Aktueller Fall Schlecker

Die fünf größten Innovationsfallen

02.05.2012
Warum hochinnovative Firmen den Anschluss an die Marktentwicklung verlieren, erklärt Jens-Uwe Meyer.

Innovation ist "in" - zumindest verbal. Kaum eine Vorstandsrede, kaum ein Unternehmensprospekt, in dem dieses Wort nicht mindestens in jedem dritten Absatz auftaucht. Trotzdem tappen die Unternehmen immer wieder in die gleichen Innovationsfallen. Mit Schlecker, Manroland und Kodak haben diese alleine in diesem Jahr bereits drei prominente Opfer erwischt. Andere Unternehmen stecken tief in den Fallen - ohne es zu merken. Denn innovativ sind sie nur im Rahmen des Bestehenden. Radikal neue Innovationsansätze hingegen fehlen. Folgende fünf Innovationsfallen sorgen dafür, dass sich Unternehmen immer wieder im Kreis drehen.

Innovationsfalle 1: Die Hochglanzfalle

Wenn man sich die Web-Seiten, Unternehmensvisionen und Hochglanzbroschüren der meisten Unternehmen anschaut, stellt man schnell fest: Irgendwie sind sie alle visionär, hochkreativ und praktisch kurz davor, die Branche zu revolutionieren. Im ersten Moment klingt das beeindruckend. Schaut man jedoch hinter die Fassade, dann haben diese Botschaften oft dieselbe Substanz, wie die eines Waschmittels, das jetzt noch weißer wäscht, oder eines Puddings, der jetzt noch cremiger ist.

Je häufiger die Mitarbeiter und Manager eines Unternehmens solche Botschaften vernehmen, desto mehr glauben sie: "Wir sind schon innovativ, wozu noch mehr?" Die Folge: Das Unternehmen leidet zunehmend unter blinden Flecken. Man konzentriert sich auf die Innovationsfelder, die schnell und einfach Erfolge bringen. Doch wirklich radikale Innovationen finden nicht statt. Märkte umgestalten tun Mitbewerber von außen. So geschehen in der Automobilindustrie: Ausgerechnet ein Branchen-Outsider - Shai Agassi, ein ehemaliger SAP-Vorstand - entwickelt ein vollkommen neues Modell zur Elektromobilität. Während die klassischen Automobilfirmen weiter daran arbeiten, Batterien besser und sparsamer zu machen, entwarf Agassi mit dem "Project Better World" ein komplettes Mietsystem für aufgeladene Elektrobatterien.

Innovationsfalle 2: Die Erfahrungsfalle

Insider, die auf den Managementtagungen des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Manroland waren, erinnern sich gerne an die Botschaften des Vorstandes. Der Zeitung wurde eine große Zukunft vorausgesagt. Immer wieder wurde die Solidarität zur Druckrolle beschworen, während die meisten Medienverlage bereits ihr Wachstum in ganz anderen Feldern suchten. Der Vorstand von Manroland ignorierte das. Die eigenen Erfahrungen sprachen dagegen. Für den damals zweitgrößten Druckmaschinenhersteller der Welt war es schlichtweg unvorstellbar, dass seine Produkte einmal überflüssig werden könnten. Solange, bis der Konzern Anfang 2012 zerschlagen wurde.

Das Top-Management zahlreicher Unternehmen macht den Fehler: Es beurteilt die Zukunft mit den Erfahrungen der Vergangenheit. Menschen haben schon immer Zeitung gelesen, sie sind schon immer in ein Reisebüro gegangen, um ihren Urlaub zu buchen, und sie haben schon immer Kleidung von der Stange gekauft. Unvorstellbar, dass sie morgen eine Zeitung unpraktisch finden und als totes Holz verspotten, einem automatischen Buchungsassistenten mehr vertrauen als einem Reisebüro und nach personalisierter Kleidung sowie selbst designten Möbeln verlangen. Bei der Beurteilung der Zukunft stehen die Erfahrungen der Vergangenheit oft im Weg. Trotzdem vertrauen Unternehmen auf sie und merken nicht, dass sie tief in der Falle stecken.

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