Der Videokonferenzmarkt bleibt ein Nischenmarkt

04.10.2001

Der amerikanische Videokonferenzanbieter Picturetel stand in den vergangenen Jahren immer in der ersten Reihe, wenn es darum ging, den endgültigen und kurz bevorstehenden Durchbruch des Videokonferenzmarktes anzukündigen. Dass sich das US-Unternehmen in diesen Tagen in Schweigen hüllt, während die Zeitungen voll stehen von Berichten über eine sprunghaft ansteigende Nachfrage nach diesen Systemen sowie nach den Aktien von Anbietern dieser Systeme, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich.

Das Picturetel-Management hat, so muss man die Zurückhaltung der Amerikaner wohl verstehen, aus den bisherigen Erfahrungen gelernt. Seit Jahren versuchten Picturetel und andere Anbieter, unterstützt von den Prognosen der Marktforscher, einen Markt herbeizureden, der nie dagewesen ist. Bereits Mitte der 90er Jahre hatte das Marktforschungsunternehmen Gartner Group ein weltweites Umsatzvolumen von 7,5 Milliarden Dollar im Jahr 1997 angekündigt - zwölf mal soviel wie vier Jahre zuvor. Ein wenig gemäßigter die Kollegen von Frost & Sullivan. Auch sie versprachen 1997 dem Videokonferenzmarkt ein "explosives Wachstum". Im Jahr 2003 werden Unternehmen, so die Auguren, Videokonferenzen "als normalen Kommunikationsweg" nutzen. Allein in Europa sollte der Umsatz zu diesem Zeitpunkt bei über 2,3 Milliarden Dollar liegen, verglichen mit 333 Millionen Dollar in 1996. Mit anderen Worten: Ein toller Wachstumsmarkt und beste Aussichten für Anbieter und Dienstleister in diesem Segment.

Dachte man jedenfalls. Doch die Rechnung ging nicht auf. Der Markt hielt sich nicht an die Prognosen. Die Geschäfte der Anbieter blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Bestes Beispiel: Picturetel. Wer einen Blick auf die Geschäftsentwicklung des Unternehmens wirft, gewinnt den Eindruck, dass sich Picturetel in einem Markt mit einer Wachstumsperspektive wie bei handgetriebenen Kaffeemühlen bewegt, und nicht in einem Zukunftsmarkt. So halbierte sich der Picturetel-Umsatz seit 1996 von 490 auf nur noch 245 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Das einstmals gesunde Unternehmen hat in den vier Jahren von 1997 bis 2000 insgesamt rund 287 Millionen Dollar Verlust angehäuft. Allein im Geschäftsbereich Videokonferenzsysteme fuhren die Amerikaner im vergangenen Jahr ein Defizit von 74 Millionen Dollar ein (1999: 68 Millionen Dollar Verlust). Das ist keine Entwicklung eines Unternehmens, das sich in einem Markt mit "explosivem Wachstum" bewegt. Völlig frustriert macht das Picturetel-Management denn auch den "slowdown in the growth of general market for visual collaboration products" (Geschäftsbericht 2000) für die miserablen Zahlen mitverantwortlich. Eigene Fehler kamen hinzu.

Die enttäuschten Erwartungen über die ausgebliebene Marktöffnung dürften der wesentliche Grund sein, weshalb Picturetel und andere Videokonferenzanbieter nicht in die aktuellen Wachstumsprognosen einstimmen. Sie sind damit schon einmal auf die Nase gefallen.

Und tatsächlich stellt sich die Frage, ob der Videokonferenz-Boom, so er denn tatsächlich stattfindet, von langer Dauer sein wird. Der Schock nach dem Terrorangriff in New York sitzt tief, aber nach einiger Zeit werden die Menschen wieder zu ihrem gewohnten Verhalten zurückkehren. Und dazu zählen gerade im Geschäftsleben die persönlichen Kontakte, die durch Videokonferenzen nicht zu ersetzen sind. Mit anderen Worten: Der Videokonferenzmarkt wird immer ein Nischenmarkt bleiben. (Lesen Sie zu diesem Kommentar auch unseren Bericht auf Seite 34 dieser Ausgabe.)

Damian Sicking

dsicking@computerpartner.de

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