Die Prognosen für den Festplattenmarkt sind verhalten optimistisch

24.04.1998

MÜNCHEN: Der Festplattenmarkt wird sich für das laufende Jahr besser entwickeln, als viele Marktteilnehmer nach den heftigen Turbulenzen des letzten Jahres befürchten. Das ist das Resümee einer aktuellen Studie, die das Marktforschungsinstitut IDC anläßlich der CeBIT 98 präsentierte. Trotz eines generellen Trends zur Konsolidierung, ist es notwendig, die Marktsegmente Mobil-, Desktop- und High-End-PC differenziert zu betrachten.Der Festplattenmarkt befindet sich im Umbruch. Das ist spätestens nach den dramatischen Preiseinbrüchen im dritten Quartal des letzten Jahres deutlich geworden. Reichte es in der Vergangenheit aus, bei Erreichen der preislichen Schmerzgrenze in seltener Einigkeit die Produktionskapazitäten leicht zu drosseln, um den Markt wieder zu stabilisieren, wirkt dieses Patentrezept heute offensichtlich nicht mehr. Der Kampf um Marktanteile ist härter geworden. Nahezu alle Festplattenhersteller durchlaufen zur Zeit strukturelle Veränderungen und positionieren nicht nur ihre Produkte, sondern auch ihr Unternehmen neu.

Überproduktion belastet den Markt weiterhin

Same procedure as every year", glaubten viele Marktteilnehmer, als im dritten Quartal 97 die Festplattenpreise ins Rutschen gerieten. Die Tatsache, daß diese - bekanntlich saisonale - Reaktion letztendlich derartig heftig ausfiel, traf sowohl die Hersteller als auch die Vertriebskanäle weitgehend unvorbereitet. Immer kürzere Produktzyklen und die damit verbundene Komponenten- und Produktverwaltung lassen Produzenten und Händlern immer weniger Spielraum, um auf die Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage zu reagieren. Der Festplattenmarkt ist spürbar labiler geworden. Steigende Produktionskapazitäten bei einer unerwartet sinkenden Nachfrage führen, wie erlebt, bereits kurzfristig zu massiven Überkapazitäten mit drastischen Auswirkungen auf das bestehende Preisgefüge.

Obwohl die Nachfrage inzwischen generell wieder anzieht, ist ein schnelles Ende der Misere nicht in Sicht. Analysen des Marktforschungsunternehmens IDC gehen davon aus, daß der derzeitig bei Herstellern und in den Vertriebskanälen vorhandene Lagerbestand etwa zehn Wochen beträgt. Die Preisentwicklung war damit, zumindest in ersten Quartal 1998, weiter rückläufig. Die Auswirkungen der aufgelaufenen Überkapazitäten werden den Markt nach IDC-Prognosen zumindest noch in den kommenden drei Quartalen belasten.

Jede Fehleinschätzung kostet Marktanteile

Die Anzahl der lebensfähigen Anbieter im Festplattenmarkt ist gestiegen. Selbst die kleinsten Fehltritte bedeuten heute bei extrem dynamischem Wettbewerb den Verlust von Marktanteilen", beschreibt IDC-Analyst Crawford del Prete die Situation. Deutlich wird die Entwicklung bei einem Blick auf die Marktanteile bei Festplatten für den Einsatz in Desktop-PCs. Die drei führenden Anbieter Quantum, Western Digital und Seagate mußten 1997 und werden auch 1998 Einbußen hinnehmen müssen. Bei einem Marktwachstum von 22 Prozent 1997, legten sie gerade einmal 11 Prozent zu. Repräsentierten die drei Großen der Branche Anfang 1996 noch einen Marktanteil von zusammen 80 Prozent, so ist dieser bis Ende 1997 auf 68 Prozent geschrumpft.

Gewinner sind die Hersteller aus der zweiten Reihe. Aufgrund ihrer erfolgreichen "Time-to-market"-Strategie verzeichnen Fujitsu und Maxtor sowohl in 1997 als auch in 1998 hohe Zuwachsraten. Sie konnten ihren Anteil am Gesamtmarkt um jeweils gut fünf Prozent steigern. Ebenfalls gut im Rennen liegt der koreanische Späteinsteiger Samsung. Verkaufte das Unternehmen 1996 weltweit zwei Millionen Laufwerke, konnte der Umsatz 1997 um 125 Prozent auf 4,5 Millionen Platten gesteigert werden. Ursache für diesen Trend ist die steigende Nachfrage nach PCs in der Preisklasse unter 1.000 Dollar und die damit verbundene Verschiebung zugunsten von Festplatten im unteren Kapazitätsbereich. Lag der Anteil derartiger Low-cost-Systeme 1997 weltweit noch bei 13 Prozent aller verkauften PCs, erwartet IDC für 1998 einen Anstieg auf beinahe 20 Prozent.

Bei einem gleichbleibenden "Festplattenbudget" der PC-Hersteller von etwa 12 Prozent des gesamten Systempreises, erwartet IDC eine Entwicklung der Festplattenpreise analog zu den PC-Preisen. Inwieweit es Festplattenherstellern gelingt, sich im Laufe des Jahres 1998 einem OEM-Preis von schätzungsweise 95 Dollar zu nähern, entscheidet nach IDC-Prognosen über ihre Wettbewerbsfähigkeit im Desktop-Segment.

Bei weiter wachsenden Kapazitätsanforderungen bleibt den Entwicklern wenig Spielraum. Ein denkbarer Weg ist eine im Vergleich zur Kapazität reduzierte Performance mit Zugriffszeiten um 12 ms und einer Drehzahl von 5.400 U/min. Weitere Möglichkeiten der Kosteneinsparung bestehen durch eine Verlängerung der Produktlebenszyklen sowie durch grundsätzliche Änderungen in der Laufwerkselektronik. Kontrovers diskutiert wird beispielsweise die Integration der Laufwerkselektronik auf das PC-Motherboard. Eine reelle Einschätzung über die Marktentwicklung im Desktop-Segment ist nach Erwartung der Analysten erst im Laufe des zweiten Halbjahres 1998 möglich.

Spürbar hinter der Entwicklung des Consumer-Bereiches zurück bleibt

der Business-Markt und damit der Umsatz mit High-End-Festplatten. Nicht die Entwicklung noch höherer Kapazitäten wird hier den Markt vorantreiben, sondern die Aufrüstung von überlasteten Systemen mit aktuell verfügbaren High-End-Platten. Nach den kräftigen Preiseinbrüchen der vergangenen Monate rechnen die Experten - wie auch im Desktop-Bereich - frühestens im zweiten Halbjahr 1998 mit einem beschleunigten Wachstum, allerdings auf einem im Vergleich zum Vorjahr deutlich reduzierten Preisniveau.

Kräfteverhältnis im Mobile-Segment unverändert

Anzeichen für eine schnelle Konsolidierung sind nach den Worten von Crawford del Prete am deutlichsten bei Platten mit kleinem Formfaktor für mobile Systeme zu erkennen. Daraus resultierende Auswirkungen auf das bestehende Kräfteverhältnis zwischen den einschlägigen Anbietern erwartet der Analyst allerdings nicht. Mit 40 Prozent Marktanteil beherrscht IBM nach wie vor dieses Marktsegment, gefolgt von Toshiba mit knapp 30 Prozent und Hitachi mit etwa 10 Prozent.

Trotz positiver Perspektiven rechnen die Analysten nicht mit einem Wiedereinstieg amerikanischer Anbieter in dieses Marktsegment. Dennoch müssen nach Einschätzung von IDC Toshiba und Hitachi große Anstrengungen unternehmen, ihren Marktanteil gegenüber Big Blue zu behaupten. Obwohl die meisten Hersteller an der Entwicklung von Platten mit Bauhöhen kleiner zehn Millimeter arbeiten, Toshiba und IBM können sogar derartige Produkte liefern, werden nach Erwartung der IDC-Experten Platten mit 12,5 Millimeter Bauhöhe über die nächsten Jahre das Mainstream-Produkt bleiben.

Beste Chancen für "Full line suppliers"

Trotz aller Unwägbarkeiten fällt der Ausblick der Marktforscher auf das Jahr 1998 unter dem Strich dennoch positiv aus. "Die Nachfrage wird durchgängig stärker sein, als viele erwarten", zeigte sich del Prete optimistisch. Die besten Chancen, sich in diesem extrem dynamischen Markt zu behaupten, sieht er für Festplattenhersteller mit breitem Produktspektrum. Den Risiken, hervorgerufen durch die gerade in diesem Markt sich sehr schnell ändernden Anforderungen, können diese seiner Ansicht nach am besten begegnen.

Neben einem ausgewogenen Produktangebot, suchen Festplattenhersteller derzeit nach Möglichkeiten, durch eine effizientere Organisations-struktur in Produktion und Logistik Kosten zu senken.

Die IDC-Empfehlung, ein möglichst breites Produktangebot anzubieten, scheint Seagate nachgekommen zu sein. Deren Produktpalette reicht von 2,5 bis 5,25 Zoll-Platten mit Kapazitäten von 840 MB bis 47 GB. Alle Einsatzbereiche - von Notebooks und anderen mobilen Systemen über den Desktop- und Workstation-Bereich bis hin zu Netzservern und Disk Arrays - werden abgedeckt.

Die Seagate-Strategie baut auf größtmögliche Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Während eine Reihe von Herstellern versucht, durch Kooperationen Entwicklungs- und Produktionskosten zu sparen, setzt das Unternehmen auf eigenes technologisches Know-how und eigene Produktionsanlagen. Investitionen in beziehungsweise Akquisitionen von Fremdunternehmen ergänzen deren Strategiekonzept.

Ein Beispiel ist Seagates Beteiligung an der SanDisk Corporation, dem nach eigenen Angaben weltweit größten Anbieter von Flash-Speicherprodukten. Da mobile Computeranwendungen wie Notebooks, PDAs und Handys zukünftig große Mengen an Speicherkapazität erfordern, erwartet man nach Unternehmensangaben hier ein signifikantes Wachstumspotential. Die kürzliche Übernahme der Qinta Corporation zeigt die Bereitschaft, auch in völlig neue Technologie zu investieren. Quinta entwickelt optisch unterstützte Winchester-technologien, die deutlich höhere Aufzeichnungsdichten als traditionelle magnetische Medien erlauben.

Eine effiziente Organisationsstruktur soll darüber hinaus die Wettbewerbsfähigkeit von Seagate langfristig sicherstellen. Parallel zur Produktentwicklung verläuft die Ende letzten Jahres begonnene weltweite Umstrukturierung der Unternehmensorganisation auf vollen Touren. Zusätzlich zu den vorgesehenen Mehrausgaben von 300 Millionen Dollar, sieht sich Seagate gezwungen, in diesem Quartal etwa zehn Prozent seiner Mitarbeiter zu entlassen. Damit reagiert das Unternehmen auf die verschärften Bedingungen im internationalen Wettbewerb.

Seit 1994 hat IBM nach IDC-Angaben kontinuierlich Marktanteile bei Desktop-Festplatten verloren. Im Gegenzug erarbeitete sich das Unternehmen die technologische Marktführerschaft im zumindest bis dato lukrativen High-End-Bereich. Viele Mitbewerber zählen inzwischen zu den Kunden von IBM, wenn es um Komponenten für hochkapazitive Platten geht. Neuestes Beispiel ist eine Kooperation mit dem japanischen NEC-Konzern.

Den Entwicklungsvorsprung von IBM bei High-Tech-Platten zu nutzen und sich auf Kundengruppen zu konzentrieren, den neuesten Technologien aufgeschlossen gegenüberstehen, rät David Walling, Manager der IBM HDD Strategy and Support Group, seinen Vertriebspartnern.

Er unterteilt den Markt potentieller Kunden in fünf Kategorien: Innovatoren (entscheidungsfreudige, energische Antreiber neuer Entwicklungen), Meinungsbildner (Visionäre mit dem Ehrgeiz, eine führende Position am Markt einzunehmen. Aktiv bei der Suche nach neuen Ideen.), frühe Mehrheit (Pragmatiker mit dem Hang, den Status quo zu ändern und technologische Lücken zu schließen; angesehene Unternehmen, die nach einer führenden Marktposition streben), späte Mehrheit (Traditionalisten mit Gleichgültigkeit gegenüber neuen Trends. Zielgerichtet auf den Low-end Markt, reagierend statt agierend) und die Nachzügler (Skeptiker mit Schwerpunkt auf "me-too"-Produkte. Kosten- und preisfixiert mit einem Einkaufsverhalten, das sich ausschließlich an den Forderungen des Massenmarktes orientiert). Speziell in den ersten drei Kundenkategorien sieht Walling, bei weiter wachsendem Bedarf an hohen Speicherkapazitäten, gute Entwicklungsmöglichkeiten für hochkapazitive Festplatten. Weniger preissensitiv als der Massenmarkt ist der Schutz der Investitionen für diesen Kundenkreis von zentraler Bedeutung.

Samsung will den Massenmarkt adressieren

Verhältnismäßig spät in den Festplattenmarkt eingestiegen, zielt das koreanische Unternehmen Samsung mit seinen Produkten auf den Massenmarkt. "Ich verdiene lieber an 100.000 Platten zwei Dollar als an 2.000 Platten fünf Dollar", faßt Werner Handke, Senior Manager Sales & Marketing bei Samsung Electronics GmbH in Schwalbach, seine Strategie zusammen. "Mit unseren IDE-Platten mit Kapazitäten zwischen 2 und 4 GByte, demnächst auch 6 Gbyte, sind wir dort dabei, wo man dabei sein muß."

Daß diese Taktik aufgeht, zeigen seine Worte, nicht zuletzt die Zuwachsraten des Unternehmens innerhalb der letzten beiden Jahre. "Unsere Erwartungen für den deutschen Markt haben sich voll erfüllt", so Handke. Mit 500.000 Laufwerken wurden knapp zehn Prozent der gesamten Produktionskapazität nach Deutschland verkauft, der Marktanteil beträgt damit nach eigenen Angaben inzwischen sechs bis acht Prozent.

Die Preiseinbrüche des letzten Jahres sind allerdings auch an Samsung nicht spurlos vorübergegangen. Lag der Durchschnittspreis der verkauften Samsung-Festplatten Anfang 1997 noch bei 170 Dollar, stehen laut Handke heute gerade einmal 130 Dollar zu Buche. Ein großer Teil der Verluste konnte seinen Angaben nach durch eine Senkung der Produktionskosten kompensiert werden.

Als Verursacher der Krise im Festplattenmarkt betrachtet Handke die großen Marktführer. "Der Preiskrieg wurde ursprünglich von den drei Eigentümern des Marktes angezettelt. Inzwischen sehen sie allerdings ein, daß wenn sie so weitermachen, die Sache ruinös wird. Der Festplattenmarkt läßt sich nicht beliebig ausweiten. Jetzt haben sie die Notbremse gezogen und versuchen in Nischen wie beispielsweise den Enterprise-Sektor auszuweichen." Kein Ausweg, wie er meint, da aufgrund der vergleichsweise geringen Stückzahlen Verluste aus dem Mainstream-Business kaum kompensiert werden können.

Wer glaubt, daß sich die Lage am Festplattenmarkt in der Zukunft spürbar beruhigt, liegt nach Handkes Meinung falsch: "Da die US-Unternehmen börsennotiert sind und quartalsweise ihre Ergebnisse veröffentlichen, ist der auf ihnen lastende Druck enorm.

Nicht zuletzt deshalb wird es immer wieder Konstellationen und Aktionen geben, die die Flexibilität von Herstellern und Händlern auf

eine harte Probe stellen werden." (sd)

Samsung-Vertriebsdirektor Handke: Hat vergleichsweise gut Lachen.

Die Koreaner traf die Festplattenkrise weniger stark als die großen Marktführer.

Die Ursache für den "Mini-Crash" des letzten Jahres war die unerwartet sinkende Nachfrage nach High-End-Platten bei gleichzeitig steigender Produktionskapazität. Die Schere schließt sich nur langsam.

Während die Top 3 der Festplattenbranche Marktanteile

verlieren, holen die Anbieter aus der zweiten Reihe auf.

Sie profitieren vom Trend zum Low-cost-PC.

Der Festplattenpreis entwickelt sich zum entscheidenden Faktor. Die Bedeutung von Kapazität und Performance sinkt.

Analog zur Entwicklung bei Low-cost PC-Systemen wächst die Nachfrage nach Festplatten unter 100 Dollar. Bereits im Jahr 2000 soll ihr Marktanteil nach Prognosen von IDC knapp ein Drittel betragen.

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