Die Vision der Distributoren

30.03.2000

Vor einem halben Jahr war die Verunsicherung in der Distribution noch groß: "Was passiert mit uns, wenn im Internet-Zeitalter alle Waren direkt vertrieben werden? Werden wir noch gebraucht? Wie verdienen wir dann noch Geld?" So lauteten die Fragen, die sich die Distributoren stellten. Heute sieht die Situation ganz anders aus. Jeder Großhändler, mit dem man spricht, rüstet sich für E-Business (siehe Interview mit Karl Pohler, Seite 12). Egal, welches Schlagwort angeführt wird - ob Fulfillment oder E-Commerce-Outsourcing -, das künftige Idealbild der Distributoren sieht so aus: Wenn alle Hersteller ihre Waren direkt über das Internet anbieten, brauchen sie jemanden, der die Ware vom Werk bis zum Endkunden transportiert. Sie brauchen jemanden, der persönlich mit dem Kunden spricht, wenn er Probleme mit dem Produkt hat, und der die Reparaturen ausführt. All das wollen die Distributoren in Zukunft leisten. Die Rollen ändern sich also. Die Lieferanten von heute werden morgen die Kunden sein, die sich diese Services einkaufen. Aus ihrer Angst haben die Großhändler eine Herausforderung gemacht.

Das Marktpotential scheint groß, denn alle Anbieter streben ins Netz und mehr oder weniger offen auf den Direktvertrieb zu. Die Kunden wollen direkt bei ihnen kaufen, so heißt es, oder möchten zumindest die Möglichkeit hierzu haben. Und spätestens seit viele online bestellte Weihnachtsgeschenke erst im Januar geliefert wurden, ist klar, dass so mancher Online-Shop seine Logistik nicht im Griff hat. Kurzum: Die Distributoren freuen sich, dass sie wieder eine Perspektive haben.

Doch ob der Rollenwechsel für sie so einfach wird, wie sie sich das vorstellen, ist fraglich. Schließlich gibt es heute schon genug Klagen der Distributionskunden über falsch gelieferte Waren, vergessene Komponenten und beschädigte Geräte. Ein guter Logistiker zu sein ist nämlich verdammt schwer. Davon können Fachhändler und Systemhäuser ein Lied singen. Bevor die IT-Großhändler also neue Unternehmensbereiche ausbauen, sollten sie erst einmal ihre Hausaufgaben machen und ihre Logistik optimieren.

Ein weiterer Punkt wird gern verschwiegen: Die Konkurrenz wird größer. Während sich die Distributionslandschaft in der IT-Branche in den vergangenen Jahren mächtig konsolidiert hat, so dass es heute im deutschen Markt nur noch drei, in den USA sogar nur noch zwei große Player gibt, müssen sich die IT-Großhändler heute mit neuen Konkurrenten auseinandersetzen, die mindestens so viel vom Logistik-Geschäft verstehen wie sie selbst. Denn Speditionsfirmen wie UPS oder die Deutsche Post wittern natürlich ebenfalls das große Geschäft als Dienstleister für E-Commerce-Unternehmen. Eine Allianz mit einem solchen Unternehmen einzugehen, was Computer 2000 vorhat, ist also sinnvoll. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass zwei amerikanische Speditionsfirmen vor einigen Monaten als mögliche Käufer für Ingram Micro gehandelt wurden.

Ingrid Schutzmann

ischutzmann@computerpartner.de

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