"Die klassische Distribution geht in bestimmten Bereichen auf ihr Ende zu"

30.03.2000
Vor sechs Monaten kehrte Karl Pohler von Sony Deutschland zurück in die Distribution. Über Perspektiven und künftige Ausrichtung des IT-Großhandels sprach der Tech-Data-/Computer-2000-Chef mit denComputerPartner-Redakteuren Damian Sicking und Ingrid Schutzmann.

Sie sind jetzt seit sechs Monaten bei Computer 2000. Welche Situation hatten Sie vorgefunden, als Sie wiederkamen?

Pohler: Für mich war der Einstieg einfach, weil ich noch viele Menschen und auch die Strukturen kannte. Eigentlich war es so, als ob ich erst gestern weggegangen wäre.

Was haben Sie denn seither getan?

Pohler: Eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, ist, eine bestimmte Kultur im Unternehmen zu erzeugen. Flache Hierarchien, Offenheit, Respekt, die Besessenheit, Erfolg zu haben und ihn auch zu feiern: Das hat Computer 2000 stark gemacht. Doch diese Kultur war in meinen Augen verloren gegangen. Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Kultur wieder in den europäischen Niederlassungen zu erzeugen.

Haben Sie darüber hinaus neue Akzente gesetzt in organisatorischer oder struktureller Hinsicht?

Pohler: Ja, denn die Unternehmenskultur ist nur die Basis. Darauf aufbauend, brauchen wir eine Struktur, die uns weiterbringt. Ich habe eine sehr hierarchische Holding-Struktur vorgefunden: eine Zentrale und dann 23 Länder, die alle an die Zentrale berichten. Dadurch entstehen Trennungen und Kommunikationsschwierigkeiten. Eine Holding in dem Sinn gibt es jetzt nicht mehr, nur zentrale und dezentrale Aufgaben. Wir vergeben Aufgaben, die bisher zentral in der Holding angesiedelt waren, an Spezialisten in den Landesgesellschaften, die dann die gesamteuropäische Verantwortung übernehmen. Das ändert die Denkweise, weil auf einmal lokal und global gedacht werden muss. Beispiel Logistik: Als Wirtschaftsplatz kann ich Europa heute wie ein Land betrachten. Unsere Logistikstrategie gilt europaweit und ist nicht länderbezogen. Eine Eins-zu-Eins-Relation zwischen einem Land und einem Lager ist nicht mehr notwendig. Aus einem Lager, das alle Produkte hat, können wir kleine Satellitenläger, die vor Ort sind, über Nacht beliefern. Dafür haben wir neue Strukturen geschaffen. Mein IT-Vorstand, Wolfgang Orgeldinger, hat heute die Verantwortung für alle Läger in Europa. Die Managementstrukturen sind so aufgebaut, dass er bis zu den einzelnen Länderlagern durchgreifen kann. Dadurch hat er die Möglichkeit, gleiche Qualitätsstufen einzuziehen, gleiche Kostenstrukturen, gleiche Produktivitätsmerkmale.

Für die Geschäftsführung in der Deutschland GmbH suchen Sie ja noch jemanden. Warum ist die Position noch nicht besetzt?

Pohler: Es ist nicht so, dass sich niemand für diesen Job interessiert. Wahrscheinlich ist es mein Problem, weil die Deutschland GmbH mein Baby war. Ich habe sehr hohe Ansprüche.

Sie sollen bei der Auswahl des Deutschlands-Geschäftsführers sehr viel Wert auf Expertise in Sachen E-Commerce legen. Ist das richtig? Welcher Hintergedanke leitet Sie dabei?

Pohler: Die Welt dreht sich schnell. Das Thema Internet wird ganz neue Strukturen mit sich bringen. Dabei fragt man sich auch, welche Rolle die Distribution spielt. Wird es sie noch geben? Und wie wird sie aussehen? Fakt ist, dass die klassische Distribution in bestimmten Bereichen ihrem Ende zugeht. Es wird eine Art non-linearer Distribution geben.

Was heißt das?

Pohler: Nicht mehr so hierarchische Strukturen. Heute sind die Rollen klar definiert: Es gibt Hersteller, Distributoren, Retailer, Wiederverkäufer. Wo der Kunde kaufen darf, ist genau zugeordnet. Das wird sich morgen ändern. Morgen wird jeder in den Direktkontakt gehen, der Kunde wird in den Mittelpunkt rücken und in die Lage versetzt werden, überall zu kaufen.

Also auch bei der Distribution?

Pohler: Das muss nicht die unmittelbare Konsequenz daraus sein. Aber letztlich wird die neue Welt davon geprägt sein, dass jeder den Kunden direkt zu erreichen sucht.

Welche Auswirkung hätte das dann auf die Distribution?

Pohler: Wir werden in einen neuen Geschäftsbereich, den wir E-Commerce-Outsourcing nennen, investieren. Wir wollen das Backoffice sein für jeden, der im Internet Geschäfte macht.

Egal mit welchen Produkten oder nur mit IT-Produkten?

Pohler: Der Bereich IT liegt uns nahe. Aber auch verwandte Produkte kann man da mit einbeziehen.

Andere Distributoren nennen das Fulfillment.

Pohler: Das ist ein Ansatz, aber wir gehen weiter. Unsere Zielrichtung sind die Hersteller, aber auch die Wiederverkäufer. Die Hersteller sind sehr interessant, weil viele direkt verkaufen wollen, aber kein Backoffice haben. Der erste Schritt unseres Angebots könnte sein, ihnen einen Webshop anzubieten, der nächste, die komplette Logistik abzuwickeln. Und zwar von der Abholung der Produkte in Fernost, bis zum Endkunden in Europa. Wir könnten die Rechnungsstellung übernehmen, ein Call-Center für den Support oder ein Repair-Center einrichten. Und alles unter dem Namen der Firma, die gegenüber dem Kunden als Verkäufer auftritt. Das ist ein riesiger Markt. Online-Verkauf ist schön, aber jemand muss ja die Ware von A nach B bringen, den Service machen, das Telefon abheben, wenn der Kunde ein Problem hat.

Sie haben auf Ihrem internen Kick-Off vor einigen Wochen angekündigt, mit einem Logistiker stärker zusammenzuarbeiten, vielleicht sogar ein JointVenture zu gründen.

Pohler: Das ist vorstellbar und wäre eine ideale Kombination. Wenn Sie beispielsweise mit der Deutschen Post reden, hören Sie das Gleiche, was ich Ihnen gesagt habe. Die Logistikketten wollen sich hocharbeiten, und deshalb ist es denkbar, dass wir uns gerade in dem Bereich mit jemanden zusammenschließen.

Wäre das ein Unternehmen der Größenordnung Deutsche Post oder eher ein kleinerer Logistiker?

Pohler: In dieser Welt ist alles möglich.

Wie weit sind Sie auf dem Weg zum E-Commerce-Backoffice?

Pohler: Wir haben klare Vorstellungen und klare Business-Pläne, die wir gerade umsetzen. Dazu brauchen wir die entsprechenden EDV-Systeme, eine neue Struktur, Konfigurationscenter. Das bauen wir gerade auf.

Wieviel Prozent des Umsatzes wird dieser Geschäftsbereich in fünf Jahren zum Gesamtumsatz des Konzerns in Europa beitragen?

Pohler: Genaue Zahlen kann ich Ihnen jetzt noch nicht nennen.

In dem Szenario spielen Ihr klassisches Business und die Beziehung zum Händler eine abnehmende Rolle.

Pohler: Ja und nein. Es bestehen bereits viele Synergien mit unserem Stammgeschäft. Wir müssen nicht von Null anfangen, sondern erweitern das, was wir heute machen, um bestimmte Leistungen.

Das traditionelle Distributionsgeschäft, wird im Bereich Small and Medium Business (SMB) weiter Bestand haben. Trotz aller E-Commerce-Aktivitäten wird der SMB-Händler eine Zukunft haben, und damit auch die Distribution, über die dieser Bereich betreut wird.

Corporate Reseller werden sich mehr auf ihre Kernkompetenz "Service" konzentrieren. Denn es ist sicherlich fraglich, ob es noch die Kernkompetenz eines Corpo-rate Resellers ist, nur Soft- und Hardware zum Kunden zu bringen.

Da gehen die Meinungen auseinander. Viele Systemhäuser haben sich gerade riesige Hallen gebaut. Rausgeschmissenes Geld?

Pohler: Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Aber früher oder später muss sich jeder auf seine Kernkompetenz konzentrieren. Beim Thema E-Business geht es weniger darum, günstig zu kaufen, das ist ein Nebeneffekt. Der Haupteffekt ist, die Kosten beim Einkaufsprozess zu senken. Wenn sie heute Toner beschaffen, kostet der Toner 30 Mark, und der Beschaffungsprozess kostet 180 Mark. Es geht also um Prozessoptimierung.

Die Händler ziehen ja beim Thema E-Commerce noch nicht so mit.

Pohler: Die Händler ziehen sehr gut mit. Dafür muss man zwei Dinge tun: erstens einen anständigen Inhalt liefern und zweitens einen Marktplatz entwickeln, in den man gerne reinschaut. Wo die Kunden alles finden, was sie im Tagesgeschäft brauchen.

Sie haben gerade das SMBGeschäft erwähnt. In diesem Bereich will ja auch Fujitsu Siemens, dessen einziger Broad-liner Computer 2000 ist, stark wachsen. Was erwarten Sie sich von dem neuen Fujitsu-Siemens-Vertriebskonzept?

Pohler: Das Geschäft läuft sehr erfreulich.

Wie entwickelt sich der PC-Markt allgemein. Der Januar war ja wohl eine Katastrophe.

Pohler: Nein, wir waren nicht sehr betroffen und hatten ein ganz gutes Wachstum. Allerdings haben Sie Recht, generell ist der Markt relativ flach, gerade jetzt im März.

Wird sich dieser Trend im Lauf des Jahres fortsetzen?

Pohler: Ich weiß es nicht. Momentan stehen alle ein bisschen ratlos da. Es war immer einfach, alles auf den Jahrtausendwechsel zu schieben, aber der ist vorbei. Manche reden jetzt schon vom Post-Y2K-Syndrom. (lacht)

Das Thema Unterhaltungselektronik ist Ihnen als ehemaligem Deutschlandchef von Sony sehr vertraut. Wie steht es um die Konvergenz von Unterhaltungselektronik und Informationstechnik? Mit welchen Produkten wird sich dieser Markt weiterentwickeln?

Pohler: Die Zukunft gehört mobilen Geräten. Die Desktop-Produkte werden zurückgehen. In drahtlosen Netzen unabhängig von Raum und Zeit auf alle möglichen Datenbanken zugreifen - das wird morgen kommen. Die Ansätze sind Produkte wie der Communicator oder Palm-Pilot. Die Technologie, die heute noch im Vordergrund ist, wird in den Hintergrund rücken. Heute wollen sie Intel oder Microsoft und soundsoviel Gigabyte. Morgen werden sie Funktionalität kaufen, wobei es völlig egal ist, was in dem Gerät drinnen ist. Wichtig ist, dass Sie sich mit dem Produkt identifizieren. Das Aussehen muss Ihren Wünschen entsprechen, es muss zu Ihnen passen, Ihren Status berücksichtigen. Die Technologie wird zweitrangig. Die Verkaufsfaktoren werden Design, Status, Schönheit sein.

Sie gehören also auch zu den Anhängern der Meinung, dass der PC herkömmlicher Prägung tot ist?

Pohler: Ja, der ist tot.

Interessanterweise hat Microsoft auch angekündigt, wohl unter Beachtung dieses Trends, in Hardware zu investieren und eine eigene Spielekonsole herauszubringen.

Pohler: Microsoft hat keine andere Wahl, denn wenn Sie sich die Playstation II ansehen, da ist alles drin: ein DVD-Player, ein Internetanschluss. Was will man mehr? 80 Prozent der PCs werden für Spielzwecke angeschafft. Und die Playstation bietet alles, und das Ganze für einen Preis, der wesentlich günstiger ist als jeder PC. Haben Sie schon mal jemanden fragen hören, welcher Prozessor in der Playstation ist?

Wer wird solche neuen Geräte verkaufen?

Pohler: Die Chance für einen PC-Shop, sich da zu spezialisieren, ist riesengroß, beispielsweise im Bereich Mobile Computing. Mediamarkt hat es vorgemacht. Niemand hat geglaubt, dass man eines Tages dort Notebooks für 6.000 Mark, an Endkunden verkaufen kann. Das hat keiner geglaubt, aber sie haben es geschafft. Und zwar durch Training, spezialisierte Verkaufsflächen, durch Werbung und Beratung. Im Mobile-Bereich werden Kunden nach spezialisierten Shops fragen. Direktvertrieb wird auch ein Thema sein. Sony vertreibt jetzt in Japan die Playstation II direkt. Die Frage ist, ob die klassischen PC-Hersteller die Kurve kriegen und diese Anforderungen an Design und Funktionalität umsetzen können.

Wem würden Sie das am ehesten zutrauen?

Pohler: HP unter der neuen Präsidentin Carly Fiorina. Die Frage ist, wie sie ihre Ideen umsetzen kann. Und bei den nicht-klassischen Anbietern wird Sony ein ganz bedeutender Hersteller werden.

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