Der weltweite Handy-Absatz geriet erstmals ins Stocken

28.03.2002
Zum ersten Mal in der Geschichte der Mobilfunkindustrie sanken die weltweiten Absatzzahlen für Handys. Die Analysten von Gartner sowie Unternehmensvertreter erwarten trotz neuer Übertragungs-technologien auch für 2002 keine Erholung.

Ach, was waren das noch für goldene Zeiten: Von 1996 bis 2000 wurden die Anbieter von Mobiltelefonen jährlich mit Zuwachsraten von fast 60 Prozent verwöhnt. Die weltweite Nachfrage schien grenzenlos. Doch im vergangenen Jahr hatte der Traum ein jähes Ende. Der Boom war nicht nur vorbei, erstmals in der Geschichte der Mobilfunkindustrie sank sogar die Zahl der verkauften Geräte, und zwar gleich um 3,2 Prozent von mehr als 412,7 Millionen Handys auf knapp 399,6 Millionen Stück. Sowohl die Analysten als auch die Hersteller erwarten für 2002 einen ähnlich zurückhaltenden Markt.

"Früher sorgten vor allem die Prepaid-Angebote in historisch wachstumsstarken Märkten wie Westeuropa und Lateinamerika für steigende Handy-Verkäufe. Als aber die Subventionen wegfielen, brachen auch die Abverkaufszahlen ein", berichtet Bryan Prohm, Senior-Analyst im Marktforschungsbereich Mobile Kommunikation weltweit bei Gartner Dataquest. "Dazu kam, dass die unerwartet starke Nachfrage nach geräteunabhängigen SIM-Cards den Markt für Gebrauchthandys zum Erblühen brachte und damit den Neukäufen in die Quere kam."

Ann Lian, Industrie-Analystin von Gartner, fügt noch hinzu: "Ein beträchtlicher Überhang noch nicht verkaufter Lagerbestände aus dem vierten Quartal 2000 hat ebenfalls im ersten Halbjahr für geringere Stückzahlen gesorgt. Dieser Lagerüberhang war im grauen Markt sehr begehrt. Die Konsequenz: In der Region Asien/Pazifik, allen voran im chinesischen Markt, war der graue Markt seit Jahren noch nie so aktiv wie 2001."

Der Handymarkt in den USA litt unter der allgemeinen Rezession. Die Anbieter konnten weder neue Endverbraucher zum Kauf motivieren noch bestehende Kunden zum Ersatzkauf bewegen. Nach Analysteneinschätzung warten selbst die Kunden, die upgraden wollen, auf eine größere Auswahl bei den "Next-Generation"-Produkten. So konnte etwa GPRS nicht die Erwartungen erfüllen, da zu viele potenzielle Käufer beispielsweise direkt auf UMTS umsteigen wollen.

Gewinner und Verlierer

Während der Gesamtmarkt zurückging, konnte Primus Nokia seine Stückzahlen und damit auch seinen Marktanteil erhöhen. Über das gesamte Jahr gesehen halten die Finnen 35 Prozent des Handy-Kuchens, allein im vierten Quartal waren es dank knapp 40 Millionen verkaufter Mobiltelefone sogar 37 Prozent.

Der Zweitplatzierte Motorola konnte Nokia immerhin im chinesischen Markt die Pole-Position abnehmen und etablierte sich als DCMA-Anbieter (Code Division Multiple Access) in Lateinamerika und in Nordamerika als Nummer eins. Siemens konnte Motorola dank eines zehnprozentigen Wachstums wohl in dem einen oder anderen Quartal den zweiten Platz streitig machen, im Jahresmittel reichte es jedoch nur für den dritten Platz.

Mit einem Jahresplus von 36,8 Prozent erreichte Samsung unter den Top-Anbietern den mit Abstand größten Zuwachs und konnte sich quasi aus dem Nichts knapp hinter Siemens auf den vierten Platz vorschieben. Der Erfolg des koreanischen Elektronikkonzerns ist auf konsequente Diversifikation des Produktportfolios, extrem starke Leistung einiger weniger Top-Produkte und auf aggressives regionales Marketing sowie unterstützende Kampagnen zurückzuführen.

Der große Verlierer im Top-Quintett ist Ericsson, denn die Zahl der verkauften Geräte fiel übers Jahr um 35 Prozent. Aber das ist nur relativ: Gemeinsam mit Sony kam das Unternehmen auf stattliche 34 Millionen Stück, was theoretisch für einen komfortablen dritten Platz gereicht hätte. Für das aktuelle Jahr prophezeien die Analysten dem Joint Venture dank einer wiederbelebten Marktpräsenz beste Aussichten, den Bronzeplatz zu erringen.

Für das erste Halbjahr erwarten die Gartner-Analysten wohl noch keine massiven Marktzuwächse, aber laut Prohm haben die Konsumenten im vierten Quartal vor allem das Ericsson T68 zu schätzen gewusst. Er vermutet, dass Handys mit Farbdisplay den Ersatzkaufmarkt mehr beleben werden als bislang vermutet. Deshalb ist sich Gartner sicher, dass alle führenden Hersteller dieses Feature in kürzester Zeit implementieren und im zweiten Halbjahr 2002 eine Vielzahl an Handys mit Farbdisplay auf den Markt bringen werden. Die Anbieter stehen unter enormem Druck, neuartige, unwiderstehliche Mobiltelefone herzustellen, um den Ersatzkaufmarkt anzutreiben.

www.gartner.de

ComputerPartner-Meinung:

Wer in diesem Jahr ganz vorne mitbestimmen will, muss den satten Kunden mit neuen Features, originellem Design und erkennbarem Mehrwert ködern. Aber vielleicht genügt es ja schon, endlich für Klarheit bei den verschiedenen Übertragungstechnologien zu sorgen, um den Markt wieder anzukurbeln. Solange UMTS noch in der Pipeline steckt, gilt GPRS als teure Zwischenlösung, auf die der potenzielle Kunde lieber verzichtet und stattdessen auf den endgültigen Standard wartet. Und wer wartet, kauft nicht. (go)

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