"Der katholische Weg treibt den Markt für Heimnetzwerke voran"

15.11.2001
Ein lang gehegter Traum der Hersteller ist die völlige Vernetzung aller Elektro- und Elektronikgeräte, angefangen vom PC über Peripherie bis hin zum Kühlschrank oder Fernseher. Will man den Analysten von Tekplus glauben, wird dieser Traum dank schnellerer Übertragungstechnologien in Europa bald Realität. Eine wichtige Voraussetzung für den Durchbruch sei der "katholische", sprich der allumfassende Weg.

Der europäische Markt für Heimnetzwerke ist ein wichtiges Segment, ein Hoffnungsträger der Zukunft, auf den sich in der Post-PC-Ära derzeit viele Hersteller stürzen. Die Unternehmensberatung Tekplus geht davon aus, dass der europäische Markt für Embedded-Netzwerkprodukte zwischen 2001 und 2004 um jährlich 74 Prozent von einer auf 5,33 Milliarden Dollar anwachsen wird. Demnach rückt der Traum vom "intelligenten Haushalt" in greifbare Nähe. In ihm werden alle Heimgeräte, vom PC über Peripherie und Handy bis hin zum Fernseher, zur Mikrowelle und zum Kühlschrank, miteinander vernetzt - dank Einführung von Gateways, Highspeed-Modems und drahtlosen Basisstationen.

Führende Hersteller wie Grundig, Hitachi, Panasonic, Philips, Sharp, Sony, Thomson und Toshiba träumen aber noch weiter, nämlich von einer möglichst kabellosen Welt, und haben sich schon 1996 zum Havi-Konsortium (Home-AudioVideo-Interoperability) zusammengeschlossen, dem später auch Intel, Microsoft und Hewlett-Packard beigetreten sind (siehe ComputerPartner 30/00, Seite 26). Darüber hinaus gibt es noch das Universal Plug-and-Play (UPnP)-Forum, zu dessen Mitgliedern ebenfalls alles gehört, was Rang und Namen hat.

Schöne bewegungslose Welt

Anwendungsbeispiele gibt es viele: So soll es in Zukunft möglich sein, vom Fernseher oder Mobiltelefon aus nachzuprüfen, ob noch genug Bier im Kühlschrank ist. Wenn nicht, wird mit einem Tas-tendruck auf der Fernbedienung automatisch der Getränkeservice informiert. Will man es nach einer Urlaubsreise zu Hause kuschelig und warm haben, kann man auf dem Weg dorthin über das Handy vorher schon die Heizung einschalten. Dreht der Filius seine Musikanlage zu laut auf, können die entnervten Eltern den Override betätigen. Schöne, bewegungslose Welt - sehr zur "Freude" der Ärzte, die schon heute warnen, dass sich bei den heute 30- bis 40-jährigen Couch-Potatoes im Alter Thrombosen und andere Leiden häufen werden.

Wichtige Voraussetzung für den Durchbruch von Home Networking ist die wachsende Verbreitung von Breitbandtechnologien, die in einigen Ländern wie Großbritannien allerdings durch die ehemaligen Telefongesellschaften behindert wird. Lobend erwähnt Tekplus die Deutsche Telekom, die sich mit drastischen Gebührensenkungen mächtig ins Zeug lege, um die Marktdurchdringung mit DSL voranzutreiben und gleichzeitig dem Mitbewerb ein Schnippchen zu schlagen. Der Markt mit der höchs-ten Verbreitung von Heimnetzwerken ist Finnland, wo "Mini-Killer-Applikationen" für GSM-Handys wie fortschrittlichere SMS-Features am stärksten forciert werden.

Der Dreistufenplan

Home Networking wird sich laut Tekplus in drei Phasen durchsetzen:

- In der ersten Phase, die in sechs bis 18 Monaten einsetzt, werden der PC und verschiedene andere, vornehmlich aus dem IT- und TK-Bereich stammende Endgeräte über ein LAN miteinander verbunden. Dabei werden sich Bluetooth, Wireless LAN und Ethernet zum Teil gegenseitig im Weg stehen, zum Teil aber auch Hand in Hand arbeiten. Die Inhalte werden sich hauptsächlich auf Spieleanwendungen und Finanzservices durch Portale wie Yahoo konzentrieren.

- In der zweiten, der "smarten" Phase, die in 18 bis 36 Monaten beginnt, werden Embedded-Prozessoren in weißer und brauner Ware wie Fernseher, Kühlschränke und Hifi-Anlagen Einzug halten. Content-Delivery wird personalisiert. Das heißt, das Home Network wird zu einem "personalisierten Heimnetz" mit unterschiedlichen Interessengemeinschaften.

- Die dritte Phase des "intelligenten Haushalts" wird erst 2005 eingeleitet. In dieser Phase wird das Netzwerk zum Teil des Architekturplans neuer Wohnhäuser, an dem die ganze Kontrolle über die Gebäudesicherheit, Wartung und Klimatisierung hängen soll. Die Technologie, die hinter einem solchen Private oder Local Area Network (PAN und LAN) steckt, wird eine Verdrängung und ein Mix von 802.11 (Wireless LAN), GPRS, Blue-tooth, Ethernet und DECT sein.

Um eine möglich große Durchdringung von Home Networks zu erreichen, muss der Markt laut Tekplus den "katholischen Weg", sprich den allumfassenden Weg, gehen. Nicht kleckern, sondern klotzen. Wichtig sei außerdem, dass die Heimnetzwerke einfach zu installieren und zu bedienen, also plug-and-play-fähig sind. Produkt- und Serviceanbieter, die in den Markt einsteigen wollen, müssen sich allerdings mehrere Fragen stellen: Passen ihre Produkte und Dienstleistungen? Werden sie aus der neu entstehenden Wertschöpfungskette überhaupt genügend Kapital schlagen? Und was wird ihre Rolle in dem Markt sein?

www.tekplus.com

ComputerPartner-Meinung:

Das völlig vernetzte Heim - klingt ja alles schön und gut und ist für viele Hersteller, die um den Niedergang der PC-Industrie bangen, der einzig rettende Anker. Es stellt sich allerdings die berechtigte Frage: Wer braucht das alles und vor allem zu welchem Preis? Sicherlich wird es immer einige Vorreiter geben, die ihre Häuser mit jedem neuesten elektronischen Schnickschnack ausrüsten. Und tatsächlich lässt sich durch automatische Be-lüftungsanlagen sogar viel Energie sparen.

Das Gros der Deutschen stöhnt aber ohnehin schon unter einer zu hohen Mietlast und wird wohl kaum bereit sein, für ein bisschen mehr Komfort noch mehr zu bezahlen. Abgesehen davon ist es wohl nicht zu viel verlangt, selbst in die Küche zu gehen, um nachzusehen, ob noch genug Bier im Kühlschrank ist. (kh)

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