Die Festplattenbranche will von neuen Absatzmärkten profitieren

12.09.1999
MÜNCHEN: Der Festplattenmarkt leidet unter dem ständigen Preisverfall. Mit der zunehmenden Digitalisierung entstehen jedoch neue Märkte und Absatzmöglichkeiten. Der große Vorteil der Harddisk ist die hohe Speicherkapazität. Dem stehen aber mangelnde Robustheit, laute Betriebsgeräusche und zum Teil immer noch zu hohe Preise gegenüber.

Bei einem Blick auf den Festplattenmarkt kommt so manchem Anbieter das kalte Grausen. Obwohl die Stückzahlen steigen, nagt die Branche am Hungertuch. Grund dafür sind der immense Preisverfall und die immer kürzeren Lebenszyklen der Produkte.

Weltweit soll der Umsatz des gesamten Plattensegments in den Jahren 1999 und 2000 bei rund 25 Milliarden Dollar liegen. In diesem Jahr entspricht dies laut IDC einer Stückzahl von zirka 160 Millionen Festplatten. 1997 konnte die Branche dagegen noch fast 28 Milliarden Dollar umsetzen. IDC erwartet erst in zwei Jahren einen entscheidenden Aufschwung und prognostiziert für 2003 einen Gesamtmarkt von zirka 30 Milliarden Dollar. "Die verkauften Stückzahlen wachsen dagegen kontinuierlich", erklärt Danielle Levitas, Research-Manager Harddisk Drives and Components bei IDC. Der traditionelle Markt wächst jährlich um 14 Prozent. Wurden 1997 noch zirka 130 Millionen Mobile-, Desktop- und Multi-User-Platten verkauft, werden es 2003 über 270 Millionen sein.

DER DURCHSCHNITTSPREIS STÜRZT IN DEN KELLER

"In den letzten zwei Jahren ist der durchschnittliche Preispunkt eines Desktop-Drives um 20 Prozent gefallen", erklärt Levitas. Mußten OEMs 1997 für ein Laufwerk noch mit einem durchschnittlichen Einkaufspreis von rund 180 Dollar kalkulieren, belastet eine Desktop-Platte im dritten Quartal 1999 die Bücher nur noch mit knapp 100 Dollar. Die untersten Preispunkte betrugen in diesem Zeitraum 120 (Q1/1997) beziehungsweise rund 60 Dollar (Q3/1999). "Der durchschnittliche Verkaufspreis eines Desktop-Laufwerks wird im Jahr 2001 bei 85 Dollar liegen", sagt Levitas.

Der Desktop-Markt unterliegt zwar einem großen Wachstum, doch sind dort nahezu ausschließlich Billigplatten gefragt. "Das Upgrade-Geschäft wird zurückgehen", prophezeit Levitas. Single-Platten-Laufwerke nehmen ein Drittel des Marktes ein. "Harddisks mit nur einem Schreib-/Lesekopf werden Mitte 2000 bereits einen Anteil von zehn Prozent repräsentieren", konstatiert Levitas.

DIE BRANCHE BENÖTIGT NEUE ABSATZMÄRKTE

Die Plattenbranche hofft darauf, mittelfristig neue Einsatz- und Anwendungsgebiete zu erschließen. So sollen 1-, 1,8- und 2,5-Zoll-Festplatten in Zukunft auch in digitalen Kameras, MP3-Playern, PDAs, Mobilfunkgeräten, tragbaren PCs sowie in High-End-GPS-Systemen, im Auto-PC, in Hubs, Switches oder Druckern integriert werden. Desktop-Laufwerke stellen eine Alternative für digitale Videorekorder, Internet Access Devices, digitale und interaktive Fernsehgeräte, Spielekonsolen, IDE-basierte Disk-Arrays und Thin-Server dar.

Levitas sieht ein großes Potential im Bereich digitaler Videoanwendungen. "Es haben sich bereits verschiedene Allianzen gebildet", sagt die IDC-Analystin. "Hinzu kommen die hohen Speicheranforderungen von Digital Video Broadcasting." Allerdings gibt es hier aufgrund der hohen Systempreise noch keinen Massenmarkt.

"Auch im Bereich der Spielekonsolen und Information Appliances ist der Einsatz einer Festplatte als Speichermedium interessant", sagt Levitas. Geräte wie Web-TV-Systeme und Settop-Boxen benötigen zum Teil schon wegen diverser Bandbreitenprobleme lokalen Speicherplatz. "Im Spielesektor haben sich allerdings optische Speichermedien als die bessere Lösung etabliert", analysiert Levitas. "Vernetzte Geräte könnten lokale Speicher überflüssig machen, und einige Anbieter von Internet-Systemen haben sich bereits gegen die Integration von Harddisks entschieden."

DIE HOFFNUNGEN RUHEN AUCH AUF ANDEREN

Die Entwicklung im Bereich Digital Audio, Auto-PCs und GPS (Global Positioning System) könnte sich für die Festplattenindustrie positiv auswirken. "Anwender können immer mehr Inhalte aus dem Internet herunterladen. Der Auto-PC ist das Verbindungsstück zwischen E-Mail, GPS, Internet-Zugang und Musik", erläutert Levitas. "Die steigende Anbieterzahl und der damit verbundene Preisverfall sorgen für einen größeren Kundenkreis." Der Bedarf an lokaler Speicherkapazität ist hier auf jeden Fall gegeben, allerdings muß es nicht unbedingt eine Festplatte sein. "Auch optische Lösungen buhlen um diesen Markt", weiß Levitas. "Zudem sind Flash Memories aufgrund ihrer Robustheit zum Teil die bessere Alternative."

In den kommenden Jahren wird sich die digitale Fotografie als einer der Kapazitätstreiber erweisen. Noch sind die Preise laut IDC etwas zu hoch. "Für das Volumengeschäft müssen die Kamerapreise unter 500 bis 300 Dollar liegen", konstatiert Levitas. Für die Harddisk spricht die große Kapazität für Hunderte von Fotos. "Professionelle Anwender sind auf jeden Fall bereit, in Speicherplatz zu investieren", glaubt Levitas. "Zudem steigen die Erwartungen an die Qualität der Aufnahmen."

Für die Plattenhersteller wird es jedoch nicht leicht, in diesen Markt vorzustoßen. Flash-Memory-Karten sind bereits etabliert und können mittlerweile auch in puncto Kapazität mithalten. Außerdem sind Compact Flash und Smartmedia wesentlich robuster und unempfindlicher gegenüber äußeren Einflüssen. "Derzeit gibt es nur sehr wenige Kameramodelle mit einem Compact-Flash-Typ-II-Slot", erklärt Levitas. "IBM adressiert sicher den richtigen Markt, doch ist das Microdrive noch zu teuer, um in großen Stückzahlen zu laufen."

DER HOME-MARKT STELLT ANDERE ANFORDERUNGEN

Laut IDC stehen die Chancen der Festplattenindustrie nicht schlecht, aus den traditionellen Märkten auszubrechen. Allerdings werden die Hersteller auch hier mit einer Minimalmarge leben müssen. "Die Kosten müssen noch weiter heruntergehen", fordert Levitas. Die Analystin spricht sogar von einem OEM-Preis von 50 Dollar pro Laufwerk.

"Auch sind die Entwickler gezwungen, noch stark an der Lautstärke zu arbeiten. Die Betriebsgeräusche müssen an den Home-Entertainment-Bereich angepaßt werden." Es ist daher durchaus vorstellbar, daß die Plattenhersteller für digitale Videorekorder oder Settop-Boxen wieder Modelle mit reduzierter Drehzahl auf den Markt bringen werden.

HOHES WACHSTUM UND KLEINE STÜCKZAHLEN

Fachhändler können dieser Entwicklung gelassen entgegensehen. Der Fokus liegt weiter auf den traditionellen Märkten wie Server, Desktop- und mobilen Rechnern sowie Subsystemen. Noch sind die Stückzahlen in den sogenannten "Non-Traditional"-Segmenten moderat. IDC rechnet damit, daß die Industrie bis Mitte des nächsten Jahres weltweit zirka fünf Millionen Festplatten absetzen kann. Bis zum Jahr 2003 erwarten die Marktforscher jedoch einen starken Aufschwung. In vier Jahren sollen die Stückzahlen bereits nahe an die 25-Millionen-Marke heranreichen. Der Umsatz soll in den neuen Märkten von zirka 300 Millionen Dollar (1999) auf rund zwei Milliarden im Jahr 2003 steigen.

Der Markt soll im Bereich kommerzieller Applikationen entstehen. Hierzu zählen unter anderem Drucker, Telekommunikationsanlagen, Robotersteuerungen, spezielle Handhelds für Versicherungen, Ärzte und Behörden sowie sogenannte Wearable-PCs. Darunter versteht man Rechner, die beispielsweise wie ein Gürtel getragen werden. "Das Storage-Budget ist bei gewerblichen Kunden viel höher als bei Consumern", stellt Levitas fest. Der entsprechende Absatz soll von rund 1,5 Millionen Stück 1999 in den kommenden vier Jahren auf knapp fünf Millionen ansteigen.

Weit schneller soll der Videomarkt wachsen. Hier liegen die Stückzahlen derzeit noch bei wenigen Hunderttausend pro Jahr. In den nächsten zwölf Monaten sollen aber schon zwei Millionen Laufwerke in diesem Segment verkauft werden. Laut IDC liegt der Absatz im Jahr 2003 bei zirka 20 Millionen Platten. "Der Markt wird sich erst entwickeln, wenn der Preis für Systeme wie Settop-Boxen oder DTV unter 300 Dollar liegt", sagt Levitas. "Der Festplattenpreis muß dazu aber auf unter 60 Dollar fallen." (kfr)

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