Die Haftung für Jahr-2000-Fehler

20.08.1998

KÖLN: Deutschland hinkt bei der Lösung des Jahr-2000-Problems anderen führenden Industrienationen weit hinterher. Dies trifft leider auch für die juristische Bewältigung dieses Problems zu. Es wird geschätzt, daß die allein in den USA zu erwartenden Schadensersatzprozesse gegen Softwareunternehmen Milliarden Dollar kosten werden. Die *Autoren Dr. Fritjof Börner und Detlef Klett führen auf, wie ernst die rechtliche Lage in Deutschland ist.Deutschland hinkt bei der Lösung des Jahr-2000-Problems anderen führenden Industrienationen weit hinterher. Dies trifft leider auch für die juristische Bewältigung dieses Problems zu. In den USA beschäftigt der "Millenium Bug" bereits viele Rechtsanwälte. Kein Wunder, denn es wird geschätzt, daß die dort zu erwartenden Schadensersatzprozesse gegen Softwareunternehmen Milliarden kosten werden.

Die amerikanische Softwareindustrie fordert daher, daß "Amnestie-Regelungen" eingeführt werden. Tatsächlich gibt es in einzelnen Bundesstaaten schon Gesetzesinitiativen, wonach bestimmte Institutionen, zum Beispiel die öffentliche Verwaltung und deren Lieferanten, vor jeder Art von Zivilklage wegen des gefürchteten Jahrtausendfehlers geschützt werden.

In Deutschland ist man von all dem noch weit entfernt. In der juristischen Fachliteratur sind erst vor kurzem die ersten Aufsätze erschienen, die sich mit den wirtschaftlich sehr bedeutsamen Haftungsfragen des Jahr-2000-Problems befassen. Gerichtsentscheidungen fehlen naturgemäß noch völlig und derzeit muß man von bestehendem Vertragsrecht ausgehen. Jeder, der aufgrund des Jahr-2000-Problems Aufwendungen hat (zum Beispiel Umstellungskosten) oder einen Schaden erleidet, wird sich früher oder später fragen, ob er hierfür von seinem Lieferanten Ersatz verlangen kann. Für den Lieferanten stellt sich gleichzeitig die Frage, ob er seinerseits bei dem Produzenten Regreß nehmen kann, von dem er die fehlerhafte Software bezogen hat.

Die Beantwortung dieser Fragen ist leider sehr kompliziert. Dies liegt insbesondere daran, daß die deutsche Rechtsordnung keinen "klassischen Softwarevertrag" kennt. Je nachdem wie die Softwareverträge im einzelnen ausgestaltet sind, kann es sich um einen Kaufvertrag, einen Werkvertrag oder einen Mietvertrag handeln. Hinzu kommen noch Spezialverträge für Pflege (bei Software) und Wartung (bei Hardware). Auch wenn in der Praxis oft nur von "Softwareverträgen" oder "Lizenzverträgen" gesprochen wird, kommt es für die rechtliche Beurteilung doch entscheidend darauf an, welcher juristische Vertragstyp im konkreten Fall zugrunde liegt.

Kaufvertrag

Ein Kaufvertrag liegt vor, wenn dem Anwender Standardsoftware auf unbestimmte Zeit endgültig überlassen wird. Dies ist in der Regel bei handelsüblichen Massenprodukten der Fall, aber auch wenn entsprechende Betriebssoftware direkt mit handelsüblicher Hardware erworben wird. Typisch für den Kaufvertrag ist die Zahlung eines einmaligen Entgelts (siehe Kasten).

Werkvertrag

Häufig wird ein Softwareüberlassungsvertrag nicht als Kauf-, sondern als Werkvertrag einzustufen sein. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn dem Anwender Individualsoftware zur endgültigen Nutzung überlassen wird. Das gleiche gilt, wenn Standardsoftware des Anwenders an seine Bedürfnisse angepaßt wurde oder bereits vorhandene Software Jahr-2000-fähig gemacht wird. Die Ansprüche des Softwareanwenders gegen den Lieferanten sind beim Vorliegen eines Werkvertrags etwas anders zu beurteilen als bei einem Kaufvertrag. Der Anwender muß bei einem Werkvertrag dem Softwarehersteller zunächst die Möglichkeit einräumen, im Wege der Nachbesserung den Jahr-2000-Fehler zu beseitigen. Wenn dies scheitert, kann er die Fehlerbeseitigung selbst vornehmen oder durch einen Dritten vornehmen lassen und die entstandenen Kosten dem Softwarehersteller in Rechnung stellen.

Anders als im Kaufrecht besteht ein Anspruch auf Wandlung und Minderung erst dann, wenn der Mangel trotz angemessener Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht beseitigt wird. Auch bei Vorliegen eines Werkvertrages stehen dem Softwareanwender insofern Schadensersatzansprüche gegen seinen Vertragspartner zu. Hier ist jedoch - im Gegensatz zum Kaufrecht - zunächst eine erfolglose Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung notwendig. Außerdem setzt der Schadensersatzanspruch nach ñ 635 BGB voraus, daß der Softwarehersteller den Mangel zu vertreten hat. Dies wird man ab 1997 annehmen müssen.

Wichtig ist auch beim Werkvertrag der Umfang des zu ersetzenden Schadens. Hierzu zählen einmal der sogenannte "Mangelschaden" (also das fehlerhafte Softwareprodukt) sowie der "nahe Mangelfolgeschaden"

(zum Beispiel der entgangene Gewinn und die Kosten der Vertragsdurchführung). Diese Schäden verjähren innerhalb von sechs Monaten, wobei jedoch die Ausnahmen des Kaufrechts gelten (siehe Kasten). Für den Hersteller besonders gefährlich ist darüber hinaus der sogenannte "entfernte Mangelfolgeschaden". Er umfaßt Schäden, die außerhalb des mangelhaften Werkes entstanden sind, zum Beispiel durch Datenverluste, Personenschäden oder Regreßansprüche Dritter, die gegen den Softwareanwender vorgehen. Hinzu kommt, daß die entfernten Mangelfolgeschäden, die nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung zu ersetzen sind, im Werksvertragsrecht erst innerhalb von 30 Jahren verjähren. Schadensumfang und Verjährungsdauer sind für den Hersteller daher besonders problematisch. Wegen der in der Praxis oft sehr schwierigen Abgrenzung zwischen nahem und entfernten Mangelfolgeschaden ist auch bei individuell angefertigter Software eine juristische Einzelfallprüfung unerlässlich.

Softwaremietverträge

Ein Softwaremietvertrag liegt vor, wenn die im Betrieb eingesetzte Software nur auf begrenzte Zeit überlassen wurde. Typisches Merkmal der Softwarevermietung ist außerdem ein regelmäßig, in gleichen Abständen zu entrichtendes Entgelt. Insbesondere bei großen Anwendungssystemen wird die Software fast immer im Wege der Miete zur Nutzung überlassen. Bei dieser Art der Softwareüberlassung unterliegt der Vermieter nach deutschem Recht einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung für alle Mängel, die bei Überlassung der Software vorhanden waren. Dies wird bei Jahr- 2000-Fehlern praktisch immer der Fall sein. Welche Ansprüche stehen dem Softwaremieter gegen seinen Vermieter zu?

Nach ñ 538 Abs. 2 BGB kann der Mieter dem Vermieter mit der Beseitigung des Jahrtausendmangels in Verzug setzen und den Fehler sodann selbst beseitigen oder durch Dritte beseitigen lassen. Die hierbei entstehenden Kosten muß der Vermieter tragen. Dieser Anspruch verjährt innerhalb von sechs Monaten.

Außerdem kann der Mieter wegen des Softwarefehlers die Minderung des Mietzinses verlangen. Je näher das Jahr 2000 rückt, desto stärker kann die Miete gemindert und je nach Einzelfall sogar auf null gesetzt werden. Weiter kann der Mieter Schadensersatz für Mangelschäden und Mangelfolgeschäden verlangen, insbesondere für entgangenen Gewinn oder für Datenverlust.

Schließlich steht dem Mieter das Recht zu, den Mietvertrag fristlos zu kündigen, falls der Vermieter den Jahr-2000-Mangel nicht innerhalb einer angemessenen Frist beseitigt hat.

Die drei letztgenannten Ansprüche verjähren erst innerhalb von 30 Jahren und sind deswegen für das Softwareunternehmen besonders gefährlich.

Wegen des großen Haftungspotentials, das für den Softwarevermieter besteht, werden viele Softwarehäuser versuchen, die bestehenden Mietverträge so schnell wie möglich zu beenden. Selbst wenn ein solches kurzfristiges Kündigungsrecht nach den Regelungen des Mietvertrags besteht, ist nicht sicher, ob eine Kündigung überhaupt zulässig ist. Die Kündigung kann nämlich im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen und deswegen unwirksam sein. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn es dem Vermieter nicht rechtzeitig möglich wäre, sich zu angemessenen Preisen Ersatzsoftware zu beschaffen. Gerichtliche Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.

Pflege- und Wartungsverträge

Softwarepflegeverträge liegen vor, wenn sich der Softwarelieferant verpflichtet hat, die Software nach ihrer Inbetriebnahme im Unternehmen zu betreuen. Solche Pflegeverträge enthalten in der Regel die Pflicht, auftretende Fehler zu beseitigen, Updates zu liefern oder eine Hotline bereitzustellen. Ähnliche Verträge gibt es auch für die Betreuung von Hardware. Sie werden im juristischen Sprachgebrauch (Hardware)Wartungsverträge genannt.

In den meisten Fällen wird man annehmen können, daß der Softwarepfleger aus dem Pflegevertrag heraus verpflichtet ist, den Jahrtausendfehler zu beseitigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach, so verletzt er den Pflegevertrag und ist zum Schadensersatz verpflichtet.

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Pflicht zur Fehlerbeseitigung nicht erst im Jahr 2000, sondern grundsätzlich schon heute besteht. Denn jetzt liegt der Softwaremangel bereits vor.

Kommt der Softwarepfleger mit der Fehlerbeseitigung in Verzug, besteht die Möglichkeit, ihm eine letzte Nachfrist mit Ablehnungsandrohung zu setzen und sodann nach ñ 326 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Der Anspruch umfaßt die Einbuße aus der reduzierten Benutzbarkeit der Software sowie die Aufwendungen für die Beschaffung einer entsprechenden neuen Software, die keinen Jahr-2000-Fehler aufweist.

Im Ergebnis sind daher auch Softwarepflegeverträge für das Softwarehaus sehr haftungsträchtig. Ähnlich wie bei der Softwarevermietung werden daher viele Softwarehäuser versuchen, abgeschlossene Pflegeverträge rechtzeitig zu kündigen. Ob dies gelingt, hängt jedoch wiederum vom Einzelfall ab. Der Softwareanwender hat nämlich die Möglichkeit, rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu einzuleiten und sich durch Verzug und Fristsetzung mit Ablehnungsanordnung vor Ablauf der Kündigungsfrist einen Schadensersatzanspruch zu sichern. Auch insoweit besteht also ein hohes Haftungsrisiko, das rechtzeitig überprüft werden muß. Entsprechendes gilt für Hardware-Wartungsverträge.

Haftung aus Delikt- und Sondergesetzen

Neben den dargestellten vertraglichen Ansprüchen können Softwarelieferanten auch aufgrund anderer Haftungsnormen zum Schadensersatz verpflichtet sein. Anspruchsberechtigte sind dann häufig nicht nur die Vertragspartner, sondern auch unbeteiligte Dritte.

Selbst wenn ein Softwarehersteller das Programm nach dem damaligen Stand der Technik fehlerfrei konstruiert hat, kann ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Produktbeobachtungspflicht entstehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich während des Vertriebs des Softwareprodukts herausstellt, daß das Programm nicht Jahr-2000-fähig ist und hierdurch Schäden entstehen können. Insoweit wird in juristischen Fachkreisen auch diskutiert, ob dem Softwarelieferanten - ähnlich wie in der Automobilindustrie - eine Pflicht zum Rückruf obliege. Dies kommt insbesondere bei sensiblen Bereichen wie der Medizin oder der Verkehrs- und Flugsicherungstechnik in Frage. Aber auch bei anderen Einsatzgebieten wird zumindest an eine Hinweis- und Warnpflicht gedacht.

Auch auf die Verjährungsregelung sollte der Softwarelieferant nicht hoffen. Sie beträgt drei Jahre nach Kenntnis des Geschädigten vom Schaden und vom Schädiger.

Wegen des hohen Haftungsrisikos des Softwarelieferanten fragt es sich, inwieweit diese Schäden durch bestehende Versicherungen bereits abgedeckt sind oder durch Neuabschlüsse noch umfaßt werden können.

Unternehmen, die Software herstellen oder vertreiben, sichern sich für fehlerhafte Softwareprodukte in der Regel über EDV-Haftpflichtversicherungen ab. In ihr können auch Vermögensschäden versichert werden. Ob ein entsprechender Versicherungsschutz vorliegt, muß im Einzelfall anhand der konkreten Vertragsbedingungen mit dem Versicherer geprüft werden.

Ein Versicherungsschutz besteht allerdings nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen immer dann nicht, wenn vorsätzliches Verhalten des Softwarehauses vorliegt. Es kommt also darauf an, ab welchem Zeitpunkt das Softwarehaus wußte, daß die ausgelieferte Software nicht Jahr-2000-fähig ist. Man wird davon ausgehen müssen, daß dieser Zeitpunkt schon recht weit zurückliegt. Häufig wird hierbei auf die Mitte der achziger Jahre abgestellt. In vielen Fällen, in denen Nicht-Jahr-2000-fähige Software ausgeliefert wurde, wird die Ausschlußklausel daher eingreifen. Die Softwareunternehmen haben dann keinen Versicherungsschutz und müssen für Schäden, die wegen Nicht-Jahr-2000-fähiger Software entstanden sind, selbst haften. Im Ergebnis besteht bei älteren Versicherungsverträgen aber durchaus die Chance, daß Risiken aus der Jahr 2000-Umstellung umfaßt sind. Hier sollte eine gründliche Vertragsanalyse erfolgen und zwar schon jetzt, bevor der Versicherungsfall eingetreten ist.

Bei Neuverträgen oder -änderungsangeboten muß man damit rechnen, daß die Versicherung versuchen wird, das Jahr 2000-Risiko auszuschließen.

Verträge müssen genau geprüft werden

Abschließend läßt sich sagen, daß im Zusammenhang mit dem Jahr-2000-Problem erhebliche Schadensersatzforderungen auf die Softwarelieferanten zukommen werden. Deshalb sollten alle bestehenden Vertragsbeziehungen so schnell wie möglich überprüft werden, um das Haftungsrisiko gegenüber den Softwareanwendern beurteilen zu können.

Das gleiche gilt im Verhältnis zum Vorlieferanten oder Produzenten. Es kann nämlich sein, daß derjenige, der nicht am Ende, sondern irgendwo in der Mitte der Lieferkette steht, in eine Haftungs- und Verjährungsfalle gerät. Er sieht sich dann berechtigten Ansprüchen der Kunden ausgesetzt, die rechtzeitig verjährungshindernde Maßnahmen ergriffen haben. Gleichzeitig kann er aber seine Zulieferer nicht mehr in Regreß nehmen, weil insoweit schon Verjährung eingetreten ist oder ungünstigere Vertragsbedingungen bestehen.

Auch die in der Praxis häufig anzutreffenden Haftungsausschlußklauseln schützen den Softwarelieferanten meist nur unzureichend. Oft schießen sie über das Ziel hinaus und sind wegen des Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften (zum Beispiel gegen das AGB-Gesetz) unwirksam. Bei neu abzuschließenden Verträgen sollte der Softwarelieferant dennoch versuchen, seine Haftung innerhalb der gesetzlichen Grenzen so weit wie möglich zu beschränken. Auch bestehende oder künftige Versicherungsverträge sollten auf ihren Schutz im Zusammenhang mit dem Jahr 2000-Problem hin überprüft werden.

*Fritjof Börner ist Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Köln und Partner bei Andersen Freihalter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

*Detlef Klett ist Rechtsanwalt bei der Andersen Freihalter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und zugelassen beim Landgericht Köln.

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