Die Zukunft der Systemhäuser

20.02.2003
Der Umbruch der IT-Branche zwingt auch Systemhäuser, die eigene Wertschöpfung neu zu definieren. Dr. Kay Hradilak* ist sich sicher: Wer den Weg zum Systemarchitekten beschreitet, dem bleibt der Gang zum Insolvenzrichter erspart.

Systemhäuser entstanden, als Anfang der 80er-Jahre die PC-Revolution das Computergeschäft für "schraubende" Einzelunternehmer öffnete und die Hersteller begriffen, dass insbesondere das PC-Geschäft ohne lokale Vertriebs- und Servicepartner nicht wirtschaftlich darstellbar war.

Ein weiterer Anschub kam mit der "Windows-Welle" Anfang der 90er-Jahre, aber auch mit dem Ausstieg erfahrener Verkäufer und Manager aus den Herstellerorganisationen. Sie machten sich mit Business-Computing-Skills und -Kontakten selbstständig, was teilweise auch durch Hersteller-Restrukturierungen, wie zum Beispiel bei IBM Anfang der 90er-Jahre, forciert wurde.

Der Markt wuchs und gedieh, die "Sättigung" wurde insbesondere durch technologische Sprünge und Trendwenden (Client/Server-Computing, Windows NT und andere) immer wieder vermieden.

Das "gute alte" Geschäftsmodell

Im "guten alten" Geschäftsmodell fanden die Systemhäuser ihren Platz in einer dreigeteilten Welt: Die Hersteller entwickelten und produzierten die Computersysteme und betreuten ausgewählte Kunden direkt. Die Distributoren übernahmen die Warenhaus- und Grossistenfunktion. Die Systemhäuser wiederum betreuten die Kunden, welche die Hersteller ihnen überließen respektive überlassen mussten. Darüber hinaus waren die Systemhäuser im hohen Maße Assemblierer, Lageristen, Repair-Shops und sogar Spediteure.

Gestützt auf ein stabiles Wachstum und auf aus heutiger Sicht traumhafte Hardwaremargen konnten die Systemhäuser damit gut Geld verdienen.

Was hat sich geändert?

Die Rahmenbedingungen für die "alten" Systemhäuser haben sich extrem verschlechtert: Die Umsätze stagnieren, und die Margen brechen ein. Hersteller streichen ihre Bonus- und Incentives-Programme zusammen. Eine Reihe von Sys-temhäusern ist durch Lagerüberbestände und zu hohe Vertriebs- und Backoffice-Kosten existenziell bedroht.

Hierfür verantwortlich gemacht werden sowohl Überkapazitäten, die infolge des "E-Anything" und "Y2K"-Booms installiert wurden, als auch die aktuell schlechte Wirtschaftslage. Diese Faktoren verstärken jedoch nur auf unglückliche Weise einen grundlegenden Wandel im IT-Infrastrukturgeschäft - die Kommodisierung der IT-Infrastruktur.

Computersysteme werden zu ei-ner immer leichter austauschbaren Ware mit immer geringeren Alleinstellungsmerkmalen und müssen zudem stetig mehr Leistung für immer weniger Geld bieten.

Die Kommodisierung verändert das Computergeschäft fundamental:

- Im Client-Bereich sinken die Stückpreise pro Jahr um mehr als zehn Prozent. Da gleichzeitig die Standard-Hardwareausstattung den Leistungsbedarf der notwendigen Bürosoftware bei weitem überholt hat, können die Ersatzzyklen auf vier bis fünf Jahre verlängert werden.

- Im Server-Bereich dringen deutlich kostengünstigere NT-Server immer weiter in die Leistungsbereiche von proprietären Unix-Servern vor, NT-Workstations lösen mit drastischen Preisvorteilen Unix-Workstations ab. Mit Linux bahnt sich eine weitere Low-Cost-Alternative an.

- Im Storage-Bereich werden Technologievorsprünge nivelliert. Der Margeneinbruch bei EMC ist nicht nur auf die Marktstagnation, sondern auch auf das Vordringen von Konkurrenzprodukten in das Highend-Segment zurückzuführen.

Es zeichnet sich eine Zukunft ab, in der Computersysteme, ganz gleich ob Clients oder Server/Storage-Systeme, "Boxen" mit weit-gehend vergleichbaren Standard-Eigenschaften sein werden. Zu hoffen, dass die "gute alte" Welt in 2003 oder 2004 mit den anstehenden Ersatzinvestitionen und einer wieder anlaufenden Wirtschaft zurückkehrt, wäre deshalb naiv und letztendlich unternehmerisch fahrlässig.

Dell ante portas

Mit der Kommodisierung wird das traditionelle Geschäftsmodell "Hersteller produzieren (teure) Computer, Distributoren lagern sie, und Systemhäuser verkaufen sie" im höchsten Maße angreifbar. Der "Wertgehalt" der klassischen Wertschöpfungskette des Computergeschäftes wird zusehends "ausgequetscht".

Dell ist das Unternehmen, das sich die Kommodisierung der Computer bisher am konsequentesten zunutze macht und damit ein neues Geschäftsmodell wesentlich prägt. Dells erster Erfolg war die Kommodisierung des PC-Geschäfts. Hierzu gehören der Direktvertrieb mit frühzeitiger Nutzung von Internet und Call-Centern, ein konsequentes Build-to-Order sowie der Komponentenbezug über Spot-Märkte. Mit erheblichen Preis-Leistungs-Vorteilen und einer deutlich schlankeren Kostenstruktur gewinnt Dell kontinuierlich Marktanteile und verdient noch bei Preisen angemessen Geld, bei denen andere Wettbewerber draufzahlen müssen.

Das gleiche Erfolgsrezept wendet Dell nun auf das Enterprise Computing an. Dell setzt mit aller Entschlossenheit auf die Kommodi-sierung der Server/Storage-Landschaft und damit auf Wachstum durch Verdrängung in stagnierenden Märkten mit dahinschmelzenden Margen.

Die Klagen über das "parasitäre" Verhalten von Dell hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungsbemühungen der Branche helfen nicht. Dells Erfolg ist eher ein Indiz, dass der Markt nicht mehr bereit ist, bestimmte Prämien für proprietäre Innovationen zu zahlen. Der Dell-Vorstoß in das Enterprise-Segment sollte bei allen Unzulänglichkeiten in der aktuellen Umsetzung nicht belächelt werden: Dell steht bei seinem Vorstoß am Anfang und hat machtvolle Technologietrends hinter sich.

Hersteller in der Zwickmühle

Die traditionellen Hersteller wie HP oder IBM befinden sich in einer schwierigen Situation. Wollen sie ihre Stammkunden erhalten, so müssen sie selber ihr Unix-Geschäft und dessen hohe Margen kannibalisieren. In dem wachsenden Intel-basierenden Enterprise-Geschäft wiederum werden die Preise in hohem Maße von Dell bestimmt. Die traditionellen Hersteller verfolgen eine Reihe von Auswegen aus diesem Dilemma:

- Halten des technologischen Vorsprunges: Intensiv wird daran gearbeitet, den Performance- und Verfügbarkeitsvorsprung von Highend-Unix- und M/F-Systemen auszubauen, um damit weiterhin die höheren Preise (und Margen) rechtfertigen zu können. Ohne Zweifel werden Highend-UnixSysteme ihre Bedeutung für Spitzen-Installationen behalten, aber ihr Marktanteil wird weiter zurückgehen, da die wirtschaftlich angemessenen Anforderungen an das Business Critical Computing immer mehr auch von Intel-basierenden Standardsystemen erfüllt werden. Kurzum: Der technologische Vorsprung stabilisiert Margen, aber entscheidet nicht die Schlacht.

- Plattformanbieter für Computing on Demand: Sowohl IBM und HP als auch Sun entwickeln Lösungen, um Rechenleistungen "aus der Steckdose" beziehungsweise aus dem Netz anzubieten. Damit würden sie den Wettbewerb von der "Blechebene" auf die Ebene integrierter Dienstleistungen (Sys-tembereitstellung und -management, Web-Services, gegebenenfalls Application Service Providing) heben. Dieses Geschäftsmodell wird jedoch voraussichtlich erst in mehreren Jahren Marktbedeutung erlangen.

- Service-Diversifikation: Die Her-steller bauen ihr Servicegeschäft aus, und dies insbesondere in Infrastruktur-fernen Bereichen. Am konsequentesten (und erfolgreichs-ten) ist hier bisher IBM, das be-reits vor der Übernahme von PWC mehr als 60 Prozent des Umsatzes im Servicebereich erwirtschaftete. Dieses Vorgehen verringert die Abhängigkeit vom Hardwaregeschäft, ermöglicht gegebenenfalls sogar später nach erfolgreicher Diversi-fikation den Ausstieg, aber beantwortet nicht die Herausforderungen in diesem Geschäftsfeld.

- Ausbau Direktgeschäft: Ein weiterer Weg für Hersteller ist der Ausbau des Direktgeschäfts. Erfolgt dies jedoch in klassischer Weise, so ist der Preis für den Wegfall von Channel-Kosten der Aufbau eigener, dann fixer Distributions- und Vertriebskosten. Geschieht es "Dell-like", dann kopiert man letztendlich, und es ist fraglich, ob der Erfahrungsvorsprung von Dell in seinem gesamten Geschäftssystem kurzfristig aufgeholt werden kann.

Distributoren am Scheideweg

Auch die Distributoren müssen sich energisch und grundlegend ändern. Der Dell-Vormarsch, aber auch die Ansätze traditioneller Hersteller in Richtung Direktgeschäft gefährden ihre Marktposition. Die Kommodisierung erhöht das Lagerrisiko. Innovative Distributoren wie Tech Data oder Actebis/Peacock sind schon seit Jahren dabei, sich vom Grossisten zum Logistik- und Value-Chain-Experten zu entwickeln: Hierzu gehören das Angebot von Assemblierungs- und Logistikleistungen (BTO, Versand im Namen Dritter) und die Verzahnung der ERP-Systeme mit ihren Kunden mittels EDI oder XML. Eine Vision dieser Distributoren ist es, das "logistische Rückgrat" des Infrastruktur-Geschäftes zu werden.

Die Kommodisierung erleichtert den Distributoren auch den Eintritt in das Endkundengeschäft gerade in den Warenkorb-Situationen von Großkunden. Mittelfristig würden die Distributoren jedoch zu preisgetriebenen Anbietern erbarmungsloser Spot-Märkte werden.

Eine weitere Option für Distributoren ist, die Kommodisierung durch Selbstassemblierung und Eigenmarken selbst aktiv voranzutreiben. Jedoch auch hier stellt sich sofort die Frage nach den mittelfristigen Differenzierungschancen für die Distributoren.

Systemhäuser müssen sich selbst neu erfinden

Die heutigen Systemhäuser sind im Kern Handelsunternehmen, die zusehends trotz ihrer Hightech-Warenkörbe in einem Commodity-Geschäft gefangen sind. Sie müssen erleben, dass eine Vielzahl der von ihnen angebotenen Leistungen deutlich schlechter als noch vor wenigen Jahren vom Markt honoriert wird. Dahinter steht eine massive Entwertung traditioneller Kernkompetenzen von Systemhäusern. Hardwarevertrieb, Assemblierung, Lagerung/Transport oder Repair-Services sind offensichtlich deutlich weniger "wert" als noch vor wenigen Jahren.

Wollen die Systemhäuser in diesem spannenden Geschäft auch weiterhin bestehen und gedeihen, so müssen sie sich und ihr Geschäft neu erfinden. Marktkonsolidierung und Größengewinn allein reichen hierfür nicht aus. Größe schafft zwar Einkaufsvorteile und besseren Zugang zu Großprojekten. Aber Margenvorteile im Hardwaregeschäft, die zudem begrenzt sind, werden nicht über die Zukunft entscheiden. Größe wird zudem oftmals mit schwer beherrschbarer Komplexität bezahlt (siehe T-Systems). Und: Selbst die größten Systemhäuser haben wohl nicht die kritische Masse, um als Assemblierer und Logistiker gegen die immer weiter ausgebauten Logistiksysteme der großen Distributoren und der Hersteller zu bestehen.

Architekten und Manager

Die entscheidende Wertschöpfung der Systemhäuser der Zukunft werden vielmehr Management- und Architekturleistungen sein. In Zukunft werden Systemhäuser vor allem dafür bezahlt,

- komplexe IT-Infrastrukturen managebar zu konzipieren,

- Integrationsprojekte im Rechenzentrum und in dezentralen Client/Server-Strukturen in Bezug auf Zeit, Budget und Funktionali-tät zu managen und zu realisieren sowie

- Managed Services und Onsite-Dienstleistungen für produktive Infrastruktur-Umgebungen verlässlich zu erbringen

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die "neuen" Sys-temhäuser werden weiterhin mit dem Computerhandel einen Großteil ihres Umsatzes realisieren, denn das "Fulfillment" gehört untrennbar zum Geschäft. Aber die Wertschöpfung verschiebt sich radikal vom "Blech" zum Management und zur Architektur.

Gewiss treten die Systemhäuser mit dem Anspruch, die gesamte Infrastruktur-Wertschöpfungskette zu managen, in Wettbewerb mit den traditionellen Herstellern. Die Crux aber ist: Als Systemarchitekten generieren die Systemhäuser Projektgeschäft, das zu wettbewerbsfähigen Preisen im weitaus besseren Maße als der "Dell-Way" managebare und hochverfügbare Infrastrukturen schaffen kann.

Traditionelle Hersteller sollten Systemhäuser nicht als "Abladestationen" das für B- und C-Geschäft sehen. Der Channel ist in der kommodisierten Computerwelt nicht mehr "nur" ein Vertriebsweg, den man je nach Opportunität fördert oder links liegen lässt. Die Architektur- und Managementleistung der neuen Sys-temhäuser, gepaart mit ihren im Vergleich zu den Herstellern schlanken Vertriebsstrukturen und ihrem unternehmerischen Biss, werden für Hersteller zu unerlässlichen Differenzierungsfaktoren, um sich gegenüber Dell und anderen Wettbewerbern behaupten zu können. Traditionelle Hersteller sollten im ureigensten Interesse die Entwicklung von Sys-temhäusern zu Systemarchitekten zulassen und einfordern.

Die Wertschöpfungskette von Systemarchitekten

Systemarchitekten haben eine grundsätzlich andere Wertschöpfungskette als "alte" Systemhäuser:

- Sie richten den Vertrieb auf den Gewinn der Architekturverantwortung für die Server- und ClientInfrastrukturen ihrer Kunden aus (und nicht mehr vordergründig auf den "Blechverkauf").

- Sie outsourcen mit aller Kon-sequenz nicht optimal beherrschbare Funktionen wie Assemblierung, Lagerhaltung/Logistik und Repair-Services an Partner wie beispielsweise Hersteller, Distributoren und andere.

- Sie elektronifizieren radikal die Datenflüsse in der Logistikkette insbesondere mit Herstellern und Distributoren.

- Sie treiben die Paketierung ihrer Dienstleistungsangebote voran und besetzen mit Nachdruck die jeweiligen Top-Themen der Infrastruktur-Integration.

Wellenreiter

Kurzum, Systemarchitekten stemmen sich nicht gegen die Flut der Kommodisierung, sondern reiten auf der Wellenspitze mit. Sie minimieren dort ihre Prozesskosten, wo die Wertschöpfung durch Partner besser erbracht wird, und konzentrieren sich auf die Management- und Architekturleistung. Die Zukunft der heutigen Systemhäuser hängt nicht von ihrer Größe ab, sondern von der Schnelligkeit und Entschlossenheit ihres Wandels zu Systemarchitekten.

Systemhäusern, denen der Wandel zum Systemarchitekten gelingt, werden nicht nur den weiteren Margen- und womöglich auch Volumenverfall im Computergeschäft überstehen. Sie werden auch auf Dauer wichtige, innovative Mitgestalter in diesem spannenden Geschäft bleiben. Hiervon werden nicht nur Kunden, sondern auch Hersteller und Distributoren profitieren.

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