Deutscher IT-Markt wird erstmals Sorgenkind der Wirtschaft

10.10.2002
Dieses Jahr wird die deutsche IT-Branche erstmals schrumpfen. Nur massive Strukturveränderungen, vor allem im Arbeitsrecht, können nach Meinung des Bitkom den Markt wiederbeleben.

Noch im Juni glaubte Volker Jung, Präsident des Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien), die Konsolidierungsphase in der deutschen IT-Branche sei beendet. Doch die Hoffnung trog. Derzeit geht es der Branche schlechter denn je, und erstmals haben auch die Wachstumsträger der vergangenen Jahre - Software und IT-Services - ihre Zugkraft verloren. Allein die Telekommunikations- und Internetdienste schreiben schwarze Zahlen. Der gesamte deutsche IT-Markt wird bis Jahresende um 1,3 Prozent auf 136 Milliarden Euro schrumpfen.

Deutschland bildet somit das Schlusslicht im internationalen Vergleich. "Und das kann nicht allein an der Weltkonjunktur liegen", meint Jung. In dieser Situation brauche man eine Politik, die Freiräume für Wachstum, Innova-tion und Arbeitsplätze schafft. Das könne man beispielsweise schaffen durch verstärkte Förderung des deutschen Bildungssystems, steuerliche Entlastung und finanzielle Stärkung von Mittelstand und Exis-tenzgründern, den Ausbau leis-tungsfähiger Kommunikations-Infrastrukturen (Breitband, UMTS), kostensenkenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Verwaltung (E-Government), im Gesundheitswesen (E-Health) und im Verteidigungsbereich sowie durch die Anpassung des Urheberschutzes an den technischen Fortschritt. Auch der Umweltschutz und die Nachhaltigkeit sollten sichergestellt werden, jedoch nicht durch wettbewerbsverzerrende Regelungen.

Der wichtigste Punkt der Bitkom-Forderungen ist jedoch die Akti-vierung des Beschäftigungspotenzials. Erstmals seit den 90er-Jahren ist nämlich die Beschäftigungsentwicklung in der IT-Branche rückläufig. Für 2002 rechnet der Bitkom mit einem Minus von gut drei Prozent. Damit fallen per Saldo 28.000 Arbeitsplätze weg. Selbst Softwarehäuser und IT-Dienstleis-ter müssen Arbeitsplätze abbauen. Gerade diese hatten aber zwischen 1999 und 2001 noch 87.000 zusätzliche Stellen geschaffen.

Neue Arbeitsplätze entstünden je-doch nur, wenn sie bezahlbar seien und betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten angepasst werden könnten, so Jung. "Deshalb müssen zum einen die Steuern runter, für die Unternehmen genauso wie für die Beschäftigten. Und einige beschäftigungshemmende Arbeitsgesetze, die in der vergangenen Legislaturperiode geschaffen wurden, sollten auf den Prüfstand. Letztere hätten zu einer rückwärtsgewandten Überregulierung und Erstarrung des Arbeitsrechts geführt. Das gesamte deutsche Arbeitsrecht müsse deshalb entschlackt werden. Wie Jung betont, wolle man den Arbeitnehmern keineswegs sinnvollen Schutz nehmen. Es bedeute vielmehr, den Rechtsrahmen so zu setzen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Entscheidungsfreiheit zurückerhalten.

Der Bitkom stellt deshalb folgende Forderungen an die Regierung:

1. Die Befristung von Arbeitsverhältnissen ist zu erleichtern. Sie sollten mehrfach mit demselben Arbeitnehmer vereinbart und auf mehrere Jahre ausgedehnt werden können.

2. Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis und ohne Bürokratie ermöglichen. Statt Zwangsansprüche durchzusetzen, sollte Teilzeitarbeit durch freiwillige Vereinbarungen zu Stande kommen.

3. Die Betriebsverfassung sollte durch eine faire Betriebspartnerschaft abgelöst werden. Es ist nach Ansicht des Bitkom mit-telstandsfeindlich, kostentreibend und führt zu einer Aufblähung der Gremien. Besser wären mehr Gestaltungsspielräume, mehr Flexibilität und mehr Freiheit.

4. Der Kündigungsschutz ist mit Ziel der Beschäftigungsförderung zu reformieren. Der Schutz der Arbeitsplatzbesitzer dürfe sich nicht zum Bremsklotz gegen neue Beschäftigung entwickeln. Deshalb seien Vereinbarungen der Sozialpartner zu Abfindungsmodellen besser und sollten aktiv gefördert werden.

5. Arbeitsschutzmaßnahmen sind den modernen Betriebsabläufen anzupassen. Der Bitkom fordert eine Stärkung der Arbeitszeitflexibilität. Nurmehr fünf bis zehn Prozent der knapp 800.000 IT-Beschäftigten arbeiten in der Produktion. Die meisten sind vielmehr so genannte "Knowledge-Worker". Aber gerade kreative, abwechslungsreiche und geistig hoch anspruchsvolle Aufgaben ließen sich nicht in einen typischen Achtstundentag zwängen. Auch müss-ten in der IT-Branche projektbedingte Spitzenzeiten aufgefangen werden. Dafür sei aber die Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden untauglich, Lebensarbeitszeitkonten hingegen sehr sinnvoll.

6. Die Anreize zur Aufnahme einer beruflichen Beschäftigung müssen erhöht werden. Laut Bitkom reichen die Vorschläge der Hartz-Kommission nicht aus. Wenn man jedoch die Bezugszeit von Arbeitslosengeld für Arbeitnehmer unter 50 Jahren auf zwölf Monate beschränke, würden sie sich schneller wieder um einen neuen Arbeitsplatz bemühen als bisher.

7. Förderung neuer Formen der Erwerbsarbeit, beispielsweise Telearbeit. Durch die dezentrale Organisation von Wissensarbeit können gerade in ländlichen Gebieten oder im Bereich der Teilzeitbeschäftigung erhebliche Beschäftigungspotenziale ausgeschöpft werden.

Die Initiative D21 stellt ähnliche Forderungen, verlangt aber unter anderem die Abschaffung des Gesetzes zur Scheinselbstständigkeit. Hinzu kommt, dass die Initiative für IT-Existenzgründer die Voraussetzung des großen Befähigungsnachweises (Meisterprüfung) für die Selbstständigkeit ablehnt.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf Seite 10.

www.bitkom.org

www.initiatived21.de

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