Der erfolgreiche IT-Händler ist ein Jäger, kein Bauer

11.04.2002

Sehr geehrter Herr Lampatz,

vielen Dank noch einmal für die Gelegenheit, Ihnen bei Ihrer Arbeit einen ganzen Tag lang über die Schulter schauen zu dürfen. Sie eröffnen damit unsere neue Serie "Ein Tag im Leben von ...", die in loser Folge erscheinen wird. Meinen "Besuchsbericht" können Sie ab Seite 16 lesen.

Ich hatte auf den 650 Kilometern Heimfahrt von Marl nach München viel Zeit, über alles nachzudenken. Vor allem Ihre Besorgnis, dass viele PC-Händler auf die momentanen Dell-Attacken nicht selbstbewusst und offensiv genug antworten, ging mir nicht aus dem Kopf. Sind die Händler zu bequem, zu einfallslos, zu lethargisch? Ich glaube nicht.

Nehmen Sie zum Beispiel Peter Jäger aus der Kurpfalz. Ich habe diesem Schreiben ein Foto von ihm beigelegt. Ein Schnappschuss, der Herrn Jäger in einer typischen Alltagssituation zeigt. Schon bei Tagesanbruch liegt er auf der Lauer, mit dem Feldstecher sucht er den Horizont ab, über Mobiltelefon - es handelt sich um ein älteres Modell, was zeigt, dass Herr Jäger kostenbewusst ist und nicht jeden modischen Schnickschnack mitmacht -, über Mobiltelefon also steht er in ständigem Kontakt mit seiner Frau, die in der Fußgängerzone der Stadt Posten bezogen hat. Und dann, ganz plötzlich und blitzschnell, wenn ein möglicher Kunde daherkommt, reißt Herr Jäger die Flinte vom Rücken, legt an, zielt, und - zack, Treffer! Oder auch nicht. Man erkennt an Jägers ausgewachsenen Tränensäcken, dass es um seinen Schlaf nicht zum Besten steht, manchmal kriegt er nachts kein Auge zu. Daher trifft er mit seinem Gewehr auch nicht mehr so gut.

Zurück zum Ernst des Lebens und damit zu Dell: Dell ist auf dem deutschen PC-Markt heute das, was in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren Vobis war: Der Hersteller, auf den alle fixiert sind, den alle mit Unruhe, Besorgnis, Hass und Neid beobachten. Und Dell ist, auch darin der Vobis vergangener Tage gleich, der Feind des Handels. Übrigens: Dell ist der PC-Hersteller, der vielleicht am meisten vom Bankrott des Systemhauses M+S profitiert hat. Ich weiß von IT-Einkäufern, ehemaligen M+S-Kunden mit dreijährigen Support-Verträgen, die sich nach der Pleite ihres Lieferanten für Dell entschieden haben, um auf der sicheren Seite zu sein. Dabei ist natürlich klar, dass Dell genauso den Bach runtergehen kann wie M+S, wie Kirch, wie Holzmann oder wie Enron.

Und noch etwas sollte jedem klar sein: Dell ist keine Naturkatastrophe. Man kann Dell auch verhindern. Es gibt Händler und Systemhäuser, welche die Abwerbeversuche von Dell bei ihren Kunden erfolgreich abwehren konnten. Zum Beispiel das Systemhaus Bürotex in Nürtingen, das einen großen Automobilhersteller mit einer mehrseitigen schriftlichen Argumentation davon überzeugte, dass Dell nicht die optimale Lösung sei.

Ich denke, so schlecht ist es um die Tatkraft des deutschen IT-Handels nicht bestellt. Und das muss auch so sein. Nur mit bäuerlichen Tugenden - also hauptsächlich Hegen und Pflegen (Kundenbindung) - kommt der Händler gerade jetzt nicht weiter. Er braucht ganz wesentlich den Jagdinstinkt, den Jagdtrieb. Aber wem sag ich das?

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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