Der bleifreie PC kommt - aber er wird teuer

25.11.2004
Die EU will ab Juli 2006 Blei in elektronischen Geräten verbieten. Das klingt nicht dramatisch, wird aber gravierende Auswirkungen auf Industrie und Handel haben. Von ComputerPartner-Redakteur Hans-Jürgen Humbert

Der ideale "Klebstoff", um elektronische Bauelemente miteinander zu verbinden, ist Lötzinn. Vom Handy bis hin zum Supercomputer sorgt Lötzinn für die optimale elektrische Verbindung. Und genau dieses Lötzinn hat die EU im Visier. Mit einer Verordnung zum Umweltschutz soll das Blei ab Mitte 2006 verboten werden. Denn es ist schädlich für die Umwelt und fällt bei der Verschrottung von IT-Equipment in erheblichen Mengen an.

Die Verordnung hat jedoch weit reichende Konsequenzen für Hersteller, Handel und Verbraucher: Die Produkte werden teurer, die Lebensdauer der Komponenten sinkt, und es wird weiterhin eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Geräten geben.

Als Ersatzstoff für Blei hat sich die deutsche Industrie Silber ausgesucht. Dass Silber teurer als Blei ist, dürfte jedem sofort klar sein. Aber es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Die Schmelztemperatur des "neuen" Lotes liegt um ungefähr 40 Grad Celsius über jener des alten. Die Komponenten auf der Platine müssen für einwandfreie Lötstellen höher erhitzt werden, was deren Lebensdauer senken kann. Außerdem ist der Ausschuss bei der Produktion größer. Dadurch steigen die Fertigungs-kosten, die die Industrie wohl oder übel an den Verbraucher weitergeben wird.

Um weiterhin auch billige Hardware anbieten zu können, haben sich die Hersteller eine weitere Lötzinn-Variante ausgeguckt: Eine Zinn-Wismut-Legierung schmilzt schon bei 148 Grad, etwa 40 Grad niedriger als heutiges Lötzinn. Von Temperaturstress bei den Bauteilen kann hier keine Rede mehr sein. Aber das mechanische Verhalten dieser Lötstellen lässt jetzt zu wünschen übrig. Geräte, die mit diesem Material zusammengebaut wurden, besitzen nur einen eingeschränkten Temperaturbereich. Thermischen Belastungen sind diese Lötstellen und damit auch die ganzen Geräte nicht gewachsen.

Als Grund für die Verbannung von Blei aus elektronischen Geräten führt die EU gern den Umweltschutz an. Laut Expertenmeinung bringt dieser Schritt aber nichts für die Ökologie. Der Ersatzstoff Silber ist in gelöster Form ein noch stärkeres Gift als Blei, und die höheren Energiekosten bei der Herstellung tragen ebenfalls nicht dazu bei, die Umwelt zu entlasten.

Silberlot: Die deutsche Industrie hat sich für die teuerste Version mit silberhaltigem Lötzinn entschieden. Neben dem höheren Preis spielt jetzt auch noch der Schmelzpunkt der neuen Legierung eine gewichtige Rolle. Moderne Leiterplatten werden nicht mehr von Hand gelötet, sondern über so genannte Schwallbäder mit flüssigem Lötzinn geleitet, wobei alle vorher bestückten Bauteile sozusagen in einem Rutsch verlötet werden.

Wegen des höheren Schmelzpunktes der Silberlegierung muss beim neuen Lötzinn auch die Badtemperatur erhöht werden. Die hohe Temperatur stresst aber die elektronischen Bauteile. Besonders empfindlich reagieren Halbleiter, wie CPUs, Controller und Speicherbausteine, auf die Wärmebehandlung. Elektrolyt-Kondensatoren mögen es ebenfalls lieber kühl. Grund: Elektrolyt-Kondensatoren, kurz Elkos genannt, sind mit einer Flüssigkeit gefüllt, die bei Erwärmung verdampfen kann. Dann verliert der Elko an Kapazität, schlimmstenfalls kann er sogar explodieren.

Die Industrie sucht inzwischen nach Möglichkeiten, den Elko vor der übermäßigen Erwärmung zu schützen. Eine Unterlage zwischen Bauteil und Platine könnte diese Aufgabe übernehmen, würde aber extra Kosten verursachen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin komplett auf Elkos zu verzichten. Heute gibt es bereits keramische Kondensatoren mit Werten bis zu zehn Mikrofarad. Aber diese sind wesentlich teurer als Elkos und werden deshalb nur in wirklich hochwertigen Geräten eingesetzt.

Zinn-Wismut-Legierung: Diese besitzt den niedrigsten Schmelzpunkt, ist relativ billig, aber nicht temperaturfest. Deshalb wird diese Legierung in Zukunft hauptsächlich in preiswerten Consumer-Produkten zu finden sein. Diese sind dann nur in einem eingeschränkten Temperaturbereich einsetzbar. Wie sich die Legierung im Langzeitversuch verhält, bleibt abzuwarten.

Zinn-Zink-Legierung: Deren Schmelzpunkt liegt mit 199 Grad noch am nächsten am heutigen Lötzinn. Sie wurde von der Industrie aber nicht in die engere Wahl gezogen, weil eine Paste aus dieser Legierung zu schnell trocknet. Das Trocknungsverhalten des Lötzinns ist wichtig bei der Bestückung von SMD-Bauteilen. SMD steht für Surface Mounted Device, damit werden Bauteile ohne Anschluss-Pins bezeichnet, die direkt auf die Platine aufgelötet werden.

Werner Jillek, Professor an der FH Nürnberg, erforscht das Langzeitverhalten dieser preiswerten Alternativ-Legierung. Seinen Untersuchungen zufolge erreicht diese Legierung mit gewissen Einschränkungen in etwa die Eigenschaften herkömmlichen Lötzinns.

Weiterführende Informationen zum Thema Bleifreies Löten: Verbund Ingenieur Qualifizierung GmbH Nürnberg. Infos: www.verbund-iq.de.

Die verschiedenen Lote

Heutiges Lötzinn besteht aus ungefähr 60 Prozent Zinn und 40 Prozent Blei. Das Blei wird dem Zinn beigegeben, um den Schmelzpunkt auf etwa 183 Grad Celsius herabzusetzen und das Benutzungsverhalten der Legierung zu verbessern.

Als Ersatzstoffe für das Blei bieten sich Silber, Kupfer, Zink und Wismut an. Alle diese Stoffe haben Vor- und Nachteile: Wegen des Silberanteils sind Zinn-Silber-Kupfer-Legierungen um einiges teurer und besitzen einen weitaus höheren Schmelzpunkt, rund 220 Grad. Zinn-Zink-Legierungen sind kostengünstig und schmelzen schon bei etwa 199 Grad, sie lassen sich aber schwerer verarbeiten. Den niedrigsten Schmelzpunkt mit 148 Grad weisen Zinn-Wismut- Legierungen auf. Sie sind preiswert, erlauben aber keine Temperaturbelastungen. JH

Zur Startseite