Die Talsohle für Händler und Hersteller ist durchschritten

25.06.1998

MÜNCHEN: Während das Internet oder die Telekommunikation in aller Munde ist und mit manchmal eher bescheidenen Innovationen sofort die gewünschte Aufmerksamkeit erzielt, führt der CAD-Markt in diesem unserem Lande fast ein Schattendasein. Zu Unrecht. Denn das, was da im Verborgenen blüht, kann sich im wahrsten Sinne des Wortessehen lassen.

Neben vielen neuen, teilweise bahnbrechenden Entwicklungen kommen - anders als noch vor einigen Jahren - auch die Geschäfte nicht mehr zu kurz. Die meisten Hersteller schreiben nicht nur schwarze Zahlen, sie freuen sich auch über kräftige Zuwachsraten, in den meisten Fällen gar im zweistelligen Bereich. So erzielte Branchenprimus Autodesk im vergangenen Jahr das beste Ergebnis seit fünf Jahren. Doch nicht nur der Marktführer hatte Grund zum Jubeln. Auch die anderen Anbieter konnten sich über kräftige Zugewinne bei Umsatz und Ertrag freuen. Nach den zuletzt eher schwachen Jahren mit lahmender Konjunktur und gebremster Investitionsbereitschaft der Unternehmen scheint die Talsohle durchschritten, füllen sich die Auftragsbücher mehr und mehr. Der Maschinenbau - lange Jahre Deutschlands Vorzeigeinsdustrie, wie auch Sorgenkind - investiert wieder in neue und effizientere Lösungen, um sich dem globalen Wettbewerb stellen zu können. Die Hersteller von MCAD-Lösungen - Software für die mechanische Konstruktion - können sich die Hände reiben, wird doch gerade in diesem Bereich wieder kräftiger in die Tasche gegriffen. Weniger rosig sieht es hingegen bei Architektur- und Elektronik-/Elektrotechnik-Lösungen aus. Hier stagniert der Markt, ist in der krisengeschüttelten Baubranche gar rückläufig. Der GIS-Markt leidet nach wie vor unter den leeren Haushaltskassen der öffentlichen Auftraggeber, steuert jedoch unterm Strich noch immer auf Wachstumskurs. Rund 1,8 Milliarden Mark wurden 1997 nach ersten Schätzungen für CAD/CAM/CAE-Systeme in Deutschland ausgegeben. Hierbei entfiel auf den Mechanikbereich rund eine Milliarde.

Die Grossen werden immer größer

Kaum ein Kunde erwirbt heutzutage ein Basissystem, sondern kauft Bibliotheken, Schnittstellen für die Datenkonvertierung und andere ergänzende Lösungen gleich mit. Entsprechend steigt der Preis. Nur selten (3,4 Prozent) reichen zehntausend Mark für den Erwerb einer (kompletten) Lösung im Mechanikbereich. Mehr als 36 Prozent aller Käufer greifen tiefer in die Tasche und geben bis zu 25.000 Mark für ihr CAD-System aus. Die Mehrzahl (57,5 Prozent) läßt sich die Verbesserungen in Konstruktion und Entwicklung gar 25.000 bis 50.000 Mark kosten. Hierbei sind die Aufwendungen für Hardware und Service nicht einmal enthalten. Wie überall auf der Welt, so vollzieht sich auch im CAD-Markt eine Konzentration der Kräfte. Nicht nur einzelne Lösungen (CAD 2D und 3D sowie CAD, CAE und EDM) verschmelzen mehr und mehr, die Anbieter gleichermaßen wachsen zusammen. Teilweise geschieht dies durch Kooperationen, teilweise durch Übernahmen. PTC und Computervision sowie jüngst Autodesk und Genius sind Beispiele für eine Reihe von Akquisitionen, über die in den nächsten Monaten wohl noch häufiger zu berichten sein wird. Allgemein läßt sich eine Rückbesinnung auf die Kernkompetenz feststellen. Viele Anbieter haben die Strategie des Ausbaus ihrer Lösungen um FE- oder NC-Module zugunsten der Entwicklung von Direktschnittstellen zu den Produkten der führenden Anbieter aufgegeben. Doch diese Tendenz ist nicht einheitlich. Mancher Hersteller, der früher ausschließlich auf Konstruktionslösungen setzte, hat mittlerweile auch EDM- oder NC-Module oder Programme für die Finite-Elemente-Berechnung sowie die Bewegungssimulation auf der Preisliste.

War CAD in den vergangenen Jahren fast ausschließlich eine Domäne der Unix-Rechner, so gibt es heute wohl kaum mehr einen Anbieter, der seine Produkte nicht auch für Windows NT entwickelt. Von High-End-Systemen bis hin zur Einstiegslösung für ein paar hundert Mark, NT setzt die Anbieter von Unix-Workstations zunehmend unter Druck und sichert sich beträchtliche Marktanteile. Nicht immer zum Wohlgefallen der Händler und Systemhäuser, die um ihre Margen ebenso wie um ihre Erträge aus lukrativen Installationen, Vernetzungen und Schulungen fürchten. So beklagen schon etliche VARs einen Preisverfall im Dienstleistungsbereich. Kunden sind halt nicht bereit, für Leistungen im Windows-Umfeld dasselbe zu zahlen wie im als kompliziert geltenden und Know-how-trächtigen Unix-Bereich.

"Schnelle Lösung, schnelle Mark"

Neue wie etablierte Anbieter versuchen, zusätzliche Märkte durch sehr günstige Einstiegslösungen - meist abgespeckte Versionen ihrer High-End-Produkte - zu erobern. In Deutschland bisher nur mit mäßigem Erfolg. Die Branche gilt als recht konservativ und steht neuen Systemen und Dienstleistungen in der Regel skeptisch gegenüber. So beeilen sich auch viele Softwareschmieden, flugs neue Zielgruppen für die spöttisch als "CAD für Arme" bezeichneten Produkte zu finden. Vertriebsbeauftragte, Service-Techniker und Monteure werden hierbei genauso ins Visier genommen wie - alle Jahre wieder - Schüler und Studenten. Einfache Bedienung, volle Kompatibilität zu den "großen Lösungen" und ein günstiger Preis sollen Otto Normalverbraucher zum Kauf der Low-Cost-Programme animieren, die eher der Kategorie "Zeichenprogramm" als der Rubrik "Konstruktionslösung" zuzuordnen sind. Viele Anbieter läßt der Versuch von Visio und Co. kalt, adressieren sie doch mit ihren Produkten nach eigener Aussage völlig andere Anwendungsbereiche, die klassischen Highend-Systemen vorbehalten bleiben. Andere Hersteller und Händler sind wiederum gar nicht gut auf ihre neuen Konkurrenten zu sprechen und sehen die Preise dauerhaft in Gefahr. So stellt Rainer Pörtner, Marketingleiter bei der HP-Tochter CoCreate Software GmbH, fest: "Einige dieser Anbieter haben Kunden mit extrem günstigen Angeboten geködert, frei nach dem Motto "schnelle Lösung, schnelle Mark". Das hat sich natürlich auf das gesamte Marktgeschehen ausgewirkt und mancherorts die Preise purzeln lassen. Viele Kunden haben nach dem Kauf aber manch bittere Erfahrungen machen müssen. Sie mußten erkennen, daß zwischen Anspruch und Wirklichkeit oft Welten liegen. Daher verwundert es auch nicht, daß viele dieser Kunden nach einiger Zeit recht geläutert wieder zurückkommen."

Hier bleibt für den Händler oder VAR eine Menge Aufklärungsarbeit. Die Empfehlung für ein bestimmtes System zur Lösung eines Problems in Konstruktion und Fertigung setzt Kompetenz, Erfahrung sowie gute Marktkenntnisse gleichermaßen voraus. Er muß Leistungsumfang und Grenzen der Software kennen. Keine leichte Aufgabe, vor allem wenn man berücksichtigt, daß ein und derselbe Hersteller oft mehrere Systeme unterschiedlichen Leistungsumfangs auf der Preisliste hat. Nicht ohne Grund, wie Ralph Lingmann, Marketingleiter bei Autodesk, erklärt: "Wir bieten mit AutoCAD LT und AutoSketch Softwareprogramme für den Einsteigermarkt an. Unser Kunden haben so die Vorteile eines Wachstumspfades innerhalb der Autodesk-Produkte, denn in vielen Büros unserer Anwender gibt es neben professionellen CAD-Arbeitsplätzen auch Stationen, wo gelegentlich mit CAD gearbeitet wird und nicht die volle Funktionalität von AutoCAD gefordert ist. Wir bieten dabei natürlich die volle Kompatibilität der Daten an."

Wenig Probleme mit den Billigangeboten hat Iris Rademacher, Unternehmenssprecherin bei der IBM: "Wir adressieren mit unseren Lösungen ein völlig anderes Marktsegment, den Highend-Bereich. Dort haben solche Produkte fast keine Bedeutung." Einen weiteren Grund für den bisher ausgebliebenen Siegeszug der Low-Cost-Programme hat Norbert Urmetzer, Geschäftsführer der Ziegler Informatics GmbH in Mönchengladbach, ausmachen können: "Dies mag auch mit der Mentalität des Deutschen zusammenhängen, nicht sofort auf derartige Billigangebote zurückzugreifen. Zudem stößt man schnell an die Grenzen solcher Software, wenn man einige Zeit damit gearbeitet hat."

Verzweifelt gesucht: VARs

Immer mehr Hersteller suchen händeringend nach Partnern, die sich sowohl im Lösungs- und Projektgeschäft bestens auskennen, als auch den Mittelstand und kleine Firmen adressieren können. Dort nämlich sind viele Anbieter von CAD-Systemen des oberen Leistungsbereichs bisher eher spärlich vertreten. Doch gerade dieser Sektor erscheint wiederum besonders interessant, weist er doch viele Firmen auf, die bisher nur mit CAD-Systemen der ersten oder zweiten Generation arbeiten und nach Einschätzung nahezu aller Marktforscher extrem hohen Bedarf an 3D-Lösungen im mittleren Leistungsbereich haben. In vielen Fällen ziert sogar nur ein Zeichenbrett das Büro des Konstrukteurs oder Technischen Zeichners, von CAD keine Spur. Genau diese Zielgruppen haben Autodesk, PTC, SDRC, SolidWorks und andere Softwareentwickler mit ihren Systemen Mechanical Desktop, PT/Modeler, Artisan, SolidWorks. im Visier. Doch so richtig will das Geschäft bisher nicht in Schwung kommen. So ermittelte das amerikanische Marktforschungsunternehmen Daratech einen Bedarf von ca. 800.000 Midrange-Arbeitsplätzen bei Preisen zwischen 2.000 und 6.000 Dollar. Alle führenden Anbieter zusammen konnten jedoch per 1. Januar 1998 erst 85.000 Systeme auf der Habenseite verbuchen, wovon mehr als 50.000 Arbeitsplätze auf den Branchenprimus Autodesk entfielen. Zwar fehlen in Deutschland bisher noch verläßliche Zahlen, doch dürfte die Situation ähnlich sein. Um diesen Markt besser adressieren zu können, haben sich viele Hersteller auf Brautschau begeben und werben mit Partnerprogrammen und Rabattstrukturen. Doch nicht immer mit Erfolg. Urmetzer wünscht sich für die Vermarktung seiner Software CADdy++ "mehr Händler, die den Vertrieb von CAD-Systemen professionell betreiben und nicht im Vorübergehen versuchen, eine solch erklärungsbedürftige Lösung an den Mann oder die Frau zu bringen."

Haben einige Anbieter wie zum Beispiel Autodesk oder Ziegler von jeher ihre Produkte über den indirekten Kanal vermarktet, so entdeckten in den vergangenen Jahren immer mehr Hersteller, zu denen neben PTC, SDRC, EDS auch die IBM gehört, den indirekten Vertrieb. Und die Partner haben nicht nur brav den Absatz der CAD-Systeme angekurbelt, sondern konnten so manches branchen- und kundenspezifische Modul beisteuern und somit einen ordentlichen Mehrwert schaffen. Viele Standardsoftware-Systeme, die vormals eher Fragment als Branchenlösung waren, wurden dadurch erst marktgerecht. Das Spektrum veredelnder Maßnahmen reicht hierbei von benutzerfreundlichen Oberflächen bis hin zu kompletten Bibliotheken mit Normteilen, die Effizienz und Durchsatz von CAD-Lösungen beträchtlich steigern. Zudem konnten Value Added Reseller (VAR) gleich die entsprechende Hardware und Komponenten und Dienstleistungen für die Vernetzung der Systeme mitliefern. Und das zu Preisen, die heute kaum ein Hersteller mehr realisieren kann oder will.

STEP: Der richtige Schritt zum globalen Datenaustausch

Mit dem Verkauf von CAD-Lösungen von der Stange läßt sich heute kein Geld mehr verdienen. Der Markt ist nahezu gesättigt und verlangt nach neuen, effizienteren Systemen zur Optimierung von Prozeßketten, zur Steigerung der Effizienz in Konstruktion und Fertigung, zur Realisierung immer kürzerer Entwicklungszeiten. Besonderen Stellenwert nimmt in diesem Zusammenhang der Austausch von Daten zwischen verschiedenen CAD- und nachgeordneten Systemen (CAM, FE, Simulation, etc.) ein. War die Übergabe und -nahme von Konstruktions- und Zeichnungsdaten in der Vergangenheit ein vielfach hoffnungsloses Unterfangen und erbrachte mit IGES und VDAFS nur unzureichende Resultate, so lassen die mit dem neuen Standard STEP erzielten Ergebnisse aufhorchen. Nicht nur der Austausch von Solids, sondern auch von Flächen- und Kurvengeometrien, ganzer Baugruppen ist mit dem neuen Interface möglich geworden. Die in Darmstadt ansässige ProSTEP-Organisation hat zahlreiche Systeme unter die Lupe genommen und den Datenaustausch getestet. Viele Anbieter konnten dabei das Qualitätsurteil "gut" für sich verbuchen. Ihre Daten können nahezu problemlos von anderen Programmen gelesen und weiterverarbeitet werden.(uk)

Rainer Pörtner, CoCreate Software GmbH: "Wir erleben derzeit eine richtige Aufbruchstimmung."

Ziegler Informatics-Chef Urmetzter: "Viele Hersteller sind mit neuen Lösungen auf den Markt gekommen."

CAD 3D gewinnt immer größere Bedeutung.

Iris Rademacher, IBM Deutschland Informationssysteme GmbH: "Wir werden unsere Marktposition weiter stärken."

Selbst hier helfen moderne CAD-Lösungen weiter: Assemblierung komplexer Einzelteile eines Produkts.

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