"Die Aktien am Neuen Markt waren eine künstliche Währung"

02.08.2001
Die Kauflust ist den Unternehmern mit dem Börsencrash vergangen, glauben viele Analysten. Arthur Andersen hält dagegen: Gerade jetzt berge ein Stillstand große Gefahren. Für die nächsten Jahre sei deshalb mit einer Zunahme von Transaktionen zu rechnen.

Jedes zweite Unternehmen aus der Telekommunikations-, Internet- und IT-Industrie plant in naher Zukunft eine Transaktion zur Steigerung des Unternehmenswertes - und das trotz des derzeit schwierigen Marktumfelds. Wie eine Studie von Arthur Andersen zeigt, stehen in den nächsten Jahren im deutschsprachigen Raum zahlreiche Verkäufe, Spin-offs, Ausgliederungen und Abspaltungen an. Damit steht das Ergebnis der Untersuchung im krassen Gegensatz zu den Prognosen anderer Beratungsunternehmen, die rückläufige Tendenzen und ein sanftes Einschlafen des Transaktionsmarktes prognostizieren.

Von April 2000 bis März 2001 werteten die Corporate-Finance-Experten von Arthur Andersen die geschäftlichen Aktivitäten im deutschsprachigen Raum aus. Ihrer Ansicht nach dürfen die Ergebnisse als Trendvorgabe für den europäischen Raum gelten.

E-Commerce und Internet-Service sind in Bewegung

So haben in dem Beobachtungszeitraum in Deutschland, Österreich und der Schweiz insgesamt 745 Transaktionen stattgefunden. Nur bei 16 Prozent wurde das Volumen veröffentlicht, wobei insgesamt 257 Milliarden Dollar bezahlt wurden. In vier von fünf Fällen standen Unternehmen aus dem Internet/IT-Umfeld auf der Target-Liste. Die meisten Aktivitäten wurden in den Marktsegmenten "E-Commerce" (223) und "Internet- Service" (199) verzeichnet.

"Die Telekommunikations- und IT-Branchen bilden nach wie vor das Herzstück der New Economy", erklärt Michael Späth, Leiter der europäischen Communication Group bei Andersen Corporate Finance. "Innerhalb dieser Industrie haben die zunehmende Globalisierung, technologische Innovationen, Konvergenzen sowie die Entwicklungen an den Kapitalmärkten allerdings zu dramatischen Verän- derungen geführt."

Sieben Schlüsselbranchen identifiziert

So habe man Festnetz, Breitband, Mobilfunk, Telekommunikationsausrüstung, E-Services, Internet-Service-Providing (ISP) und Application-Infrastructure-Providing (AIP) als die sieben "Schlüsselbranchen" der Industrie identifiziert. Hier sei in den nächsten Jahren mit einer erheblichen Zunahme der Transaktionen zu rechnen - und zwar weltweit. Die Marktsegmente würden ein überdurchschnittlich hohes Potenzial für neue Geschäftsmodelle sowie hohe Investmentrenditen in signifikanten Teilbereichen bieten. Späth: "In diesen ,hot sectors# entstehen immer neue Produkte, Dienste und Technologien, die es bis dato noch nicht gab."

Ohnehin habe sich die Motivation für Firmenzukäufe grundlegend geändert: "Der Trend geht von der kapital- hin zur unternehmensgetriebenen Transaktion", glaubt Späth.

Bis zum Börsencrash seien die Firmen des neuen Marktes vor allem am Wachstum durch Zukäufe interessiert gewesen, mittlerweile gehe es um klare Strategien. Und um bares Geld: "Die Aktien am Neuen Markt waren eine künstliche Währung", erklärt Späth. Dieser Markt sei tatsächlich tot, "weil viele Unternehmen ihre Aktien höher einschätzen, als der Markt das tut, die Interessenten das Risiko aber nicht mehr in Kauf nehmen wollen".

Um weiter auf dem Markt bestehen zu können, müssten sich jedoch auch bislang erfolgreiche Unternehmen den neuen Trends anpassen. Gerade die starke Bewegung durch Transaktionen biete hier neue Chancen. "Ein Verharren in alten Positionen birgt hingegen deutliche Risiken", so Späth.

Seiner Meinung nach sei in Zukunft vor allem im mittleren Bereich, also in der Größenordnung von acht bis 100 Millionen, mit vielen Transaktionen zu rechnen. "Die Großen sind Einzelfälle, und die Kleinen machen keinen Spaß mehr: Die Integration ist, im Verhältnis gesehen, zu schwierig."

www.arthurandersen.com

ComputerPartner-Meinung:

Die Studie von Arthur Andersen lässt sich besser nachvollziehen als die Schwarzmalerei anderer Auguren. Nur weil sich einige Jungunternehmer vergaloppiert haben, ist die IT-Branche nicht gleich tot. Jetzt kommen die Größen der Old Economy zum Zuge. Sie müssen sich zwar mit neuen Trends auseinandersetzen, haben den Jungen aber etwas voraus: Sie halten "E-Commerce" nicht für ein neues Geschäftsfeld, sondern haben das Segment einfach als das begriffen, was es ist: eine zusätzliche unternehmerische Leistung. (mf)

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