Daten- und Sprachübertragung aus einer Leitung

06.10.1998

MÜNCHEN: Alles, was boomt, hat seine Neider: so auch ISDN. Die einen heben das digitale Netz in den Himmel. Andere wiederum sagen ihm eine düstere Zukunft voraus. Neue Übertragungstechnologien bedrohen den ISDN-Thron. Doch der Handel ist zuversichtlich. Die Geschäfte mit ISDN gehen gut, und ISDN ist so lebendig wie nie zuvor."ISDN ist erst dann aus dem Rennen, wenn es Strom, Gas, Telefon über eine einzige Leitung gibt", prophezeit ein Mitarbeiter der Leipziger WBS Computer- und Büroservice GmbH.

Ungeachtet der vielen Unkenrufe, die ISDN einstecken mußte, hat sich das Integrated Services Digital Network in immer mehr Büros und seit einiger Zeit auch in die Privathaushalte eingenistet. Dienste wie Faxen vom PC aus, Datenversand, Anklopfen, Makeln oder einfach nur die Nummer des Anrufers auf dem Display fallen heute nur mehr auf, wenn sie einmal nicht verfügbar sind.

Dabei hatte ISDN zu Anfang seiner Karriere ziemliche Schwierigkeiten, überhaupt als neuen Standard Fuß zu fassen. Die Skepsis der Kunden gegenüber der neuen Technologie und die Kosten für den Umstieg waren schlichtweg zu groß. Heute ist ISDN kurz davor, ein Massenprodukt zu werden. Nicht zuletzt, weil es trotz gestrichener Fördergelder inzwischen erschwinglich ist.

Der Kunde kommt über das Internet zu ISDN

Das permanente Wachstum von ISDN merkt auch der IT-Handel, denn immer häufiger fragen Kunden nach Lösungen, die alles abdecken: EDV und Telekommunikation.

"Die meisten Interessenten haben zuerst einen Internetzugang. Sie fangen dann an, ziemlich schnell nach einer kostengünstigeren Alternative zu suchen, online zu sein - und finden zu ISDN" berichtet Achim Wiedemann, Geschäftsführer von Rhein PC in Emmeltshausen. "Seit ungefähr einem halben Jahr ist die Nachfrage bei uns wesentlich größer geworden", weiß ein Mitarbeiter der Firma WBS Computer und Bürotechnikservice GmbH aus Leipzig zu berichten. "Und das Interesse kommt nicht nur aus dem geschäftlichen Segment, sondern auch immer häufiger aus dem privaten - vor allem ISDN-Karten und Telephonie sind gefragt." Als Gründe dafür nennt er die immer günstiger werdenden Kosten für Sprach- und Datenübertragung. "Wenn die Kosten auf der einen Seite günstiger werden, sind die Kunden mehr bereit, in eine neue Technologie zu investieren", ergänzt der Spezialist.

Trotzdem hat ISDN weltweit nach Meinung von Wiedemann und Kollegen keine Zukunft: "ISDN ist zu langsam. Die Amerikaner arbeiten nach wie vor analog und fahren damit besser. Aber in Deutschland und Europa kommen wir um ISDN nicht herum."

ISDN - Zusatzgeschäft? Nicht mit Dienstleistungen

Doch auch in Deutschland scheint das Zusatzgeschäft mit ISDN nicht so leicht zu realisieren sein. "Mit ISDN kann man kein Geld im Dienstleistungsbereich mehr verdienen", beschwert sich der Leiter des technischen Backoffice eines Böblinger Systemhauses, "mit Hardware ja, aber nicht mit Dienstleistungen, noch dazu im High-end-Bereich." Für ihn liegt es auf der Hand: ISDN wird mehr und mehr zum Massenprodukt, da die Handhabung der Produkte immer einfacher wird. Das sieht Distributor Julian Riedlbauer ganz anders. "Insbesondere ISDN-Produkte im höherwertigen Bereich werden verstärkt nachgefragt. Der Fachhändler kann gutes Geld verdienen, wenn er nicht den Massenmarkt anspricht. Zum Beispiel durch den Verkauf eines kompletten Paketes bestehend aus modularer TK-Anlage, etwa mit CTI (siehe Artikel Seite 52), ISDN-Anschluß, ISDN-Router für das Internet und später dann vielleicht einen alternativen Festnetzbetreiber. Mit entsprechender Dienstleistung bleibt beim Händler einiges hängen" ist Julian Riedlbauer, Chef der Connect Service Riedlbauer GmbH in Krefeld, überzeugt.

Ohne Schulung keine Spezialisten

Für ein derartig ausgefeiltes Angebot braucht man allerdings geschulte Leute. Spezialisten sind teuer und im Moment ziemlich rar gesät. Deshalb heißt es: die eigenen Mitarbeiter auf dem neuesten Kenntnisstand zu halten. Nur regelmäßige Weiterbildung ermöglicht den Wissensstand, der eine fundierte Beratung der Kunden gewährleistet. Nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts TechConsult aus Kassel belegen 26 von 35 befragten Systemhäusern ihre Kurse direkt bei den Herstellern, nur fünf Systemhäuser lassen sich bei privaten Seminaranbietern weiterbilden. Der Rest verteilt sich auf Distributoren und Verbände. Für ISDN-Spezialisten eröffnet sich hier noch ein weiteres Zusatzgeschäft.

Zielgruppe von Komplettangeboten samt dem entsprechenden Know-how sind inzwischen eher die kleinen und mittleren Betriebe. "Große Firmen suchen mehr und mehr nach Übertragungsalternativen", klagt ein ISDN-Händler aus Köln. Die Alternativen zu ISDN könnten neue Technologien, wie ADSL oder XDSL (siehe Glossar Seite 51) sein. Manche Marktkenner handeln die DSL-Technologien als Nachfolger von ISDN.

In dieser Hinsicht allerdings winkt Riedlbauer heftig ab: "Die Ablösung von ISDN durch XDSL ist eine völlig falsche Einschätzung. ADSL ist eine Ergänzung zu ISDN oder auch zur analogen Telefonleitung. ADSL eignet sich für einen Internet- oder Datenzugang zu einer Gegenstelle, nicht aber für Fax, Sprache und Datentransfer zu unterschiedlichen Punkten. Außerdem wird es mehrere Jahre dauern bis ADSL flächendeckend verfügbar ist."

Bengt Lundin, Managing Director Europe von Orckrit Communications, pflichtet ihm bei: "In Deutschland wird ADSL keinesfalls ISDN ersetzen. Hierzulande werden ISDN-Leitungen weiterhin für Sprachübertragungen verwendet."

ISDN wird in den nächsten fünf Jahren sicherlich nicht den plötzlichen Tod sterben. Die Zielgruppe hat sich zwar von den großen Firmen auf die kleinen und mittelständischen verlagert, doch Marktpotential ist nach wie vor reichlich da. Dennoch heißt es gerade bei ISDN: den Markt beobachten und schnell reagieren. (gn)

Julian Riedlbauer sieht die Chance zum Zusatzgeschäft im ISDN-Markt bei den Komplettlösungen.

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