Homeoffice und neue Ängste

Die Gewinner und Verlierer auf dem Jobmarkt

23.08.2021
Noch weiß niemand, wie stark Corona im Herbst wieder zuschlägt. Es zeichnet sich aber ab, dass es bei den Änderungen der Arbeitswelt nach der Krise Gewinner und Verlierer geben wird.
New normal: Homeoffice funktioniert im Jahr 2021 in vielen Jobs.
New normal: Homeoffice funktioniert im Jahr 2021 in vielen Jobs.
Foto: MT-R - shutterstock.com

Die Wirtschaft holt nach der tiefen Corona-Rezession gerade wieder kräftig auf - und mitten im Wahlkampf richtet sich der Blick auf die künftigen Risiken. Mit welchen Bedingungen sind die Menschen bei der Arbeit künftig konfrontiert? Konkret stellt sich millionenfach die Frage, wie es mit dem Homeoffice jetzt weitergeht: Soll es weiter zum Alltag gehören? Doch für viele geht es auch um existenzielle Fragen wie etwa nach der Zukunft des eigenen Arbeitsplatzes.

Aktuelle Ausgangslage

Der Arbeitsmarkt erholt sich langsam vom Corona-Schock. Erstmals seit 15 Jahren sank im Juli die Zahl der Arbeitslosen gegenüber Juni. Mit 44,7 Millionen lag die Zahl der Erwerbstätigen im zweiten Quartal zwar noch um eine halbe Million unter dem Niveau vor der Krise Ende 2019. Dennoch sieht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die dritte Welle der Pandemie für die Wirtschaft als "überwunden" an. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im zweiten Vierteljahr um 1,5 Prozent. Ob in Gastronomie, Handel oder vielen Dienstleistungsbereichen: Konsumlust und Nachfrage treiben die Geschäfte wieder an. Zwar bezogen zuletzt noch 2,2 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld - Experten erwarten aber einen baldigen Rückgang auf 1,5 Millionen.

Risiko Delta

Sorgen vor einem weiteren Aufschaukeln der vierten Corona-Welle trüben die Aussichten. Der Jobmarkt könnte im Herbst noch einmal einen kräftigen Dämpfer bekommen, wenn das Virus in der Delta-Variante immer stärker um sich greift. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, warnte bei der Präsentation der jüngsten Arbeitsmarktzahlen vor neuen Einschränkungen. "Es wird jetzt sehr darauf ankommen, wie das Impfgeschehen weitergeht", sagte er.

Homeoffice - aktueller Stand

Homeoffice gehörte für Millionen Menschen bei der Pandemie dazu. Im Juli war laut Ifo-Institut immer noch mehr als jede und jeder vierte Beschäftigte zumindest zeitweise im Homeoffice - aber bei fallender Tendenz. Viele wollen die Wohnung nicht mehr als Dauerarbeitsplatz. In einer Umfrage des Instituts YouGov plädierten aber fast zwei Drittel dafür, weiter zumindest teils Homeoffice machen zu können.

Für wen ist Homeoffice die Zukunft?

Beispiel Allianz: Der Versicherungskonzern verkündete bereits im Oktober: "Die Krise zeigt, dass flexibles Arbeiten kein Traum, sondern eine erreichbare Realität ist." Zehntausende virtuelle Meetings pro Woche sorgen für reibungslose Geschäfte. Computer, Bildschirm, Tastatur und Maus sind daheim installiert. Laut Umfragen rechnen viele Unternehmen mit Mischformen zwischen mobil und stationär - besonders bei Mitarbeitern von Finanzen und Management sowie bei Marketing, Kommunikation, allgemeiner Verwaltung und IT. Ein Gesetz gibt seit Juni Betriebsräten mehr Mitsprache beim Homeoffice. Doch eines ist klar: Wer etwa in der Produktion oder im Schalterservice arbeitet, hat nicht die Möglichkeit, auch mal von daheim zu arbeiten.

Technologischer Wandel schlägt durch

Wer profitiert vom Wandel durch Digitalisierung und neue Techniken? Wird es viele Verlierer geben? Laut einer Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie stehen durch die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf Elektro bis in vier Jahren 137.000 Jobs in der Autoindustrie und 41.000 bei Zulieferern auf dem Spiel. Der Bundesagentur für Arbeit fällt bereits auf, dass viele Kurzarbeit-Anzeigen aktuell schon nicht mehr nur zur Abfederung der Corona-Flaute eingehen, sondern aus Branchen mit strukturellen Schwierigkeiten wie der Autoindustrie kommen.

Künftige Boom-Branchen

Neue Arbeitsplätze könnten etwa rund um Software-Anwendungen in der Autoproduktion entstehen - aber vor allem in künftigen Boombranchen. Digitalisierung, Pflege und Gesundheit, Energiewende - auf vielen Märkten der Zukunft gibt es schon heute wachsenden Bedarf. "Wir werden in den 20er Jahren einen unglaublichen Umbruch am deutschen Arbeitsmarkt erleben", sagt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Es soll möglichst wenige Verlierer geben - dazu machten sich Heil und ein Expertenrat im Mai unter anderem für mehr Weiterbildung und lebenslanges Lernen stark.

Ein Trend dürfte weitergehen: Wer seinen Arbeitsplatz in der Industrie oder auf dem Bau verloren hat, kann eher im Dienstleistungssektor unterkommen. Doch prekäre Arbeit ist grade dort weit verbreitet. Und auch in der Industrie sind viele Menschen wegen Angst um ihren Job im Stress - etwa in der Leiharbeit.

Ängste und Aufbruch

Die Pandemie hat konkrete Zukunftssorgen bei vielen verstärkt - das zeigte etwa die Umfrage "Die Ängste der Deutschen", seit Jahrzehnten ein Seismograph der Befindlichkeiten, in ihrer jüngsten Erhebung. Jeweils teils deutlich mehr als jeder Zweite sorgt sich demnach vor überforderten Politikern und nachlassender Wirtschaft. Die Regierung versucht, die Umbrüche abzufedern - etwa in der Autoindustrie, die mit einer Förderung von einer Milliarde Euro fit für E-Mobilität und Digitalisierung gemacht werden soll.

Auch DGB-Chef Reiner Hoffmann setzt Aufbruchsstimmung gegen verbreitete Sorgen - Motto: "Raus aus dem Corona-Blues!" Doch die Politik muss dafür seiner Ansicht nach mehr tun - und etwa in Bildung und individuelle Förderung investieren. Hoffmann: "Wer sich mit 40, 45 in einen anderen Beruf umschulen lässt, darf nicht erstmal in ein materielles Loch fallen."

Flexibleres Arbeiten

Die Arbeitgeber wollen am liebsten selbst für die Weiterentwicklung der Mitarbeiter sorgen. "Deswegen muss aus meiner Sicht sehr stark in betriebliche Weiterbildung investiert werden", sagt Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Gern hätten die Arbeitgeber flexiblere Arbeitszeiten. Dulger verlangt eine Wochen- statt einer Tagesarbeitszeit - so wie Union und FDP in ihren Wahlprogrammen. (dpa/rs)

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