Wie der stationäre Fachhandel überlebt

Der Handel muss handeln - jetzt!

Eric Jankowfsky ist seit über 20 Jahren in der E-Commerce-Branche tätig. Als Gründer und Vorstand von OXID eSales prägte er Deutschlands führendes Shopsystem. Zudem betrieb er bis 2015 ein Beratungs- und Technologieunternehmen. Gemeinsam mit seinem Team führte Jankowfsky Produkte und Ideen zu kompletten Lösungen zusammen, die neben dem E-Commerce auch den klassischen Handel auf der Fläche förderten. Seit 2013 beschäftigt er sich intensiv mit der Verzahnung von On- und Offline. Die Talihu GmbH, deren Geschäftsführer er seit Mitte 2016 als Geschäftsführer ist, bietet Händlern eine Software, mit der sie Offline-, Online- und Mobil-Kanäle ideal vernetzen und so die Kundenbindung signifikant festigen können. Jankowfsky ist zudem  als POS-Experte bei der Heidelberger Payment GmbH tätig.
Der stationäre Handel scheint seine besten Zeiten hinter sich zu haben; er scheint vom allzu mächtigen E-Commerce einfach überrollt zu werden. Doch wenn sich Einzelhändler die neuen technologischen Möglichkeiten zunutze machen und sich auf die veränderten Umstände, die die digitale Transformation verursacht, einlassen, können sie doch noch die Kurve kriegen.

Der stationären Handel leidet: hohe Logistikkosten, explodierende Mietpreise, immer mehr direkte Konkurrenz durch Online-Shops. 2016 hatte der E-Commerce einen Anteil von rund zehn Prozent am deutschen Einzelhandel, Tendenz steigend. Viele denken beim Online-Handel an die Vormachtstellung großer Pure-Player. Aber auch früher mussten sich Ladenbesitzer mit neuen Marktgegebenheiten, wie z.B. dem Aufkommen großer Kaufhausketten, auseinandersetzen.

Doch wie unterscheiden sich Amazon oder Zalando von den damaligen Kaufhauskönigen? Sie sind Visionäre. Und Visionäre haben die Welt schon immer dadurch verändert, dass sie Abläufe revolutionieren und verbessern: Sie erkennen die zukünftigen Kundenbedürfnisse.

Multi-Channel im Kommen

Wohin die Reise gehen wird, zeigen die Pure-Player: Seit 2016 bestehen Kooperationen zwischen großen Online-Shops und stationären Händlern. Der Endkunde bestellt online, die Bestellung wird an teilnehmende Händler in Kundennähe weitergeleitet, und der stationäre Einzelhändler versendet die Ware aus seinem Bestand. Eine Win-Win-Win-Situation - zumal der Kunde von der schnelleren Lieferung profitiert.

Dank neuer Technologien verschmelzen die Grenzen zwischen stationärem und Online-Handel. Mithilfe von POS-Terminals lässt sich das online verfügbare Gesamtsortiment in den stationären Handel holen. So können Endkunden im Ladengeschäft über POS-Terminals auf das Gesamtsortiment zugreifen. Der Vorteil: signifikante Kostenersparnisse bei gleichzeitiger Sortimentserweiterung.

Click-und-Collect immer beliebter

Daneben erfreut sich auch das Click-und-Collect-Modell, das die weitere Verschmelzung von Online- und Offline-Kanälen fördert, großer Beliebtheit: Kunden können über das Internet Produkte bei einem Händler reservieren und vor Ort abholen.

Zudem ist es möglich, sich online über das Sortiment des Ladengeschäfts zu informieren, um die Produkte dann im stationären Handel zu testen beziehungsweise sich Waren, die in bestimmten Farben oder Größen nicht vorrätig sind, nach Hause liefern zu lassen.

Spannend wird es, wenn in naher Zukunft die Schaufenster über Touchpads bedienbar sind und Endkunden nach Ladenschluss im stationären Handel shoppen können. Laut Schätzungen sind rund 20 Prozent des Umsatzes großer Pure-Player stationär getrieben.

Cross-Selling nur mit dem richtigen Distributionspartner

Vielen Händlern ist nicht bewusst, dass Endkunden etwa 150 Millionen Produkte auf ihrem Smartphone mit sich führen. Da muten Argumente wie "künstliche Warenverknappung fördert den Absatz" oder "der Einzelhandel muss eine Vorauswahl für den Kunden treffen" geradezu absurd an.

Die technischen und logistischen Möglichkeiten sind vielerorts gelebte Realität, der Endkunde nimmt sie wohlwollend an - nur nicht im Handel, dem es oftmals nicht gelingt, die neuen Möglichkeiten umzusetzen. Hinsichtlich Logistik, Verkaufsstrategie und Kundenservice gibt es spürbare Defizite: Eine wesentliche Voraussetzung für einen ganzheitlichen Cross-Selling-Ansatz ist ein Distributionspartner mit höchster Produktverfügbarkeit und maximaler Flexibilität innerhalb der Logistik.

Warenverfügbarkeit in Echtzeit

Einerseits muss die Warenverfügbarkeit online und in Echtzeit für den Kunden ersichtlich sein. Andererseits haben die Händler dafür zu sorgen, dass sie nicht vorrätige Ware ebenso schnell liefern können wie Onlineshops. Vielen gelingt das (noch) nicht.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umgang mit POS-Terminals - sofern überhaupt vorhanden. Solche Terminals aufzustellen, genügt nicht. Vielmehr muss es dem Verkaufspersonal möglich sein, über das Terminal Produktinformationen für ein Beratungsgespräch abzurufen. Dafür müssen alle Prozesse digitalisiert und miteinander verknüpft sein - für einen kleinen Händler eine kaum zu meisternde, aber zugleich erfolgsrelevante Herkulesaufgabe.

Hinzu kommt, dass Kunden sich lieber mit ihrem eigenen Gerät über Produkte informieren, als einen Verkäufer zu fragen - in Zukunft werden auch Kunden Produktinformationen im Ladengeschäft über Terminals einsehen können. Das hat zur Folge, dass die online verfügbaren Informationen wichtiger als das Personal sind.

Was der stationäre Fachhandel jetzt tun muss

Um Kunden in Zukunft einen echten Mehrwert bieten zu können, muss der stationäre Handel in die Qualifizierung seines Personals investieren: Kunden erwarten keine Auskunft über die Produktverfügbarkeit oder Produktinformationen, sondern individuelle Empfehlungen, Lösungen und Ideen. Terminals können dem Verkaufspersonal hier lediglich als Unterstützung dienen.

Es ist einzig und allein der Endkunde, der bestimmt, wann, wie und wo er einkauft. Gelingt es den Händlern, ihn mit ihrer fachlichen Beratung, mit einer optionalen Lieferung nach Hause und einer digitalen Sortimentserweiterung zu begeistern, steht einem florierenden Einzelhandel nichts im Wege. Der stationäre Handel muss handeln. Jetzt!

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