Vinci- und Axians-Manager Burim Mirakaj und Jacques Diaz

"Der Channel wird in fünf Jahren deutlich anders aussehen"

Regina Böckle durchforstet den Markt nach Themen, die für Systemhäuser und Service Provider relevant sind - oder es werden könnten - und entwickelt dazu passende Event-Formate.

"Die Systemhauswelt der Zukunft ist nicht schwarz-weiß, sondern hybrid"

ChannelPartner: Klaus Weinmann, CEO von Primepulse und Mitgründer von Cancom, bestreitet, dass die Transformation vom Systemhaus zum Cloud Application & Service Provider möglich ist. Systemhäuser blieben an irgendeiner Stelle in der Transformation stecken. Wie betrachten Sie die Lage?

Jacques Diaz: Cloud Computing verändert das Geschäftsmodell und die Erlösquellen klassischer Systemhäuser so radikal, dass eine komplette Transformation in Richtung Public Cloud einer Neuerfindung der Systemhäuser gleichkommt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die mit dem "alten Geschäftsmodell" immer noch ausreichend erfolgreichen Organisationsteile die eigentlich nötige Transformation abbremsen oder gar verhindern. Wenige Unternehmen sind so konsequent, ihr eigenes Geschäftsmodell dieser Disruption so radikal zu unterwerfen.
Dabei sind dann jüngere und kleinere Systemhäuser, die als Cloud-only-Partner für Microsoft, AWS, Google & Co. agieren, mit Sicherheit schneller und sie müssen sich ja nicht neu erfinden, denn sie sind ja "born in cloud" - da müssen keine "alten Zöpfe" abgeschnitten werden.

Mit Blick auf den Kundenbedarf und das Dienstleistungsgeschäft sagen wir aber ganz klar: Die Systemhauswelt der Zukunft ist nicht schwarz-weiß, sondern hybrid! Das heißt, genau durch hybride Szenarien aus On-Prem, Public Cloud, Co-Locationing und Managed Services erhalten Systemhäuser ihre Wettbewerbsfähigkeit.

ChannelPartner: Im Umkehrschluss würde das bedeuten: "Hybride" Systemhäuser sind jedem noch so erfolgreichen Born-in-Cloud-Partner oder Cloud Application Service Provider überlegen...

Jacques Diaz: Wenn ich das Beste aus allen Welten beherrsche, kann ich für meinen Kunden einen unschätzbaren Mehrwert liefern, den kein Cloud-only-Partner bereitstellen kann. Ich kann seine IT-Investments und Service Roadmap optimal begleiten, ihm helfen, Risiken und Fehlinvestments zu vermeiden, und vielleicht das Wichtigste: seine Entscheidungsfreiheit in der Systemlandschaft erhalten.

Es geht also um Evolution, nicht um Disruption - und diese Entwicklung braucht Zeit und einen langen Atem. Wenn sich Systemhäuser immer konsequenter als Hybrid-IT-Plattformintegratoren verstehen, werden sie nicht "irgendwo stecken bleiben", sondern ihren Weg erfolgreich gehen.

Oft vergessen wird in der Managed-Diskussion, dass gerade bei hohen Service-Level-Anforderungen von Kunden und produktionsnaher IT höchste technische Herausforderungen gemeistert werden müssen.

Wenn Sie für Kunden aus dem Mittelstand ganzheitliche Managed Services verkaufen wollen, wird reine Public-Cloud-Expertise nicht reichen. Sie brauchen immer beide Welten und auch die Legacy IT muss in den Betrieb eingebunden werden. Alles andere ist aus Kundensicht nur ein Teil der Wahrheit.

Darüber hinaus ist der Trend zur Nutzung der Public Cloud durch Fachabteilungen ohne Wissen der IT-Abteilung durchaus auch ein Sicherheitsrisiko. Ein Beispiel: Das eigenmächtige Nutzen von Public Cloud Services als Schatten-IT in Fachabteilungen hat in vielen bekannten Fällen unterschiedlicher Branchen zu großen Sicherheitsproblemen geführt.
Für sichere Managed Services sind daher zum Beispiel Klassifizierungsansätze hinsichtlich der einzelnen Services wichtig, durch die der Partner den richtigen Mix aus Public, Hybrid und Private Cloud Services mit dem Kunden definiert und dann entsprechend für ihn betreiben kann.

ChannelPartner: Im Markt hat sich dafür der Begriff "Systemhaus 4.0" etabliert...

Jacques Diaz: Das Systemhaus 4.0 hat immer einen Grundanteil Infrastruktur- und Projektgeschäft, steigert aber systematisch den Managed-Services-Anteil. Dieser Trend wird noch viele Jahre anhalten und richtig ist: Die Zahl der Systemhäuser auf der Shortlist beim Kunden und am Markt schrumpft.

Auf Dauer sehen wir in Deutschland Platz für 15 bis 20 technologieübergreifende Managed Services Provider aus dem ehemaligen Systemhausmarkt. Der Rest spezialisiert sich, wird übernommen oder wird verschwinden. Für Axians stehen die Weichen ganz klar auf Wachstum als Managed ICT Services Provider, denn IT wird ohne die Daten- und Kommunikationsnetze nicht in voller Verantwortung betrieben werden können.

Einstige Channel-Systemhausmanager haben es verpasst, ihre Unternehmen aktiv zu transformieren

ChannelPartner: Weshalb rechnen Sie mit dieser Entwicklung im Systemhaus- bzw. MSP-Markt?

Jacques Diaz: Der Kunde will generell weniger Partner und viele kleinere Häuser können keine durchgängig ISO-konformen und umfassenden Managed Services anbieten, dafür reicht ihr Skillset in der Regel nicht aus. Das Handelsgeschäft ist allerdings nahezu austauschbar.

Mehrwerte entstehen vor allem durch exzellente Prozesse, erprobte Lösungen für typische Kundenfälle wie Servicebereitstellung, agiles User Management, IoT & Analytics in der Produktion oder sichere und skalierbare Compute- oder Storage-Performance. Das bekommen Kunden heute alles einzeln in der Public Cloud, aber:
Wie koppeln sie ihr SAP daran?
Wie garantieren sie Datenschutz und Datensicherheit?
Wie vermeiden sie Downtimes für die Fachabteilungen?
Darauf haben in der Regel nur bimodal agierende Systemintegratoren hinreichende Antworten.

ChannelPartner: Seit zehn Jahren sprechen wir über die Transformation vom Systemhaus zum Service Provider. Warum ist dieses Thema noch immer aktuell?

Burim Mirakaj: Weil die Realität meistens länger braucht als theoretische Planungen.
Weil einstige Channel-Systemhausmanager es verpasst haben, ihre Unternehmen aktiv zu transformieren.
Weil die Nachfrage nach Managed Services nicht so schnell wächst, wie viele Analysten vorausgesagt haben.
Weil große Kunden nicht selten mehr als 5.000 IT-Services in ihrem Katalog haben, die sie nicht von heute auf morgen alle auslagern.
Weil das Marktvolumen für IT-Hardware laut Bitkom 2019 immer noch 26 Milliarden Euro betrug und der Markt trotz aller Untergangsszenarien ganz leicht gewachsen ist. Erst dieses Jahr wird er wohl erstmalig leicht schrumpfen - Bitkom prognostizierte ein Minus von 0,4 Prozent.

Natürlich wachsen Software und Services überproportional stärker, aber viele Kunden sind ihren angestammten Systemhäusern weiter treu. Digitale Transformation in Deutschland ist immer noch eine Riesenchance für alle Systemhäuser, die genau sehen, dass der ITK-Markt sich in Summe in Richtung 100 Milliarden Euro Volumen entwickelt und mit 2,4 Prozent stärker als die Gesamtwirtschaft wächst.

IT aus der Steckdose ist ein toller Marketing-Slogan, aber in der Realität liefern Systemhäuser ihren Kunden häufig noch echte Mehrwerte aus Beratung, Komplettlösungen und Betrieb, sodass ihre Bedeutung in Summe nicht sinkt. Richtig ist, der Anbietermarkt wird sich weiter konsolidieren und gerade der zunehmende IT-Fachkräftemangel bei vielen Kunden wird ein Umschlagspunkt in Richtung Managed Services sein.

ChannelPartner: Wenn Sie heute den IT-Markt hierzulande betrachten: Was fällt Ihnen auf? Was überrascht Sie?

Burim Mirakaj: Der deutsche ITK-Markt wuchs 2019 um 2,5 Prozent und Bitkom prognostiziert für 2020 ein Wachstum von 2,0 Prozent. Es fällt auf, dass der Bereich IT-Infrastruktur in den Marktprognosen in Deutschland weiter schrumpft und die Wachstumstreiber Software und Services sind.

Deutlich stärker als in Deutschland wächst aktuell der ITK-Markt in der Schweiz. Er kratzt laut Gartner 2020 erstmalig an der 15-Milliarden-Euro-Marke, auch wenn im Dezember die Gesamtprognose für das Schweizer Bruttoinlandsprodukt 2020 durch die Konjunkturforscher auf 1,9 Prozent Wachstum abgesenkt wurde.

Auch hier treiben Software in Verbindung mit Services sowie das Thema Enterprise Networks mit mehr als 10 Prozent Steigerung die ITK-Marktentwicklung. Die Vorbehalte gegenüber IT-as-a-Service-Szenarien bei Kunden schwinden und hohe Investitionen für Smart Industry stehen bevor.

Vinci Energies bringt daher seit Kurzem in seinem neuen Management-Bereich "ICT & Automation" in der Schweiz die beiden Welten der Marken Axians und Actemium - Digitalisierung und Industrietechnik - unter der Leitung von Stefano Camuso noch enger zusammen und bündelt ihre Kompetenzen bei Wachstumsthemen wie Digitale Transformation, Managed Services sowie Cyber Security für IT und OT.

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