht so aktiv wie Klein- und Großunternehmen. Außerdem weicht die technologisch geprägte Diskussion des Themas einer betriebswirtschaftlichen. Als wichtigstes Ergebnis sieht KMPG, daß fehlende

E-Commerce-Aktivitäten in einigen Branchen mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Organisationen gefährden können. Gerade der IT-Fachhandel bleibt von der Konkurrenz durch Online-Shops nicht verschont. "Compunity" zum Beispiel, ein virtueller Computershop, der vom Ex-Compuserve-Chef Felix Somm aufgebaut wurde, rechnet für dieses Jahr mit einer halben Million registrierten Mitgliedern. Somm will in fünf Jahren 14 Millionen Mark Umsatz erwirtschaften (siehe ComputerPartner 4/98, S. 26). Um das Feld nicht tatenlos diesen neuen Mitspielern zu überlassen, stellen viele Fachhändler ihre Angebote selbst ins Netz. Antonin Jelinek, Inhaber von Jelinek Computer Products in Darmstadt, bietet seit vier Monaten alle Produkte seiner Firma auch im Internet an. "Wir machen das, damit wir präsent sind, aber Geld kann man damit nicht verdienen. Trotz gut gebauter und gepflegter Seiten kommt nichts rein", winkt er ab. Er sieht deswegen dem angeblichen Boom gelassen entgegen: "Ich habe viele Kunden, die lieber etwas mehr Geld für Produkte zahlen, weil sie wissen, daß ich im Problemfall um die Ecke bin." Ganz anders beurteilt Harald Wiegand den Einstieg ins Online-Geschäft. Der Inhaber von Wiegand Büro- und Datentechnik in Melsungen, hält ihn nicht für sinnvoll. "Damit würde ich mir nur das eigene Wasser abgraben", meint er. "Ich gehe lieber zu einem Handwerker und verkaufe eine Lösung, als daß ich meine Zeit mit dem Pflegen von Internetseiten verschwende." (is)

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (Mitte) will den Mittelstand fit für den elektronischen Handel machen.

Jörg Anhalt, Vertriebschef bei Intershop Communications GmbH: "Statt nur zu schauen, kaufen die Interessenten jetzt."

Der neue Markt "Internet Commerce" sorgt für Goldgräberstimmung.

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