"Das Thema noch nicht angenommen"

16.09.2004
Seit über zehn Jahren schon versprechen die Hersteller den großen Durchbruch für Videokonferenzen. Wo im Handel noch vielfach Skepsis herrscht, ist das Thema in vielen Unternehmen längst Realität, weiß Polycom-EMEA-Vize Doris Albiez. Von ComputerPartner-Redakteur Klaus Hauptfleisch

"Übermodel" Heidi Klum lobte vor kurzem bei Reinhold Beckmann die Qualität von Apples Videokonferenzsystem iChat, die ihr ihren neuen Freund, den Sänger Seal, in Echtzeit und ohne schrecklich klingendes "bua-hu-ha" so nahe bringe wie im Fernsehen. Ist an dem Thema vielleicht doch etwas dran?

"Videokonferenzen oder Magengeschwüre: Was bricht durch?", schrieb ComputerPartner-Chefredakteur Damian Sicking Mitte Juni 2004 in einem seiner berühmt-berüchtigten offenen Briefe als Ausdruck tiefer Skepsis, die sich auch im Handel widerspiegelt.

Kein Traum mehr, sondern Realität

Davon lässt sich Doris Albiez, seit Oktober 2002 Regional Vice President bei Polycom, nach eigenen Aussagen führender Anbieter von Videokonferenz- und "Unified Collaborative Communications"-Lösungen, nicht beirren. Denn Video-Conferencing sei nicht mehr nur ein ferner Traum, sondern längst Realität in vielen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. So berichtet sie über die "AI Lectures from Toyko", eine Reihe von Vorlesungen von dem AI-Papst (Artificial Intelligenz) Rolf Pfeifer, denen Ende 2003 aus Tokio per Videokonferenz über 8.000 Studenten in Europa beiwohnen konnten. "Die Universitäten leben es vor, und dann kommen auch die Endkunden", ist Albiez überzeugt und verweist auf das Polycom-Produkt "Viavideo", mit dem Notebook-Besitzer einfache Videokonferenzen abhalten können. Textilhersteller suchten ihre Stoffe über spezielle Videokonferenzlösungen aus, bei Strafprozessen müssten Zeugen nicht mit aufwändigen Sicherheitsmaßnahmen ins Gericht gebracht werden, von der Zeit- und Reisekostenersparnis für Geschäftsleute ganz zu schweigen.

"Restlos begeistert" hat Albiez vom ersten Tag an die Qualität, in der Audio- und Videokonferenzen mit den Produkten von Polycom möglich sind. Software und Hardware wie Digitalmikrofone und Kameras kommen alle aus einer Hand. "Wir sprechen hier von Hi-Fi- und nahezu DVD-Qualität", triumphiert sie und nennt ihren Start bei Polycom "einen der interessantesten Zeitpunkte" in ihrer mehr als 20-jährigen Karriere (siehe Kasten).

Jede Menge Firmenkäufe

Strategische Akquisitionen wie Viavideo (IP-basierendes Videosystem) 1998, Picturetel (PC-basierend) 2001 und Voyant Technologies (Audiokonferenzen und Collaboration-Netzwerklösungen) im Januar 2004 haben Polycom tatsächlich zu einem der marktführenden Unternehmen gemacht. 420,4 Millionen Dollar hat Polycom 2003 umgesetzt; im ersten Halbjahr 2004 waren es 253 Millionen Dollar (Vorjahr: 192,4 Millionen Dollar). Videokonferenzsysteme haben im zweiten Quartal 2004 rund 53 Prozent zum Umsatz beigetragen, Netzwerksysteme 27 Prozent, Audiokommunikation 20 Prozent.

Albiez zufolge liegen die Durchschnittspreise für Polycoms Videokonferenzsysteme bei 3.000 Dollar, die für Audiobrücken mit bis zu 7.000 Teilnehmeranschlüssen bei 50.000 Dollar. Die Preisspanne für Videosysteme reiche von 300 bis 60.000 Dollar. "Mit unseren Produkten lässt sich richtig gut Geld verdienen; es ist ein Thema, das sexy ist. Die Margen sind traumhaft", schwärmt Albiez, räumt aber ein: "Der IT-Handel hat Videokonferenzen nur noch nicht richtig angenommen." Um das zu ändern, verhandelt sie mit Spezial-Distributoren und Broadlinern gleichermaßen. Für höherwertige Lösungen brauche es aber eine Handelslandschaft, die Netzwerkexpertise besitze. Denn der Trend gehe eindeutig weg von TK hin zur IT, von ISDN und analog hin zu IP.

Meinung des Redakteurs

Videokonferenzsysteme werden in vielen großen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen bereits erfolgreich eingesetzt. Dass der breite IT-Handel das Thema noch nicht so richtig erkannt hat, mag daran liegen, dass Highend-Lösungen oft an ihm vorbeigehen und die ersten Produkte, die auf den Markt kamen, nur wenig überzeugten. Um das zu ändern und alte Vorurteile abzubauen, hat Polycom Doris Albiez an Bord geholt. Den Markt kann sie nicht machen, aber mit ihren Kontakten und ihrem Elan schafft sie es ja vielleicht doch noch, den Handel für Videokonferenzen zu begeistern. Schließlich winkten "traumhafte Margen".

Zur Person

Doris Albiez

Kaum eine Frau ist in der deutschen IT-Branche so bekannt wie Doris Albiez. Ihre ersten beruflichen Erfahrungen nach ihrer Ausbildung zur Speditionskauffrau sammelte sie 1980 bei IT-Herstellern wie Digital Equipment und Hewlett Packard, bevor sie als Vertriebsleiterin bei IOP Information Systems zum Karrieresprung ansetzte, den sie 1993 bei dem Münchener Distributor Macrotron fortsetzte. Zunächst bekleidete sie dort den Posten als Vertriebsleiterin; mit der Übernahme von Macrotron durch Ingram Micro stieg Albiez zum Vice President für Vertrieb und Marketing auf. Nach massiven Umstrukturierungsmaßnahmen unter der neuen amerikanischen Konzernmutter kam dann 1998 der überraschende Wechsel zu dem sich mit Artifical Intelligence befassenden Startup-Unternehmen Ravenpack AG als General Manager. Bevor sie im Oktober 2002 dem EMEA-Team von Polycom als Regional Vice President beitrat, war Albiez zuletzt D-A-CH-Country-Manager bei dem Collaboration-Anbieter iManage.

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