Deutsche Manager sind gute Organisatoren, aber schlechte "Leader"

22.08.2002
Die Mitarbeiter deutscher Unternehmen fühlen sich weder ausreichend in die Entscheidungen ihrer Vorgesetzten einbezogen noch gut über sie informiert. Entsprechend gering ist ihr Vertrauen in die Unternehmensführung. Das zeigt eine länder- und branchenübergreifende Studie von International Survey Research.

Mit ihrer Arbeitssituation sind immerhin 61 Prozent der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen zufrieden und erreichen somit einen höheren Zufriedenheitswert als Mitarbeiter in den meisten anderen Industrienationen (siehe Grafik "Allgemeine Mitarbeiterzufriedenheit"). Weniger zufrieden als ihre ausländischen Kollegen sind die deutschen Mitarbeiter aber mit der "Unternehmensführung", ihrer "Einbeziehung" und ihrer "Weiterbildung und Entwicklung". Das belegt eine Studie des Beratungsunternehmens International Survey Research (ISR) mit Hauptsitz in Chicago und einem Ableger unter anderen in Frankfurt am Main.

Der Spezialist für Organisationsanalysen durch Mitarbeiter-, Führungskräfte- und Kundenbefragungen interviewte weltweit insgesamt 1,5 Millionen Beschäftigte zu ihrer Zufriedenheit in den zwölf Themenfeldern "Eigene Arbeit", "Gesicherter Arbeitsplatz", "Entlohnung", "Weiterbildung und Entwicklung", "Arbeitsbelastung", "Direkter Vorgesetzter", "Einbeziehung des Mitarbeiters", "Unternehmensführung", "Organisatorische Effektivität", "Kundenorientierung", "Qualität" und "Unternehmensethik".

89 Prozent halten ihre Arbeit für "nützlich"

Dabei zeigt der Vergleich der erzielten Durchschnittswerte in den einzelnen Befragungsbereichen große Unterschiede zwischen den Industrienationen (siehe Grafik "Kategorienprofil Deutschland"). Entsprechendes gilt für die Fragen, die ihnen zugeordnet sind. So fällt zum Beispiel auf: Die Zufriedenheit der deutschen Mitarbeiter mit ihrer eigenen Arbeit ist höher (84 Prozent) als ihre Gesamtzufriedenheit. 89 Prozent glauben, dass sie eine "nützliche" Arbeit verrichten, und 82 Prozent vermittelt ihre Arbeit das Gefühl "Ich kann etwas". Hier zu Lande sind die Zufriedenheitswerte höher als in den anderen EU-Staaten und den USA. Für den Bereich "Gesicherter Arbeitsplatz" hingegen gilt: Die Arbeitnehmer in den meisten europäischen Industrienationen halten ihren Arbeitsplatz für sicherer als ihre deutschen Kollegen (60 Prozent). Selbst die US-Amerikaner haben stärker das Gefühl "Mein Arbeitsplatz ist sicher" (62 Prozent).

Ingesamt zeigt die Studie: Die deutschen Unternehmen sind in allen Bereichen stark, bei denen die Führung nur eine indirekte Rolle spielt. Sie erzielen zum Beispiel bei sämtlichen Fragen, welche die Arbeitsorganisation betreffen, Spitzenwerte. Ähnlich verhält es sich in den Bereichen "Qualität" und "Kundenorientierung". Hier erzielen sie zwar ähnlich hohe Durchschnittswerte wie die Unternehmen in den anderen Industrienationen. Auffallend ist aber: Bei allen Fragen, bei denen Führung und Kommunikation eine starke Rolle spielen, sind die Werte relativ niedrig. So sagen zum Beispiel nur 53 Prozent der befragten deutschen Mitarbeiter, Rückmeldungen darüber zu erhalten, wie zufrieden ihre Kunden sind. Ebenso waren nur 31 Prozent der Auffassung, ihr Unternehmen messe der Qualität der Arbeit mehr Bedeutung bei als der Quantität.

Schwachpunkte Teamarbeit und Kommunikation

Diese Zahlen sind kein Zufall. Das zeigt sich beim Betrachten der Befragungsbereiche "Direkter Vorgesetzter", "Einbeziehung des Mitarbeiters" und "Unternehmensführung". Dort zählen die deutschen Unternehmen nicht zu den Top-Scorern. So sind in Deutschland zwar 64 Prozent der Mitarbeiter insgesamt mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten zufrieden. Schlechter als ihre europäischen und amerikanischen Kollegen schneiden die deutschen Führungskräfte aber ab, wenn es darum geht, ob der direkte Vorgesetzte effektiv kommuniziert, seine Mitarbeiter gut führt und die Teamarbeit stimuliert. Dann reichen die Zufriedenheitswerte in Deutschland von 59 bis 62 Prozent. Zum Vergleich: In den USA liegen diese Werte zwischen 64 und 69 Prozent.

Ähnlich verhält es sich im Bereich "Unternehmensführung". Hier schneiden die deutschen Unternehmen mit einem Zufriedenheitswert von 55 Prozent zwar insgesamt nicht viel schlechter ab als die Unternehmen in den meisten anderen Industriestaaten. Ein anderes Bild ergibt sich aber, wenn man die Antworten auf die einzelnen Fragen betrachtet. Dann fällt auf: Das relativ gute Gesamtergebnis kommt nur zustande, weil die meisten deutschen Mitarbeiter sagen: "Uns werden klare Ziele vorgegeben." Dieser Aussage stimmen zum Beispiel 15 Prozent mehr deutsche Mitarbeiter als US-amerikanische zu.

Zugleich äußern aber nur 50 Prozent der Deutschen, ihre Führung gebe ihnen eine Richtschnur für ihr Handeln vor, und nur 56 Prozent sagen, sie hätten eine klare Vorstellung von der Strategie des Unternehmens. Überspitzt heißt dies: Die deutschen Mitarbeiter wissen zwar meist, was sie zu tun haben, aber oft nicht, warum sie dies tun sollen.

Die gewohnten Trampelpfade

Entsprechend gering ist ihr Vertrauen in das Management. Nur 68 Prozent der deutschen Mitarbeiter vertrauen ihren unmittelbaren Vorgesetzten (Großbritannien: 70; Niederlande: 72; Schweiz: 76 Prozent), und gar nur 56 Prozent haben Vertrauen in die Entscheidungen der Unternehmensführung (Großbritannien: 52; Niederlande: 54; Schweiz: 65 Prozent). Eine wesentliche Ursache hierfür: Beim "Einbeziehen der Mitarbeiter" erzielen die deutschen Unternehmen niedrigere Zufriedenheitswerte als ihre skandinavischen und amerikanischen Mitbewerber.

In diesem Bereich zeigen sich auch die größten Abweichungen zwischen den einzelnen Fragen. So sind zum Beispiel nur 46 Prozent der deutschen Mitarbeiter überzeugt, sie könnten ungestraft die gewohnten Pfade verlassen. Nur 57 Prozent glauben zudem, Probleme offen ansprechen zu können. 76 Prozent sind aber der Auffassung, sie hätten genügend Entscheidungsspielräume, um ihren aktuellen Job gut zu machen. Überspitzt formuliert heißt dies: Die Mitarbeiter der deutschen Unternehmen haben zwar ausreichend Spielräume, um ihre Arbeit zu erledigen. Wenn sie aber etwas verändern möchten, stoßen sie schnell auf Widerstände.

Gestützt wird diese These durch die Ergebnisse im Bereich "Weiterbildung und Entwicklung". Hier erzielen die deutschen Unternehmen zwar einen mittelmäßigen Zufriedenheitswert, schneiden aber bei allen Fragen schlecht ab, bei denen es um die Potenzialentwicklung geht. So glauben zum Beispiel gerade mal 51 Prozent der deutschen Mitarbeiter, dass sie ausreichend unterstützt werden, ihre Fähigkeiten zu erhöhen. Und gar nur 38 Prozent sind der Auffassung, ihnen würden ausreichend Möglichkeiten geboten, um sich für eine bessere Stelle zu qualifizieren.

Outperformer haben Top-Leader

Besonders interessant werden diese Studienergebnisse, wenn man sie mit einem anderen Benchmark von ISR vergleicht, das zeigt, wodurch sich "Best-in-class"-Unternehmen, die einen höheren "Return on invested Capital" (ROIC) als ihre Mitbewerber erzielen, von der Gesamtheit der Unternehmen unterscheiden. Dann wird deutlich: Die Mitarbeiter der "Outperformer" sind mit ihrer aktuellen Tätigkeit, der Arbeitsorganisation, ihrer Arbeitsbelastung und ihrer Vergütung kaum zufriedener als die Mitarbeiter anderer Unternehmen. Selbst die unmittelbaren Vorgesetzten schneiden kaum besser ab (plus zwei Prozent) (siehe Grafik "Kategorienprofil Outperformer"). Anders sieht es aber bezogen auf die Bereiche "Einbe- ziehung des Mitarbeiters", "Weiterbildung und Entwicklung" und "Unternehmensführung" aus. Hier erzielen die "Hochleistungsunternehmen" deutlich bessere Resultate als die Gesamtheit der Firmen.

www.isrsurveys.com

Der Autor Bernhard Kuntz ist freier Journalist in Darmstadt.

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