Herausforderung Digitalisierung

Der Handel vertraut auf künstliche Intelligenz und Robotik

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Probleme mit der Infrastruktur

Das trifft bei so manchem Händler allerdings einen wunden Punkt, wie im vergangenen Jahr einige fehlgeschlagene Großvorhaben gezeigt haben. So stoppte Lidl nach sieben Jahren sein Projekt "elektronisches Lidl Warenwirtschaftsinformationssystem" (eLWIS).

Auf Basis von "SAP for Retail powered by SAP HANA" sollten integrierte Prozessketten vom Lieferanten bis zum Kunden entstehen. Der Aufwand für die Stammdatenpflege sollte sich reduzieren, Kennzahlenanalysen und Prognosen in Echtzeit möglich werden. Doch daraus wurde nichts. 2018 zogen die Zuständigen die Reißleine. Die ursprünglich definierten strategischen Ziele seien mit vertretbarem Aufwand nicht er­reichbar, gaben die Lidl-Verantwortlichen zu. Rund 500 Millionen Euro hatte das Vorhaben Insidern zufolge bis dahin verschlungen.

Bevor die Händler mit der Digitalisierung durchstarten können, gilt es die eigene Infrastrutkur auf Vordermann zu bringen.
Bevor die Händler mit der Digitalisierung durchstarten können, gilt es die eigene Infrastrutkur auf Vordermann zu bringen.
Foto: EHI Retail Institut

Auch der Süßwarenspezialist Haribo hatte im vergangenen Jahr im Zuge einer SAP-Umstellung auf S/4HANA massive Probleme mit seiner Warenwirtschaft. Das Mammut-Projekt "One Haribo" hat zum Ziel, bis 2020 eine homogene Systemlandschaft mit einer zentralen Dateninstanz aufzubauen. Mit der Ablösung des bestehenden Warenwirtschaftssystems geriet das bereits 2015 gestartete Vorhaben jedoch in Schieflage, wie die "Lebensmittelzeitung" Ende 2018 berichtete. Es war die Rede von massiven Problemen in der Produktion sowie der Lieferkette. Etliche Einzelhändler hätten sich über Engpässe beschwert.

Trotz offenkundiger Probleme an der IT-Basis planen die Händler mit neuen Technologien – an erster Stelle steht hier künstliche Intelligenz (KI). Fast 70 Prozent der Befragten bezeichneten im Rahmen der EHI-Retail-Studie KI als den wichtigsten technologischen Trend der kommenden Jahre. Niemals zuvor in der Historie der Studie habe es einen derart breiten Konsens gegeben, hieß es. Als vorrangigen Einsatzbereich für KI führten die Unternehmen Predictive Analytics (53 Prozent) an. Hier dürfte der Wunsch im Vordergrund stehen, das künftige Marktverhalten möglichst genau prognostizieren zu können, um das Sortiment exakt an den Kundenwünschen auszurichten.

Beim KI-Einsatz gehjt es für die Händler vor allme darum, mittels Predicitve Analytics Voraussagen zum künftigen Geschäftsverlauf treffen zu können.
Beim KI-Einsatz gehjt es für die Händler vor allme darum, mittels Predicitve Analytics Voraussagen zum künftigen Geschäftsverlauf treffen zu können.
Foto: EHI Retail Institut

Wie konkret KI bei manchen Retailern bereits verankert ist, zeigte sich Mitte Februar auf der Handelsmesse EuroCIS in Düsseldorf. Etliche IT-Anbieter und Anwender präsentierten dort Lösungen und Best-Practice-Beispiele. Beispielsweise setzt die Otto-Group-Tochter Bonprix eine Software von Blue Yonder ein, um automatisiert Preise für jedes einzelne Produkt festzulegen – im Online-Shop wie in den stationären Ladengeschäften.

"Es geht darum, interne Daten, eigene Preisstrategien und externe Daten – wie Wetter oder Preisentwicklungen der Mitbewerber – zusammenzubringen und darauf basierend automatisiert Preise jederzeit anpassen zu können", sagte Ansgar Thiede, Product Manager von Blue Yonder. So ließen sich der Abverkauf über die Saison besser steuern und damit letztlich auch die ruinösen Preiskämpfe am Saisonende vermeiden.

Auch das Order-Management lässt sich Blue Yonder zufolge mit Hilfe von KI effizienter abwickeln. Algorithmen könnten Abverkaufsmengen prognostizieren und beispielsweise berechnen, ob es wirtschaftlicher ist, das Lager aufzustocken oder abzubauen, und dafür Bestellmengen auf mehrere Produktionsslots zu splitten. Mittels KI sei es zudem möglich, diese Berechnungen für jedes einzelne Produkt, in jeder Größe und Farbe vorzunehmen, so Thiede. "Diese Abwägungen sind so komplex, dass sie nur automatisiert möglich sind."

Neue Muster erkennen

Beim in New York ansässigen Modehaus Elie Tahari hatte sich im Lauf der Jahre die Lieferkette zunehmend komplexer gestaltet. Das reicht von den Produzenten in Asien bis zu einem weitverzweigten Netz aus eigenen Filialen und diversen Einzelhändlern in 40 Ländern. Entscheidungen, welche Produkte an die jeweiligen Filialen zu senden waren, welche Artikel bei den Lieferanten bestellt werden mussten und wie neue Lieferungen am besten aus Übersee eingeführt werden konnten, waren kompliziert. Die Informationen mussten mühsam aus verschiedenen Systemen zusammengesammelt sowie per Tabellenkalkulationen manuell sortiert und analysiert werden.

Über eine IBM-Plattform aus verschiedenen Komponenten erhielten die Tahari-Verantwortlichen Echtzeitinformationen über Abverkaufsraten und konnten so die Produktionsplanung optimieren. "Was die Cognos-Berichte uns sofort ersichtlich machten, waren die Unterschiede bei der Verteilung der verkauften Größen pro Region und Filiale", berichtete Tiffany Tankersley, Divisional Manager bei Elie Tahari. "Wir sahen damit ein Muster, von dem wir vorher nichts wussten. So konnten wir die Größenverteilung für jede unserer Filialen modifi­zieren." Nach eigenen Angaben konnte das Modelabel Bestellungen der Damen-BusinessKostüme vier Monate im Voraus mit einer Genauigkeit von über 97 Prozent vorhersagen.

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