Von „Cold Calls“ zu „Spiked Calls“

Der Wandel des Vertriebs im Channel

Tobias Lilienthal ist Head of Sales Excellence bei der Münchner Kommunikationsberatung Evernine Group.
„Cold Calls“ sind im Vertrieb immer noch der heilige Gral. Doch im IT-Channel agieren Vertriebsteams oft noch nicht modern genug, um zu erkennen, dass die digitale Welt sehr gut unterstützen kann, die sogenannten „kalten Anrufe“ abzulösen. Die Vertriebs-Roadmap ist klar vorgegeben, die Zukunft kann kommen.
Das Telefon gilt nach wie vor als das beliebteste Arbeitsmittel der Vertriebler.
Das Telefon gilt nach wie vor als das beliebteste Arbeitsmittel der Vertriebler.
Foto: Antonio Guillem - shutterstock.com

Egal wo man ist - der Griff zum Hörer ist in den meisten Vertriebsteams immer noch Standard. Das mag auch weiter der Fall sein, doch wer sich alleine auf diesen Kanal verlässt, riskiert die eigene Wettbewerbsfähigkeit - denn auch Einkaufsprozesse finden zunehmend digital statt

Ob bei einem Bier mit Berufskollegen oder im Kundenworkshop - es zeichnet sich immer wieder dasselbe Bild: Egal ob alter Vertriebshase mit Jahrzehnten Erfahrung auf dem Buckel oder Jungspund- das Telefon gilt nach wie vor als bester Freund der meisten Vertriebler. Dabei finden Entscheidungen heute woanders statt: im Web.

Laut einer Studie von IDC nutzen 84 Prozent der Führungskräfte weltweit heute Social Media, um Kaufentscheidungen zu treffen - der Wegfall von Events und persönlichen Vor-Ort-Terminen seit Corona kommt als digitaler Beschleuniger hinzu. Wer hier weiterhin nur auf das Telefon setzt, fährt in der Kutsche, obwohl er (oder sie) auch im Sportwagen fahren könnte. Beide Verkehrsmittel werden einen schlussendlich ans Ziel bringen - die Frage ist nur wie lange es dauert und wie holprig die Fahrt ist.

Das "New Normal" ist da

Zeitsprung - zwei Jahre zurück: Eine globale Pandemie hat die Art und Weise wie wir arbeiten monumental verändert. Events und Veranstaltungen sind weggefallen, Fahrten des Außendienstes wurden zu virtuellen Meetings und immer mehr Geschäft findet über das Internet statt. Dieser Zustand wurde in den Medien oft als "New Normal" beschrieben. Vielerorts werden Stimmen laut, dass das eine Entwicklung war, die durch die Pandemie nicht herbeigeführt, sondern lediglich beschleunigt wurde. Vertriebsteams müssen sich dessen bewusst sein und sich entsprechend aufstellen - doch wo soll man anfangen?

Alles eine Frage des Mindsets

Erfahrungsgemäß wollen viele Unternehmen das Pferd von hinten aufzäumen. Doch bevor man sich mit komplexeren Themen, wie der entsprechenden Datenbasis oder neuen Vertriebstechniken auseinandersetzt, sollte man sich zunächst um die weicheren Themen kümmern. Viele Menschen kriegen beim Wort "Mindset" zurecht Gänsehaut. Zu oft wurde dieses Terminus von vermeintlichen Internet-Experten mit teuren Uhren und Sportwagen missbraucht, die auf LinkedIn oder YouTube anderen das Geheimnis eines fünfstelligen, passiven Monatseinkommens verraten wollen. Was sich hinter dem Wort verbirgt, ist jedoch viel mehr eine neue Denke und ein Verständnis für digitale Kommunikationsplattformen. Vielen ist das Potential von Plattformen wie LinkedIn & Co immer noch nicht klar. Sie haben keine Ahnung, wie sie diese vielversprechenden Vertriebswerkzeuge effizient nutzen können.

Geschickte Vertriebler haben auf Social-Media-Plattformen deutlich mehr Spiel- und Freiraum als in klassischen Vertriebskanälen. Dabei eignet Social Media nicht nur für extrovertierte Selbstdarsteller, sondern auch für gute Zuhörer -Stichwort: "social listening". Es gibt hier zahlreiche spannende Möglichkeiten, wie Vertriebler Social Media gezielt nutzen können, um Informationen über Zielunternehmen und mögliche Ansprechpartner zu ermitteln.

Ein Beispiel sind aktuelle Pressemitteilungen, die ein Zielunternehmen herausgibt, und auch Bedarf und Informationen zu bestimmten Themen, dass das betreffende Unternehmen gerade umtreibt, preisgibt. Auch Einkäufer und andere Entscheider in den Unternehmen sowie deren Verantwortungsbereiche lassen sich eruieren - im Übrigen genau wie deren berufliche Lebensläufe und Interessengebiete oder gemeinsame Vernetzungsgrade mit dem eigenen Sales-Team.

Gibt es hier schon indirekten Bezug, und wenn ja, welchen? Was treibt das Zielunternehmen gerade um? Wie sieht die Historie des anzusprechenden Unternehmens aus? Wer entscheidet was? All das findet sich auf Social Media, aber auch im Web. Warum wird dies bisher so wenig noch genutzt?

Die "neue" Welt der Daten

Während immer noch viele Briefings für Sales-Verantwortliche und Tele-Sales-Agenturen so aussehen, dass diese klassisch "vorkonfigurierte Leads" mit fixer Ansprache abtelefonieren, ist es deutlich vielversprechender, sich eine eigene Sales-Stories anhand angereicherter Daten zu überlegen.

Digitale Systeme können hier helfen. So gibt es spezielle Tools und CRM-Systeme, die DSGVO-konform Social-Selling-Informationen bereitstellen und aufnehmen können. Ebenso können Marketing-Automation-Systeme auch Vertrieblern helfen, anvisierte Zielunternehmen sinnvoll zu clustern und individuelle Ansprachen mit Hilfe von smarten Services zu optimieren.

Doch auch wenn Softwarelösungen als Bausteine eines digitalen und modernen Vertriebs sinnvoll sind - im Kleinen und ohne technische Unterstützung können Kontakte sinnvoll geclustert, mit Informationen (zum Beispiel aus Social Media oder Clipping-Systemen) angereichert und über verschiedene Kanäle bespielt und angesprochen werden.

Natürlich können auch hier in Teilen automatisierte und standardisierte Ansprachen erfolgen - aber eben auch gezieltes "cherry picking", das besondere Entscheider in den Unternehmen (Geschäftsführer, Einkäufer, etc.) gezielt adressiert. Bestimmte Personen brauchen eben spezielle Ansprachen. Der Aufwand dafür scheint initial oft höher, die Vertriebsquoten werden dadurch aber entscheidend verbessert und die Motivation der Vertriebsmitarbeiter steigt, weil ihre Kreativität gefragt ist und sie dadurch ihren Job gerne machen.

Von "Cold Calls" zu "Spiked Calls"

Nun zurück zu unserer Eingangsfrage. Hat das Telefon ausgedient? Natürlich nicht. Doch durch einen digitalen und datenbasierten Vertrieb werden Cold Calls zu "Spiked Calls" - also "gespickten" Calls, die dann nicht mehr "kalt" sind. Eine entsprechende Vorqualifizierung, Social Monitoring und Co ermöglichen es, Telefonate im Vorfeld mit Informationen und einer individuellen Story anzureichern. Spiked Calls erhöhen die Erfolgsaussichten immens - etwa, wenn auf einen gemeinsamen Kontakt (über LinkedIn) mit der Ansprechpartnerin auf der anderen Seite des Hörers hingewiesen wird oder der Anrufende zeigt, dass er die individuellen Herausforderungen und Themen des Zielunternehmens bereits kennt - bezogen eben auf das konkrete Unternehmen und nicht allgemein auf die Branche.

Die klassische Vertriebs-DNA bleibt nach wie vor elementar, um in diesem Job wirklich gut sein zu können. Digitale Plattformen und Tools können hierbei jedoch den Arbeitsalltag enorm erleichtern und mehr Raum für kreative Ansprachen schaffen - davon profitieren dann auch die Kunden.

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