Test Videokonferenzsystem Lifesize Passport

Der Desktop als Meeting-Room

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Verbindungsaufbau

An der Bildqualität gibt es auch unter schwierigen Lichtverhältnissen wenig zu kritisieren.
An der Bildqualität gibt es auch unter schwierigen Lichtverhältnissen wenig zu kritisieren.

Zum Aufbau einer Konferenz mit einem anderen System benötigt der User lediglich die IP-Adresse oder den Domain-Namen der Gegenstelle. Ähnlich wie eine Telefonnummer gibt er diese per Fernbedienung ein und kann dann per Tastendruck die Verbindung aufbauen lassen. Etwas verwirrend war bei der ersten Benutzung, dass das System den Verbindungsaufbau mit klassischen Telefonsignaltönen signalisiert. Hat man sich daran gewöhnt, ist diese Funktion ganz praktisch, da man so eine akustische Kontrolle hat und nicht auf den Bildschirm schauen muss.

Per Web-Interface kann der Benutzer die wichtigsten Verbindungsparameter kontrollieren.
Per Web-Interface kann der Benutzer die wichtigsten Verbindungsparameter kontrollieren.

Nach Aufbau der Verbindung erlebten wir unseren ersten WOW-Effekt. Ein solche Bildqualität bei einer Videokonferenz über eine klassische Consumer-DSL-Leitung (1 Mbit/s upstream) hatten wir noch nicht erlebt. Zwar hatte das von uns getestete "Vidyo"-System ebenfalls mit einer guten Bildqualität gepunktet, doch damals verwendeten wir einen Computermonitor zur Ausgabe und jetzt einen 47-Zoll-Fernseher. Sicher, den großen TelePresence-Systemen kann auch Lifesize Passport nicht das Wasser reichen - doch hier reden wir von einem Preisunterschied vom mehreren zehntausend, wenn nicht gar hunderttausend Euro. Um es kurz zu machen: An der Bildqualität gab es eigentlich nichts zu kritisieren. Selbst Visitenkarten im entfernten Büro auf der Gegenseite waren zu lesen, und die Konturen eines Kugelschreibers in der Hand des Gesprächpartners waren klar zu erkennen. Lediglich bei schnellen oder abrupten Bewegungen kam es ab und an zu kleinen Pixelfehlern oder Unschärfen, wenn in diesem Moment gerade die Übertragungsqualität der DSL-Leitung schwankte. Unter dem Strich machten Videokonferenzen in Verbindung mit dem großen Display, auf dem Mimik und Emotionen des Gesprächpartners gut erkennbar waren, schlicht Spaß. Kein Vergleich zu den sonst im DSL-Umfeld üblichen Videolösungen wie Skype und Co, die sich mit ihren - überspitzt formuliert - briefmarkengroßen Bildern für den Gruß vom Enkel zur Oma, aber nicht für den ernsthaften Business-Einsatz eignen.

Knapp unter HD-Qualität

Während unserer Praxisversuche empfingen wir die Gegenseite mit 1280 x 720 Pixeln als HD-ready- beziehungsweise 720p-Qualität und versandten selbst ein Videobild in der Auflösung von 1208 x 704 Pixel, also knapp unterhalb der HD-Qualität, was allerdings in Anbetracht der niedrigen Upstream-Bandbreite deutscher DSL-Anschlüsse immer noch ein guter Wert ist. So lag die Bandbreite (Video und Audio) im Upstream um die 1060 Kbit/s, während in der Gegenrichtung bis zu 1140 Kbit/s über die Leitung gingen bei jeweils 30 Vollbildern pro Sekunde. Selbst Videokonferenzen nach Kalifornien waren so kein Problem, zumal ein niedriger Jitter-Wert von acht bis zehn Millisekunden eine störungsfreie Übertragung erlaubte. Lifesize bietet für das System als optionales Zubehör noch ein als MicPod bezeichnetes Raummikrofon an. Wird das System aber wie in unserem Test nur als Desktop-Lösung von einer Person benutzt, kann darauf verzichtet werden. Das in der Kamera integrierte Mikrofon genügt für diesen Anwendungsfall voll und ganz.

Der aktuelle Systemzustand - etwa Transferraten - kann auch direkt am Fernseher abgerufen werden.
Der aktuelle Systemzustand - etwa Transferraten - kann auch direkt am Fernseher abgerufen werden.

Während unseres Tests fiel uns noch ein anderes Einsatzgebiet für das Konferenzsystem ein: Ist auf der Gegenseite anstelle des von uns verwendeten Kameramodells "Lifesize Focus" eine "Lifesize Camera" installiert, eignet sich das System auch zur Videoüberwachung. Letztere Kamera lässt sich nämlich ferngesteuert sowohl horizontal als auch vertikal schwenken. Auf diese Weise konnten wir etwa aus dem verregneten München die Umgebung um das Lifesize-Office-Gebäüde im sonnigen Kalifornien kontrollieren. Was auf den ersten Blick nach einer Spielerei klingt, könnte etwa für Firmen mit vielen kleinen Außenstellen von Interesse sein, da auf diese Weise die Außenstellenbüros während der Nacht zentral vom Werksschutz aus der Ferne überwacht werden können. Möglich wird dies, weilPassport eingehende Videoanrufe automatisch annehmen kann. Wer allerdings vergisst, dieses Feature zu deaktivieren, findet sich womöglich ungeplant und unvorbereitet in einer Konferenz wieder.

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