IT und Industrie 4.0

Die neue Datenlogistik

Daniel Liebhart ist Dozent für Informatik an der ZHAW (Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Solution Manager der Trivadis AG. Er ist Autor verschiedener Fachbücher.
Industrie 4.0 bedeutet, dass die Fertigung von Industrieprodukten dezentral über den Kundenauftrag oder das Produkt selbst gesteuert werden kann. Damit stehen industrielle IT-Systeme vor der Herausforderung, eine firmenübergreifende Datenlogistik-Infrastruktur zu betreiben – ein wahre Mammutaufgabe.
Das Pilotprojekt "Smart Factory" des DFKI
Das Pilotprojekt "Smart Factory" des DFKI
Foto: DFKI

Hinter der Hightech-Strategie "Industrie 4.0" der Bundesregierung steht die Vision einer integriert produzierenden Industrie. Kern der Idee ist eine industrielle Produktion, die vollautomatisch, flexibel, wirtschaftlich und ressourcenschonend in kleinsten Stückzahlen herstellen und termingerecht auszuliefern kann. Laut dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI) prägt dieses Thema aktuelle Industriemessen wie kein anderes. Es werden Technologien, Anwendungen und Beispiele präsentiert, die einer Vision Gestalt geben sollen: Ein Kunde definiert seinen individuellen Auftrag, der sich anschließend über Firmengrenzen hinweg von selbst steuert - von der Bestellung des erforderlichen Rohmaterials über die Reservierung der Bearbeitungsmaschinen, Montagekapazitäten, Lagerhallen über die erforderliche Logistikleistung bis hin zur Qualitätskontrolle und Auslieferung.

Der erste Prototyp einer intelligenten Fabrik der Zukunft wurde vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz der (DFKI) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern entwickelt: die "Smart Factory". Sie besteht aus voneinander unabhängigen Produktionsmodulen, einer Vielzahl von Informationssystemen und einem Handarbeitsplatz. Grundlage der Neuentwicklung sind drei zentrale Paradigmen: Das intelligente Produkt, die kommunizierende Maschine und der assistierte Bediener. Das intelligente Produkt kennt seine Auftrags-, Material und Produktionsdaten und beeinflusst damit die Herstellung. Die kommunizierende Maschine ist eine so genannte CPS-Komponente (Cyber-Physical System), die mit dem intelligenten Produkt interagiert. Der menschliche Bediener wird vom Produkt nur noch darüber informiert, wie die Montage zu erfolgen hat.

Vernetzung und Datenaustausch

Basistechnologie hinter Industrie 4.0 ist das Internet der Dinge (IoT), sprich alle Geräte, die mit einem Internetzugang ausgestattet sind. Im Rahmen einer integrierten Produktion sind das sämtliche an Herstellung und Lieferung beteiligten Gerätschaften. Die Studie "Industrie 4.0 -Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland" des BITKOM fasst es zusammen: "Im Mittelpunkt von Industrie 4.0 steht die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen zum dynamischen Management von komplexen Systemen".

Menschen, Maschinen, Objekte und IKT-Systeme machen vor allem Eines: Sie tauschen riesige Datenmengen untereinander aus. Die dazu notwendige Datenlogistik wird damit zur neuen zentralen Aufgabe jeder IT, die einen Produktionsbetrieb unterstützt. Sie muss alle geforderten Informationen in der richtigen Zusammensetzung zur rechten Zeit am richtigen Ort bereitstellen. Damit verändert sich ihre Aufgabestellung in Richtung Organisation, Betrieb und Überwachung von Datenflüssen - weg vom Betrieb zentraler Systemlandschaften. Bisherige IT-Systeme basieren in Industriebetrieben bisher auf den drei Grundpfeilern ERP (Produktionsplanung), PLM (Produktverwaltung) und SPS (Produktionssteuerung). Mit Industrie 4.0 wird dies schon bald Geschichte sein.
Für die "IT 4.0" wartet jedoch noch eine weitere Herausforderung: Die Aufgabenstellung der Datenlogistik variiert - je nachdem, auf welcher Ebene Informationen ausgetauscht werden. Auf der Ebene einer einzelnen Produktionseinheit steht die rasche Kombination von Daten im Vordergrund, während auf der Ebene der Produktionsstätte eher der schnelle Datenaustausch von Bedeutung ist. Auch die Datenlogistik zwischen unterschiedlichen Unternehmen, wie beispielsweise bei der Arbeit mit Zulieferern, stellt hohe Anforderung an Standardisierung und Sicherheit. Die moderne Transportlogistik muss eine rasche Verarbeitung großer Datenmengen sicherstellen - weit über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg.

Automatisierte Produktion und Datenlogistik

Eine moderne Fertigungseinheit wie Cyber-Physische System (CPS) oder auch Cyber-Physisches Produktionssystem CPPS) steht inmitten eines Verbundes verschiedenster Sensoren. Dazu gehören beispielsweise Kameras, Mikrofone, Messfühler sowie weitere für eine Produktion notwendigen Geräte wie Hosts, Server, PCs, Tablets und Smartphones. Zusammen liefern sie in Echtzeit relevante Produktions- und Umgebungsdaten. Die hochflexible und automatisierte Produktion erfordert deren schnelle Kombination, um über an der Produktion beteiligte Aktoren wie Greifarme, Werkzeuge oder andere Mechanismen einzelne Produktionsschritte rechtzeitig auszuführen. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit spielt dabei eine absolut zentrale Rolle. Damit eine einzelne Fertigungseinheit möglichst effizient arbeiten kann, sind Produkt- und Kontextinformationen durch eine kluge Datenlogistik bereit zu stellen. Sämtliche Produktinformationen müssen dazu möglichst nahe am Produkt selbst gehalten werden.

Die "Smart Factory" des DFKI hat dieses Problem mit dem Paradigma eines intelligenten Produktes bereits gelöst: Es "kennt" zu jeder Zeit seine exakten Auftrags-, Material und Produktionsdaten. Die unterstützende Datenlogistik muss dafür sorgen, dass diese gleichzeitig mit dem Rohling oder Halbzeug exakt bei der Maschine ankommen, die den nächsten Produktionsschritt ausführt. Auch alle für den Produktionsprozess notwendigen Kontextinformationen, wie beispielsweise Verfügbarkeiten, werden in Echtzeit bereitgestellt.

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