Das Systemhaus der Zukunft: individuell und vernetzt

12.09.1999
STUTTGART: Wer sich heute Systemhaus nennt und auch wie ein solches arbeitet, hat trotzdem keine Lizenz zum Überleben gepachtet. Fabian von Kuehnheim hat sich Gedanken zur Entwicklung und Position der Systemhäuser gemacht und erklärt, warum es eben nicht reicht, in Zukunft nur Systemhaus zu sein.

Während es Systemhäuser in der IT-Branche bereits seit vielen Jahrzehnten gibt, waren die 80er Jahre geprägt vom Aufkommen des Computerhandels. Der Computerhandel positionierte sich dabei gerne selbst als Systemhaus, obwohl sein Leistungsangebot kaum mehr als das Installieren und Anschalten eines PCs umfaßte. Trotzdem hat der Kunde lange gebraucht, hier Schein und Wirklichkeit zu unterscheiden und ein Verständnis für echte Systemhäuser zu entwickeln. Durch die permanent zunehmende Kompetenz des Kunden in IT-Fragen hat der Computerhandel in den 90er Jahren den Großteil seiner Bedeutung wieder verloren. Als Vermarktungsinstrument spielt er heute ausschließlich im Bereich der Consumer und der sehr kleinen kommerziellen Kunden noch eine Rolle. Dagegen kaufen mittelgroße und sehr große kommerzielle Kunden heute ihre Standardprodukte meist wieder direkt vom Hersteller oder über sehr große überregionale Systemintegratoren.

Das klassische Systemhaus dagegen konnte auf Basis seiner Fachkompetenz die Bedeutung als Lieferant von anspruchsvollen Lösungen wieder zurückgewinnen und sogar ausbauen. Diese Entwicklung gibt gleichzeitig auch den Trend für die nächsten Jahre vor. Das Systemhaus hat von allen Marktteilnehmern im IT-Markt wahrscheinlich die stabilsten und besten Wachstumsaussichten, solange es in der Lage ist, den Kunden seine individuelle maßgeschneiderte Lösung zur Verfügung zu stellen.

DAS PENDEL SCHLÄGT ZURÜCK

Nachdem die 90er Jahre - jenseits der Entwicklung im Computerhandel - auch geprägt waren durch das Aufkommen von großen Softwareanbietern mit Standardlösungen, wie zum Beispiel SAP oder Oracle, und damit erheblicher Druck auf kleinere Systemhäuser ausgeübt wurde, schlägt derzeit auch in diesem Bereich das Pendel wieder zurück zugunsten des auf individuelle Kundenlösungen konzentrierten Systemhauses. Die Zeit der nackten Standardlösungen geht zu Ende, da viele Kunden dieser Standardlösungen erkannt haben, daß diese oft eine Optimierung der eigenen Prozesse im Hause eher begrenzen als fördern und andererseits ihnen die Differenzierungsmög- lichkeiten gegenüber ihren Wettbewerbern, die die gleiche Standardlösung einsetzen, nehmen.

Nicht zuletzt erleben viele Anwender, daß die unter dem Deckmantel der SAP-Einführung durchgeführte Reorganisation des Unternehmens zwar eine SAP-, nicht aber unbedingt kundengerechte Ausrichtung zur Folge hat. Dieser Trend bedeutet nicht ein Verschwinden der Standardlösungen zugunsten von Individuallösungen, sondern vielmehr werden die nächsten Jahre von der Individualisierung der Standardlösungen geprägt sein. Das heißt, die großen Lösungsanbieter werden sich auf die Entwicklung der Kernlösungskomponenten konzentrieren, aber mangels eigener Ressourcen und auch eigener Kompetenz immer stärker die Individualisierung der Lösung den Systemhäusern überlassen. Die Individualisierung wird dabei teilweise so weit gehen, daß für bestimmte Teilbereiche selbständige Teillösungen in eine Gesamtlösung integriert werden.

Dabei werden Mindestanforderungen an Systemhäuser bezüglich ihrer Größe, Leistungskraft und Technologiekenntnis gestellt werden. Systemhäuser, die nicht eine untere Mindestgröße erreichen, werden in diesen Märkten relativ schlechte Überlebensbedingungen vorfinden. Andererseits erwarten wir, daß der Anteil der ganz großen Systemhäuser am Markt eher zurückgeht, da derartige Unternehmensgrößen meistens wieder zur Standardisierung verleiten und damit dem Individualisierungswunsch des Kunden entgegenstehen werden.

FLEXIBLITÄT UND KNOW-HOW SIND GEFRAGT

Systemhäuser werden in Zukunft nur überleben, wenn sie sich mit ihrem Know-how flexibel auf neu entstehende Märkte und entsprechende Technologien konzentrieren. Dabei wird das "Networking" mit anderen Lösungsanbietern an hoher Bedeutung gewinnen, denn nur die individuelle Zusammensetzung von Teams aus Lösungsanbietern wird es erlauben, dem Kunden seine spezifischen Lösungen zu liefern. Gleichzeitig wird dieser allgemeine Trend zur vernetzten Gesellschaft unterstützt durch neue Technologien, die die Entwicklung von Komplettlösungen durch die Vernetzung von Einzellösungskomponenten erlauben.

Outsourcing ist ein Muss

Je erfahrener also der Endkunde in IT-Fragen wird, desto höher wird seine Forderung nach auf ihn individuell zugeschnittenen komplexen Lösungen sein, die seine direkte Wettbewerbsfähigkeit am Markt erhöhen. Diejenigen Systemhäuser, die sich dieser Herausforderung stellen, werden die großen Gewinner der nächsten Jahre sein. Dazu ist insbesondere notwendig, daß sich diese Systemhäuser auf das konzentrieren, was ihr wirklicher Lösungsmehrwert ist und Randtätigkeiten möglichst abgeben oder outsourcen. Die besondere Anforderung an das Systemhaus wird dabei sein, sowohl die Lösungskernkompetenz zu besitzen als auch weiterhin die umfassende Kompetenz als Systemintegrator gegenüber dem Kunden aufbringen zu können. Die Lösung dieses Dilemmas wird letztendlich nur dann möglich sein, wenn das Systemhaus selber wiederum große Tätigkeitsbereiche, die für die Systemintegration notwendig sind, auslagert, aber dem Endkunden gegenüber falls erforderlich als alleinverantwortlicher Generalunternehmer auftreten kann. Die Generalunternehmerschaft ist von besonderer Bedeutung im Mittelstandsmarkt, dem derzeit wachstumsstärksten IT-Anwendersegment.

DIE ZAHL DER MARKTTEILNEHMER WÄCHST

Der Outsourcing-Druck auf das Systemhaus stellt damit auch entsprechende Forderungen an die Vorlieferanten des Systemhauses. Das heißt, es entsteht hier ein klassischer Konflikt zwischen dem Wunsch des Systemhauses, bestimmte Funktionen auf den Vorlieferanten abzuwälzen und andererseits dem kommerziellen Druck der Hersteller, sich ihrerseits auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und immer mehr Funktionen an den Partnerkanal abzugeben. Diese Anforderungslücke stellt gleichzeitig die Existenzberechtigung von Value-Added-Distributoren sicher, die dann am erfolgreichsten operieren werden, wenn sie diese Änderungen im Anforderungsprofil sowohl ihrer Hersteller wie ihrer Systemhauskunden aufnehmen. Damit können sie entsprechende Mehrwerte entwickeln und somit die Outsourcing-Funktionen sowohl für den Hersteller als auch das Systemhaus übernehmen. Dabei wird der Value-Added-Distributor seinerseits bestimmte Funktionen wiederum an andere Dienstleister im Unterauftrag outsourcen müssen.

Diese Entwicklung rundet das Bild eigentlich erst ab, denn am Ende weisen alle diese Entwicklungen auf nichts anderes als eine weitere Segmentierung des Marktes hin. Eine weiter wachsende Anzahl von Marktteilnehmern wird sich auf eine immer kleinere Anzahl von Kernkompetenzfeldern konzentrieren. Das Fazit kann nur lauten, daß die nächsten zehn Jahre von einem deutlichen Trend zu mehr untereinander vernetzten Systemhäusern mit höherem Kompetenzlevel geprägt sein werden.

* Fabian von Kuehnheim ist Vorstandsvorsitzender der Magirus AG in Stuttgart.

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