Kampf gegen Fachkräftemangel

Deutschland öffnet seinen Arbeitsmarkt

02.03.2020
IT-Experten aus Indien, Pflegekräfte von den Philippinen, Bauarbeiter aus Marokko - Deutschland sucht Arbeitnehmer auch jenseits der EU. Den Weg soll ihnen das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ebnen. Es soll nun schnell wirken.
Von März an können Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche kommen, wenn sie Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Von März an können Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche kommen, wenn sie Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Foto: r.classen - shutterstock.com

Bundesregierung und Arbeitgeber setzen angesichts vieler offener Stellen bei deutschen Unternehmen große Hoffnungen in das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete das Gesetz, das an diesem Sonntag (1. März) in Kraft tritt, als "Meilenstein" für den Standort Deutschland. Altmaier sagte beim Besuch eines mittelständischen Unternehmens in Potsdam, seit einigen Jahren sei der Mangel an Fachkräften eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft. Dies solle nun auch mit dem Gesetz verbessert werden.

Fachleute zeigten sich vorsichtig optimistisch, dass das neue Gesetz wirkt. "Schon der Name ist ein deutliches Signal, dass wir uns für Fachkräfte aus dem Ausland öffnen", sagte OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig der Deutschen Presse-Agentur. Er merkte aber auch an: "Es wäre wichtiger, auf Anpassungsfähigkeit und hohe Motivation von Einwandern zu achten als auf formale Qualifikationen." Das sei auch deshalb wichtig, weil der technologische Wandel die Arbeitswelt in Deutschland so stark verändern werde wie in kaum einem anderen Land.

Vorrangprüfung entfällt für qualifizierte Ausländer mit Arbeitsvertrag

Bislang können nur Uni-Absolventen aus Nicht-EU-Staaten ohne Arbeitsplatzangebot in Deutschland nach Jobs suchen. Von März an können auch Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche kommen, wenn sie Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Vorrangprüfung, bei der geprüft wird, ob nicht auch ein inländischer Bewerber zur Verfügung steht, soll für qualifizierte Ausländer mit Arbeitsvertrag entfallen. Visa sollen schneller vergeben werden. Für EU-Bürger gilt weiterhin Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Altmaier sagte am Freitag, Zielländer zur Anwerbung von Fachkräften seien etwa Vietnam, Brasilien oder Bosnien und Herzegowina. Die Fehler der Zuwanderungspolitik der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland sollten vermieden werden. Damals sei es vor allem darum gegangen, den Bedarf an ungelernten Arbeitnehmern zu decken. "Man hat sich über schulische Integration, über Ausbildung, über Sprachkenntnisse damals keine Gedanken gemacht, daraus sind soziale Spannungen entstanden." Nun sollten Menschen mit Qualifikationen kommen, bereits vor der Einreise sollten bestimmte Deutschkenntnisse vorhanden sein.

Fachkräftemangel in Deutschland

Viele Betriebe können derzeit Stellen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlen. Das liegt auch an der demografischen Entwicklung. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte, die deutsche Wirtschaft bekomme schon längst zu spüren, dass der Bedarf an Fachkräften allein mit inländischen Fachkräften nicht mehr gedeckt werden könne.

Ob das neue Gesetz den erhofften Erfolg bringt, muss nach Einschätzung von Beobachtern die Praxis zeigen. "Entscheidend ist jetzt, dass das Gesetz bürokratiearm und mittelstandsfreundlich umgesetzt wird", heißt es vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). "Schon jetzt beobachten wir eine rasant steigende Zahl von Anfragen." Häufig gehe es dabei um Situationen, in denen Handwerksbetriebe schon ausländische Fachkräfte kennen und diese möglichst schnell ins Land holen wollten.

Kramer sagte, personelle Verstärkungen bei den "Hotspots" unter den Auslandsvertretungen und eine IT-Vernetzung der beteiligten Behörden für elektronischen Datenaustausch seien unverzichtbar. Die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Petra Bendel, betonte: "Wichtig sind gute Sprachkurse, schnelle Visa und dass im Ausland erworbene Qualifikationen zügig anerkannt werden. Erst dann wird das Gesetz wirken."

Großer Bedarf an Fachkräften im Pflegebereich

Der Spracherwerb schon im Herkunftsland spielt bereits heute eine große Rolle bei Programmen, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit für Fachkräfte durchführt. Seit sieben Jahren gibt es sie unter anderem für den Pflegebereich, wo nach Einschätzung von Experten bis 2025 etwa 150.000 zusätzliche Kräfte benötigt werden.

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Bosnien und Herzegowina, Serbien, den Philippinen und Tunesien, von wo in den vergangen Jahren nach Angaben der Arbeitsagentur 2.220 Menschen nach Deutschland kamen, um in Pflegeberufen zu arbeiten. Mehr als 1.000 weitere Personen befänden sich derzeit noch in der Vorbereitung.

Aber auch für die Gastronomie und die Baubranche laufen Pilotprojekte - vor allem in Nordafrika. In Kooperation mit dem Goethe-Institut in Marokko werden derzeit 100 Marokkaner für eine Ausbildung in Deutschland sprachlich und kulturell fortgebildet. In sechs Monaten sollen die jungen Menschen fit für den deutschen Arbeitsmarkt sein.

Das Programm ist fordernd: "Was sich die Leute mit diesem intensiven Programm antun, ist enorm", sagte Institutsleiterin Susanne Baumgart. "Sie machen das nur, weil es hier in Marokko wirklich wenig Chancen für sie gibt." Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko hoch. Viele junge Menschen studieren, finden anschließend aber keine passende Stelle.

Neben der wichtigen sprachlichen Ausbildung gehe es vor allem auch darum, ein realistisches Bild von Deutschland und der Arbeit in der Gastronomie und dem Baugewerbe zu zeichnen. "Für manche ist das ein Traum, der zum Alptraum wird, wenn sie sich dann irgendwo alleine in der bayerischen Provinz wiederfinden", sagte Baumgart. Immerhin: Von den mehr als 100 Teilnehmern aus einer ersten Pilotphase, die 2017 begonnen hatte, sind nach GIZ-Angaben noch drei Viertel in Ausbildung und legen bald ihre Abschlussprüfungen ab. (dpa/rs)

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