Der Fahnder: ein Tag im Leben des Christian S.

11.07.2002
Im Frühjahr startete Microsoft seine bislang größte Testkaufaktion im IT-Handel. Gefahndet wurde nicht nach mangelhaften Produkten, sondern nach Raubkopien, Lizenzvergehen und schlechter Beratung. ComputerPartner begleitete den Microsoft-Agenten Christian S. auf seiner Tour durch München.

Seinen richtigen Namen will er nicht nennen. Auf den Fotos möchte er sein Gesicht nicht zeigen: "Man weiß ja nie". Christian S. ist BWL-Student mit politischen Ambitionen. Und weil er sich ansonsten recht erfolgreich mit PC-Service über Wasser hält und ihn die schwarzen Schafe in der IT-Branche wirklich stören, wurde er über eine IT-Agentur als Testkäufer an Microsoft vermittelt. "Der Job macht mir Spaß", sagt er.

Wie viele Studenten und Berufs-anfänger der Konzern insgesamt für seine bislang größte Testkaufaktion im IT-Markt engagiert hat, möchte Birgit Strobel, Sprecherin der Anti Piracy Group bei Microsoft, nicht sagen. Eigentlich sei es zwar kein Geheimnis, aber "bei rund 30.000 IT-Händlern in Deutschland würde sich doch jede Zahl vergleichsweise mickrig anhören", meint sie. Zudem laufe die Aktion noch das ganze Jahr, man habe die Bemühungen im Frühjahr lediglich intensiviert.

Zwischen April und Juni seien jedenfalls "zahlreiche Testkäufer" im deutschen IT-Handel unterwegs gewesen und hätten in diesem Zeitraum "mehrere Hundert Ladenketten und Shops" unter die Microsoft-Lupe genommen. Gefahndet haben die bezahlten Helfer nach Raubkopien, Lizenzvergehen - und schlechter Beratungsqualität. "Diejenigen, die unsauber sind, werden wir verfolgen", sagt Strobel. "Den anderen werden wir Wege aufzeigen, wie sie ihre Beratungsqualität verbessern können."

Jeder Händler, der unerwartet Besuch vom Hersteller bekam, wird in den nächsten Tagen sein persönliches Ergebnis erhalten. Um Fehleinschätzungen zu vermeiden, habe man darauf geachtet, dass alle Testkäufer technisch bewandert sind, so die Sprecherin. Zur Vorbereitung gehörte auch ein intensives Briefing, inklusive möglicher Kaufszenarien - vom interessierten Einzelkunden bis zum Firmenchef war alles dabei.

Kein Service, aber Rabatt: eine Lizenz für zwei Rechner

Christian S. mimt gerne den naiven Trottel. "Da merkt man beim Nachfragen nämlich recht schnell, ob einer bei der Beratung ins Schwimmen kommt", sagt er. Seine Variante: Er habe keine Ahnung von Computern, müsse jetzt aber im Büro damit arbeiten und brauche deshalb auch einen PC für Zuhause - "zum Üben".

Beim ersten Versuch im Münchner Stadtteil Schwabing dauert es allerdings etwas länger, bis er seine Geschichte los wird. In dem kleinen Laden fühlt sich zunächst keiner der fünf Angestellten für den Kunden zuständig. Zwei grüßen, drei gehen vor die Tür: Zigarettenpause. Viel Zeit zum Betrachten der Zertifikate. Neben Tobit und Oracle hängt eingerahmt auch ein "Certification of Excellencing" von Microsoft. Unterschrieben hat Bill Gates. "Nix wert", flüstert der Test-agent.

Endlich erbarmt sich einer, Chris-tian S. spult routiniert seine Einsteiger-Nummer ab. Der Verkäufer will wissen, welche Software benötigt wird. "Das Programm zum Briefeschreiben, halt", sagt Christian. "Und Tabellen zum Rechnen brauche ich auch." Ob er denn auch ins Internet möchte? "Eigentlich nicht", der Anfänger gibt sich selbstbewusst. "E-Mails abrufen genügt."

Kein Internet - Mails abrufen genügt

Leicht verwirrt verschwindet der IT-Fachmann in seinem Büro. Und taucht erst zwei Nachfragen und geschlagene 35 Minuten später mit dem Angebot wieder auf. Resultat: Der Standard-PC ist mit einem Pentium III ausgerüstet - zum Briefeschreiben reicht's. Dafür ist die Grafikkarte überdimensioniert. Der integrierte Brenner ist zwar auch nichts für den angeblichen Anfänger, dem Verkäufer war er aber offenbar ein persönliches Anliegen. Dafür hat er das Modem vergessen. Preis der mickrigen Vorstellung: rund 1.750 Euro.

Nun geht Christian S. aufs Ganze: Man würde eigentlich zwei PCs wollen, die anwesende Kollegin brauche schließlich auch einen. Die Software sei aber sehr teuer, ob es denn da nicht eine billigere Variante gäbe? Überraschend schaltet sich der Geschäftsführer ein. Das mit der Software sei ja so eine Sache. Natürlich sei sie teuer. Von Komplettsystemen mit Software-Bundles hat der Netzwerkspezialist offenbar noch nie gehört. Dafür klärt er den Kunden über die rechtlichen Folgen von Lizenzverstößen auf. Es wird vertraulich: Man werde doch kaum gleichzeitig an den beiden PCs arbeiten? Eher schon, erwidert der potenzielle Kunde. Man sei schließlich beruflich und nicht privat verbandelt. Es handle sich also um zwei Rechner für zwei Haushalte. Der Mann wird deutlicher. "Wenn Sie mir versichern, dass sie so eine CD schon zuhause haben, spiele ich ihnen die Software auch so drauf." Eine Lizenz für zwei Rechner? Aber ja - solange der Kunde hoch und heilig verspricht, dass die zweite schon zuhause liegt - auch wenn er noch nie einen PC besessen hat.

Mit dem Angebot in der Hand verlässt Christian S. den Laden und hält erst mal telefonisch Rücksprache mit Microsoft. Dass ein PC-Händler gegenüber einem unbekannten Kunden so mit der Tür ins Haus fällt, sei ihm noch nie passiert, sagt er. Soll er die Rechner nun bestellen? Was ist, wenn der Geschäftsführer plötzlich "kalte Füße" kriegt? Wenn er die CD nach Vertragsabschluss einfach in die Kiste schmeißt und sagt, man solle die Software selber auf die PCs spielen. Dann ist er rechtlich nämlich nicht mehr zu belangen. "Das kann passieren", denkt Christian S. laut in sein Handy, "die Installation ist so einfach, dass man es auch einem Anfänger zumuten kann." Bis man sich einigt, ist der Geschäftsführer schon ins verlängerte Wochenende ausgeflogen. In diesem Fall muss ein anderer Tes-ter noch mal ran.

Lizenzvergehen sind selten, schlechte Beratung nicht

"Unsere Testkäufer sollen technisch bewandert sein und nicht als Agent Provocateure auftreten", erklärt Birgit Strobel. "Also, das zweifelhafte Angebot nicht provozieren, sondern sich wie redliche Käufer verhalten." Wer sich nicht daran hält, regt nicht nur moralische Bedenken beim Softwarekonzern, sondern riskiert zudem, dass der Fall vom Gericht abgeschmettert wird. Viele Verfahren wird es ohnehin nicht geben: Nur wenige Partner seien bei den Testkäufen im Frühjahr negativ aufgefallen, sagt die Piraterie-Expertin: "Was natürlich nicht bedeutet, dass der ganze Handel legal agiert."

Das erste Fazit der Aktion habe Microsoft dennoch überrascht: Raubkopien sind bei den Partnern offenbar häufiger anzutreffen als Lizenzvergehen und Produktmanipulationen. Man habe eigentlich mit der umgekehrten Konstellation gerechnet. Aber nicht jeder Partner wisse schließlich, was er im Laden hat, meint Christian S.: "Die Dinger sehen inzwischen verdammt echt aus."

Das größere Problem des IT-Handels sei aber sowieso die Beratungsqualität, glaubt Strobel. Nach ersten Berechnungen würden beispielsweise 41 Prozent der Händler dem Kunden die teuren Einzelhandelsprodukte statt der Bundles verkaufen. Noch weniger hätten die vorhandenen Updates angeboten, nur vier Prozent über die zwei integrierten Support-Calls informiert. Und die Kenntnisse über Lizenzmodelle seien auch noch nicht richtig durchgedrungen. Leider. "Da gibt es noch großen Informationsbedarf."

Ein neuer Distributor: Hier ist der Endkunde noch König

Etwas mehr Input hätte Christian S. bei seinem nächsten Fall auch gut gebrauchen können. Denn der "Laden" befindet sich in einem pflanzendurchtränkten Hinterhof, fungierte früher wohl als Geräteschuppen für den Hausmeister. Nirgends, nicht einmal am Eingangstor, ist ein Firmenschild des angeblichen Händlers zu sehen. "Laufkundschaft ist hier so wahrscheinlich wie Regen in der Sahara", sagt Christian. Jetzt braucht er eine neue "Legende": In diesem Fall hat ein Kollege den Laden empfohlen, lautet die Geschichte. Man wundere sich jetzt auch, wie er darauf kam. Was Besseres fällt dem Tester auf die Schnelle nicht ein.

Die junge Frau im IT-Schuppen reagiert erwartungsgemäß irritiert. Man habe die Filiale erst vor kurzem eröffnet, Laufkundschaft habe man keine, erklärt sie. Das liege vielleicht unter anderem daran, dass man nur Software in größeren Mengen vertreibe. Weswegen man zwar grundsätzlich eine Garantie, aber leider keinen Vor-Ort-Service für die Rechner bieten könne. Nun wirkt auch Christian S. leicht an-geschlagen. Tapfer wiederholt er seine Einsteiger-Story, die Dame guckt amüsiert bis kritisch, glaubt ihm offenbar kein einziges Wort.

Trotzdem: Hier ist der Kunde noch König. Statt ihm ins Gesicht zu lachen, klärt die "Leiterin der Zent-rale Süd" den potenziellen PC-Käufer höflich auf: Windows, das sei die "Seele des Computers", Word das Programm, das er für seine Kundenanschreiben brauche. Und E-Mails abrufen - ja, das sei halt nur via Internet möglich. Im Übrigen möchte sie ihm raten, dringend an einer entsprechenden Schulung teilzunehmen.

Dann ruft sie einen Kollegen an: "Stell dir vor, bei mir sitzen zwei Kunden, die wollen Rechner." Schallendes Gelächter am anderen Ende der Leitung. Dann kommt doch noch das Angebot - per Fax aus der Zentrale. Tatsächlich ist es diesmal ein typischer Standard-PC, allerdings ohne Monitor. Kostenpunkt: rund 860 Euro. Der Angebotsübergabe folgt noch der Hinweis, man solle es doch lieber mal in der Schillerstraße in München versuchen. "Da steht ein PC-Laden neben dem anderen, da könnt ihr den Preis noch weiter drücken, und Service bieten die sicher auch." Außer Sichtweite zeigt sich Christan S. begeistert: "So freundlich und kompetent war schon lange keiner mehr." Schade nur, dass der kompetente Händler ein Distributor war - und damit in den Revieren seiner Kunden wildert.

"Die Aktion umfasst den gesamten Fachhandel - vom kleinen Computergeschäft bis zur großen Handelskette", sagt Birgit Strobel. Microsoft wolle auf diese Weise zu mehr Chancengleichheit in einem hart umkämpften Markt beitragen. "Wir versuchen, unsere legalen Partner so weit wie möglich gegen kriminelle Konkurrenz zu schützen", erläutert Wolfgang Ebermann, Mitglied der Geschäftsleitung der Microsoft GmbH. "Mit Aufklärungsarbeit und Strafverfolgung alleine ist es aber nicht getan. Jeder Händler ist auch selbst dafür verantwortlich, dass er zufriedene Kunden hat. Dazu gehört nicht nur ein legales, sondern auch ein individuell maßgeschneidertes Angebot." Microsoft bietet hierzu seit Jahren ein umfangreiches Modell an, um seine Partner beim Ausbau ihres Know-hows zu unterstützen."

Vor Microsoft sind alle gleich - nur Retailer nicht

Christian S. hatte zwar noch keine Retail-Kette auf seiner Fahndungsliste gehabt, aber dafür einen Händler, der das Partnermodell tatsächlich kannte. Es war bei seinem ersten Testkauf für Microsoft, eine so professionelle Art sei ihm seitdem nicht mehr untergekommen: "Der Händler war absolut sauber, und die Beratung war Spitze", erzählt er auf der Fahrt zum letzten Objekt in München. "Der war auch noch richtig begeistert von den Produkten und wusste durchaus, wovon er spricht."

Da kann der große PC-Shop in einem Einkaufszentrum, in dem der Tester nun auftritt, leider nicht mithalten. Der Verkäufer gibt sich zwar interessiert, bleibt aber von der auffälligen Unfähigkeit seines Kunden völlig unbeeindruckt: "Intel oder AMD? PCI oder SCSI-Bussystem? CD-ROM, Brenner - oder doch lieber DVD?" Das alles will er von einem Kunden wissen, der ihn zuvor gefragt hat, ob bei dem Standard-PC "so ein Fernseher" auch schon dabei sei. (Antwort: "TFT oder normal?".) Christian S. fragt zurück, ob er denn mit Windows seine Briefe schreiben kann. "Ja klar", fachsimpelt der Verkäufer, "Word und Excel sind bei Windows doch schon mit drin". Leider könne er gerade nur kein Angebot machen: "Also am Freitag, da erreiche ich keinen mehr." Der 1-Gigabyte-Rechner mit 40-Gigabyte-Festplatte und mit Windows 98 werde aber wohl so um die 1.100 Euro kosten. "Kommen sie doch einfach am Montag wieder."

Christian S. wird wohl nicht wiederkommen, aber jemand von Microsoft bestimmt. "Bei dem Laden sind Excel und Word schon beim Betriebssystem mit drin", meldet Christian S. pflichtbewusst an die Zentrale. "Im schlimmsten Fall haben die Dreck am Stecken." Und im besten Fall? "War der Typ einfach nur unfähig und hatte keine Ahnung." (mf)

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