Die virtuelle Verwaltung kämpft mit Sicherheitsbedenken und Geldmangel

23.11.2000
Wer in Deutschland heiratet oder den Wohnort wechselt, weiß in der Regel, dass möglicherweise stundenlanges Warten in stickigen Amtsstuben auf ihn zukommt. Die Erlösung von solchen lästigen Behördengängen könnte E-Government heißen. In anderen Ländern ist diese Theorie bereits auf dem Weg zur Wirklichkeit - Deutschland dagegen ist in dieser Hinsicht immer noch ein Entwicklungsland.

Welch riesiges Marktpotential im E-Government steckt, zeigt eine Studie des Deutschen Städte- und Gemeindebunds in Zusammenarbeit mit den Marktforschern von Pricewaterhouse. 90 Städte und Gemeinden haben umfangreiche Auskunft über E-Government gegeben.

"Electronic Government bezeichnet die digitale Unterstützung von Information, Kommunikation und Transaktion im Bereich der öffentlichen Verwaltungen." So lautet die offizielle Definition des Begriffs. Die virtuelle Verwaltung ist für die meisten Befragten eine wichtige Entwicklung. Und die Behörden haben erkannt, dass Bedarf besteht: Mehr als 71 Prozent der Umfrageteilnehmer sehen in der digitalen Verwaltung mehr als nur eine Modeerscheinung. Die Städte erhoffen sich dadurch vor allem eine Verbesserung der Arbeitsabläufe und eine höhere Transparenz für die Bürger. 85 Prozent erwarten von dieser technologischen Entwicklung sogar einen Schub in der Verwaltungsreform, und fast ein Drittel hofft - als Folge daraus - auf drastische Veränderungen in der behördlichen Arbeitsweise und der Leistungserbringung.

Allerdings: Im Moment steht die virtuelle Verwaltung erst ganz am Anfang. Die digitale Präsenz der meisten Städte beschränkt sich auf eine Homepage im Internet - ausschließlich dazu gedacht, Informationen zu liefern. Weder Kommunikation noch Interaktion mit dem Bürger sind bislang sehr oft in die Tat umgesetzt worden. Derzeit verfügen nicht einmal alle Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltungen über Internet-Zugang und E-Mail. Es gibt bislang in Deutschland auch nur wenige Gemeinden (zwölf Prozent), die schon eine schriftlich fixierte E-Government-Strategie haben. Rund 89 Prozent geben sogar zu, dass sie nicht einmal wissen, was ihre Bürger von einer digitalen Verwaltung erwarten.

Über die Hälfte der Behörden sind laut der Pricewaterhouse-Studie mit Aktualität, Design und Ergonomie ihrer Homepages zufrieden. E-Government beinhaltet jedoch um einiges mehr als hübsche Websites. Die Verwaltungen haben bereits Vorstellungen davon, wie E-Government in ein bis zwei Jahren aussehen könnte. 86 Prozent zum Beispiel erachten den Download von Formularen als besonders wichtig. Die digitale Abwicklung der Verwaltungsvorgänge sehen 57 Prozent als sehr wichtig an. Und fast jede zweite Stadtverwaltung (46 Prozent) will die Einführung der digitalen Signatur innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre verwirklichen. Dabei wird die Chipkarte mit digitaler Signatur eindeutig der symmetrischen Verschlüsselung vorgezogen.

Der Sicherheitsaspekt ist ein sehr wichtiger Punkt, wenn man bedenkt, was die Verwaltungen auf dem Weg in die virtuelle Welt alles vorhaben. Zu den Hauptanwendungen zählt für die Verantwortlichen das Meldewesen. Mehr als die Hälfte der Befragten hat diesen Bereich mit "sehr wichtig" bewertet. Antrags- und Auskunftswesen werden ebenfalls als wichtige neue Anwendungen betrachtet. Sehr bedeutsam für die Gemeinden selbst wird wohl die Abwicklung der Genehmigungsverfahren werden. Wenn eine Stadt diesen Prozess reibungslos durchzieht, könnte dies ein entscheidends Kriterium für Firmen sein, sich dort niederzulassen - ein Vorteil wiederum für die Stadt als wirtschaftlichem Standort. Dies allerdings ist Zukunftsmusik, die, so die Verantwortlichen, erst in fünf Jahren Realität werden dürfte. Im Moment zählen laut Umfrage die Verbesserung des eigenen Images (87 Prozent) sowie die Bürgernähe (81 Prozent) als die größten Vorteile.

Ein Marktpotential von bis zu sieben Milliarden Mark

Die befragten Städte und Gemeinden nennen eine Vielzahl von Problemen, die bei der Planung und Umsetzung ihrer Internet-Aktivitäten auf sie zukamen oder die sie erwarten. Ein großes Hindernis sind die fehlenden rechtlichen Grundlagen. Digitale Signaturen sind aus Sicht der Verantwortlichen der Flaschenhals. Die Verwaltungen sind sich nicht sicher, welchen Handlungsspielraum das aktuelle Recht in Hinblick auf Sicherheitsstandards gibt. Hier hoffen rund 84 Prozent auf bessere rechtliche Regelungen in nächster Zukunft.

Die mangelnden finanziellen Spielräume sind eine weitere Hürde, welche die Verfechter der digitalen Bürokratie zu überwinden haben. Laut Berechnungen von Pricewaterhouse werden in den nächsten drei bis vier Jahren rund fünf bis sieben Milliarden Mark notwendig sein, um wirkungsvolle E-Government-Anwendungen umzusetzen. Und die Mehrheit der Gemeinden kann nicht auf Finanzierungsstrategien zurückgreifen, so ein weiteres Umfrageergebnis. Dieser Mangel wird dadurch verstärkt, dass die Verantwortlichen nur geringe Chancen sehen, die Internet-Seiten der Verwaltung per Werbebanner zur Einnahmequelle zu machen.

Auch die erwarteten Ersparnisse durch Internet-Interaktion mit den Bürgern fallen ziemlich gering aus. Nur 38 Prozent rechnen mit merklichen Kosteneinsparungen. Vorreiter USA hat allerdings gezeigt, dass dort die Kosten für Verwaltungsleistungen um bis zu 75 Prozent sanken, nachdem interaktive Anwendungen realisiert wurden.

Was die Verwaltungen bislang noch nicht in Betracht gezogen haben, sind alternative Finanzierungsformen. Hohe Anfangsinves-titionen lassen sich dadurch über längere Zeiträume beziehungsweise auf mehrere Kostenträger verteilen. Dies wäre auch laut Pricewaterhaus erforderlich, denn der klassische Weg, wie etwa Darlehen mit den dazugehörigen materiellen Kreditsicherheiten, eignet sich für IT-Investitionen wie das E-Government meistens nicht.

Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, mit privaten Investoren zusammenzuarbeiten. In Großbritannien sind so genannte "Public Private Partnerships" gang und gäbe. In Deutschland beschränkt man sich eher auf die bereits bewährten Modelle. Ein Joint Venture mit einem privaten Investor können sich zum Beispiel nur elf Prozent der befragten Verantwortlichen vorstellen. 62 Prozent halten dies für unwahrscheinlich.

Auch die Auslagerung sich selbst tragender Teilbereiche halten nur 18 Prozent für möglich, 54 Prozent rechnen nicht damit. Ein relativ großer Teil der Gemeinden hat sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Fast die Hälfte hält nach wie vor am Modell unter öffentlicher Leitung mit Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung fest. Doch um die Zusammenarbeit mit privaten Dritten werden die Öffentlichen nicht herumkommen, denn die Verwaltungen verfügen nach eigenen Angaben gar nicht über das nötige Know-how unter ihren Mitarbeitern.

Hier dürfte für viele Systemhäuser und Lösungsanbieter das Tor zu diesem riesigen Markt liegen - auch wenn die öffentlichen Verwaltungen ihre Rechenzentren vollkommen unter eigener Regie betreiben. Zum Beispiel findet es mehr als die Hälfte sehr wichtig, dass die E-Government-Systeme durch externe Dritte überprüft und gewartet werden.

Grundlegend für fast alle Befragten (80 Prozent) sind zunächst einmal überregionale Standards und eine bundesweite E-Government-Strategie. Sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind, dürfte sich die virtuelle Verwaltung mittelfristig durchsetzen und allein in Deutschland das Tor zu einem Milliardenmarkt aufstoßen. (gn)

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