Weinmann bloggt

Die "Schatten-IT" als Chance

CEO der Cancom SE. 1995 schloss Weinman  das BWL-Studium an der Universität Augsburg als Diplom-Kaufmann ab. 1992 gründete er noch als Student das Systemhaus Cancom. 1999 brachte er das Unternehmen an die Börse, wo Cancom 2012 in den TecDAX aufgenommen wurde. Weinmann wurde  mehrfach als Finalist des Unternehmerwettbewerb „Entrepreneur des Jahres“ ausgezeichnet. Seit 2008 ist er Vizepräsident der  Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben und seit Oktober 2013 Mitglied des Hochschulrats der Hochschule Augsburg.
In Sachen Applikationen gewinnen immer häufiger die Mitarbeiter und Fachabteilungen die Hoheit über die IT in den Unternehmen und werden so zu einer neuen Zielgruppe für Dienstleister. Cancom-CEO Klaus Weinmann kommentiert diese Entwicklung.

Dass in der Mathematik das "X" traditionell als Unbekannte gilt, ist weitläufig bekannt. Aber dass sich dieses "X" jetzt auch in der Business-IT festgesetzt hat, sollte uns bewusst werden – ob wir es wollen oder nicht.

Immer größere Teile der IT-Industrie, allen voran die Channel-Unternehmen, sind gefragt, sich diesem "X" zu nähern. Ich spreche von dem plötzlich aufgetauchten "X" in der Mitte des Kürzels C"X"O, genau an der Stelle, wo früher ein E, T oder ein O standen. IBM war meiner Erinnerung nach der erste IT-Konzern, der den neuen Begriff einführte. Mittlerweile finden sich die C"X"Os auf fast allen PowerPoint-Präsentationen bei den großen IT-Konferenzen wieder. Wenn es um die Klassifizierung von Entscheidergruppen in der Geschäftswelt geht, gibt es offenbar den klassischen CIO nicht mehr.

In großen Unternehmen findet mittlerweile fast 50 Prozent der Systemlandschaft in der "Schatten-IT" statt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als von Mitarbeitern "heimlich" betriebene und anberaumte IT, ungesteuerte Investitionen vorbei an der Chefetage.
In großen Unternehmen findet mittlerweile fast 50 Prozent der Systemlandschaft in der "Schatten-IT" statt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als von Mitarbeitern "heimlich" betriebene und anberaumte IT, ungesteuerte Investitionen vorbei an der Chefetage.
Foto: Fiedels - Fotolia.com

Die neuen Zielgruppen der IT

Zurecht: Früher war der Vertrieb von IT noch einfach in den Griff zu bekommen. Egal ob große oder kleine Unternehmen, der Chef (CEO) sprach sich mit seinem IT-Chef (CIO) ab, gemeinsam legten beide fest, wie die Mitarbeiter computerisiert werden. Ob Anwendungen oder Hardware – Mitspracherecht seitens des kleinen Angestellten an der IT-Investition, so angebracht es möglicherweise auch war, gab es kaum. Und fehlte der CIO im Unternehmen, klärten eben das Systemhaus des jeweiligen Vertrauens und der Firmenchef direkt, wie die IT in der Firma auszusehen habe. Das passte auch wunderbar zum damals vorherrschenden klassischen Server-Client-Modell.

Heute sieht die Welt anders aus. Einer der Hauptschuldigen ist dabei – wenig überraschend – die "Cloud". Und es waren nicht einmal die neuen Möglichkeiten in der Business-IT, die den Prozess in Gang setzte. Nein, es waren allen voran Cloud-Lösungen, die eigentlich einen privaten Zweck verfolgten, die die entscheidenden Veränderungen bewirkten. Social Media allen voran riss und reißt Unternehmen an ihrer Flanke auf.

"Habt Ihr im dritten Stock noch Papier für den Drucker" oder "Ich frag mal meinen Chef, wo Sie als Kunde hier Beschwerde einlegen können" – via Facebook-Nachricht verfasst – sind wunderbare Beispiele, wie in Firmen dieser Kanal zu Einsatz kommt. Ob oben in der Chefetage gewollt oder nicht. Eigentlich logisch: Warum sich in der Kommunikation auf das von der Firma Gestellte beschränken, wenn es zu eindimensional ist?

Mitarbeiter und Abteilungen spielen aber nicht nur in puncto Kommunikation eine neue Rolle. Das gleiche gilt für die Gerätewahl: Das Phänomen BYOD hatte seinen Ursprung einzig und allein in der Tatsache, dass das private portable Devices meist deutlich bequemer zu nutzen sind als die von der Firma gestellten Geräte.

Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Sachen Applikationen die Mitarbeiter zunehmend Hoheit gewannen. Eine Cloud-Applikation ist schnell gemietet. Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich die Abteilungsleiter dieser Welt gegenseitig fragten: "Und welche Web-CRM-Lösung kannst Du mir empfehlen?"

Die wahre Dimension dieses Trends wurde spätestens dann deutlich, als Marktforscher komplette und weiterbreitete "Schatten-IT-Departments" in den Firmen dieser Welt ausmachte. Wie die Analysen ergaben, finden in großen Unternehmen mittlerweile bis zu 50 Prozent der Systemlandschaft in der Schatten-IT statt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als "heimlich" betriebene und anberaumte IT, ungesteuerte Investitionen vorbei an der Chefetage. Was das für Probleme mit sich bringen kann, alleine in puncto Sicherheit und Compliance, dürfte jedem klar sein, der in der IT-Branche tätig ist.

Die unausweichliche Veränderung

Es ist unausweichlich: Selbst wenn eine Firma wirklich strikt blieb und es schaffte, die traditonelle Entscheiderhierarchie klar einzuhalten, um so die "Schatten" im eigenen Haus zu verringern, muss sie sich einem anderen Trend stellen: Sie muss die Fachbereiche an den IT-Entscheidertisch holen. Denn nur dort, wo die Abteilungen passgenau mit dem arbeiten, was sie wirklich brauchen, kann der Wettbewerbsvorteil gewahrt werden, zu vielseitig und branchen- bzw. abteilungsangepasst funktioniert heute moderne Firmen-IT. Das SAP-Portfolio, das immer mobiler, sozialer und vertikaler wird, ist ein hervorragendes Beispiel.

Klaus Weinmann, CEO von Cancom: "Marketing und Vertrieb des Channels müssen zunehmend die Sprache der Fachabteilungen zu sprechen, technisch wie kommunikativ."
Klaus Weinmann, CEO von Cancom: "Marketing und Vertrieb des Channels müssen zunehmend die Sprache der Fachabteilungen zu sprechen, technisch wie kommunikativ."
Foto: Cancom

Und plötzlich sind sie da, die Chief Executive Officers (CEOs), Chief Information Officers (CIOs), Chief Finance Officers (CFOs), Chief Marketing Officers (CMOs), Chief Sales Officers (CSOs), Chief Human Resource Officers (CHROs) und Chief Supply Chain Officers (CSCOs) dieser Welt. Sie alle sind zu gewichtigen IT-Entscheidern geworden.

Gartner zufolge wandern bis zum Jahr 2016 mehr als 35 Prozent der IT-Budgets in die Kontrolle der Geschäftsbereiche. IT ist dabei nur Mittel zum Zweck: IT ist heute so nah an Geschäftsprozesse gerückt, dass man sich eigentlich weniger für ein IT-Produkt, ein bestimmten Brand oder speziellen Service entscheidet, als für neue Workflows in der jeweiligen Abteilung. Apps machen Vertriebsmitarbeiter mobil, Social Business schafft neues Teamwork, modernes CRM liefert gänzlich neue Möglichkeiten für Kundenkommunikation usw.

Dass sich die jeweiligen Abteilungen dabei nicht lange mit den Problemen der IT aufhalten wollen, ist klar. So spielen Standards und Automatisierung, Managebarkeit, Mobilität, SLA und die Verwaltbarkeit großer Datenmengen eine immer größere Rolle. Legacys sind dagegen ein zunehmend vernachlässigbares Thema. Dagegen kommen die Themen Cloud, Big Data und Verfügbarkeit auf den Tisch. Es gilt für Channel-Unternehmen, sich bewusst zu machen, dass sich in bestimmten Umfeldern, etwa in den Bereichen Office-Anwendungen oder Desktop-Virtualisierung, sich Standards durchsetzen werden, der entsprechende Preiskampf inklusive.

Ein Problem bei der Automatisierung sind jedoch Grenzen der jeweiligen IT-Silos der einzelnen Abteilungen: Oftmals spielen IT-Management-Abläufe, so gut sie auch abgestimmt sind, abteilungsübergreifend nicht zusammen. Geschäftspotienzial lauert definitiv auch in der Orchestrierung der Automatisierungen, so schwindelerregend das auch klingen mag.

Stärken in der Vertikalisierung mitzubringen oder der Aufbau von End-To-End-SLAs oder Sorglos-Paketen ist somit immer mehr gefragt - natürlich neben einem Know-how-Aufbau zu den großen Themen wie Big Data, Mobility und Cloud.

Wie also die Gleichung mit dem "X" lösen? Wen gilt es als IT-Dienstleister anzusprechen? Ganz klar: Marketing und Vertrieb des Channels müssen zunehmend die Sprache der Fachabteilungen zu sprechen, technisch wie kommunikativ. CMOs und CSOs sind wunderbare neue Kundengruppen.

Gut aufgestellte Häuser können sogar noch einen Schritt weiter gehen: Sie können IT-Lösungspakete kreieren, die die Sprache des Kunden sprechen: der Kunden ihrer Kunden. Denn Optimale und innovative IT-Workflows in Firmen passen sich immer mehr an den Kundenbedarf der Firma an. (tö)

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