"Dienst nach Vorschrift" - was heißt das eigentlich?

08.09.2006

Gallup GmbH

Geschäftsführung

Herrn Gerald Wood

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München, 11.09.2006

Sehr geehrter Herr Wood,

jedes Jahr führt Gallup unter deutschen Arbeitnehmern diese Umfrage durch, und wenn die Ergebnisse veröffentlicht werden, fühlen wir uns immer ganz schlecht. So wie in diesen Tagen wieder. Fast ein Fünftel der Beschäftigten hat, wie Sie herausgefunden haben wollen, innerlich gekündigt, zwei Drittel (68 Prozent) leisten "Dienst nach Vorschrift", und nur 13 Prozent engagieren sich besonders stark für die Unternehmen, bei denen sie angestellt sind. Was schließen wir daraus? Die deutschen Arbeitnehmer - ein Volk von Faulenzern und Drückebergern!

Mit Verlaub, sehr geehrter Herr Wood, das ist Mumpitz! Zwei Drittel der Arbeitnehmer, schreiben Sie, machen "Dienst nach Vorschrift". Sie schreiben sogar: Zwei Drittel machen "nur" Dienst nach Vorschrift. Ich frage Sie: Wieso "nur"?

Was bedeutet eigentlich der Ausdruck "Dienst nach Vorschrift"? Nach der Definition von Wikipedia bezeichnet "Dienst nach Vorschrift" ein "Verhalten, bei dem die Beschäftigten zwar ihren Arbeitsplatz nicht verlassen, bei ihrer Tätigkeit aber nur die für sie geltenden Anweisungen umsetzen oder Dienstvorschriften anwenden". Weitere Elemente dieser Definition sind der völlige Mangel an Eigeninitiative und Engagement. Sehr geehrter Herr Wood, dass zwei Drittel der deutschen Arbeitnehmer nach dieser Definition "Dienst nach Vorschrift" betreiben, glauben Sie doch selber nicht. Das entspricht nicht annähernd der Wirklichkeit in deutschen Unternehmen. Schauen Sie sich doch bitte in Ihrem eigenen Betrieb um: Machen wirklich zwei von dreien Ihrer Mitarbeiter in diesem Sinne Dienst nach Vorschrift? Oder ist Gallup die große Ausnahme?

Ihr Untersuchungsergebnis wird allenfalls dann plausibel, wenn man die Redewendung "Dienst nach Vorschrift" anders definiert. Nämlich etwa so: "Dienst nach Vorschrift" leistet ein Arbeitnehmer, wenn sein Arbeitseinsatz und sein Arbeitsergebnis dem entsprechen, wozu er sich in seinem Arbeitsvertrag verpflichtet hat. Arbeitnehmer also, die in diesem Sinne "Dienst nach Vorschrift" machen, tun nichts anderes, als ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu genügen. Genauso wie Unternehmen ihren Teil des Arbeitsvertrages erfüllen, indem sie die Gehälter pünktlich überweisen. Auch hier könnte man analog von "Gehaltsüber- weisung nach Vorschrift" sprechen.

Wie auch immer: Das Ergebnis Ihrer Studie ist viel besser, als Sie es darstellen: 82 Prozent der befragten Angestellten erfüllen ihre Arbeitsverträge, 13 Prozent von ihnen leisten sogar mehr, als in den Verträgen festgelegt ist. Lediglich die 18 Prozent, die - so zumindest das Ergebnis Ihrer Studie - ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen, sind ein Problem. Alles in allem sind die deutschen Arbeitnehmer nicht so schlecht, wie man nach der Lektüre Ihrer Studie meinen könnte.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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