Digitale Barrierefreiheit - Warum sich Unternehmen darum kümmern sollten

07.10.2019
Von Markus Lemcke
Menschen können aufgrund körperlicher Einschränkungen oder zunehmenden Alters Probleme haben beim Bedienen von Webseiten, Programmen und Betriebssystemen. Digitale Barrierefreiheit bietet ihnen bessere Möglichkeiten.

Laut Webseite des statistischen Bundesamts gibt es in Deutschland 10,2 Millionen Menschen mit Behinderungen. Davon sind 7,8 Millionen Menschen schwerbehindert, das bedeutet sie haben einen Grad der Behinderung von 50 oder mehr. Menschen mit Behinderungen können aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen Probleme haben beim Bedienen von Webseiten, Programmen und Betriebssystemen.

Auf der Webseite von Statista ist zu lesen, dass es in Deutschland 17,5 Millionen Senioren gibt. Senioren können aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters körperlich eingeschränkt sein.

Somit gibt es in Deutschland 25,3 Millionen Menschen, die an digitaler Barrierefreiheit interessiert sind.

Was ist digitale Barrierefreiheit überhaupt?

Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass Webseiten, Software und Betriebssysteme so entwickelt werden, dass sie von Menschen mit Behinderungen oder anderen körperlichen Einschränkungen bedient werden können.

Bevor es um Informatik geht, möchte ich ein paar Fragen stellen, die für dieses Thema wichtig sind:

Beim Thema digitale Barrierefreiheit geht es um mehr als nur um das Umsetzen von Richtlinien unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit. Digitale Barrierefreiheit ist die bewusste Entscheidung, mitzuhelfen, dass Menschen mit Behinderungen eine bessere Lebensqualität erreichen können.

Rechtliches und gesellschaftliche Entwicklungen

Seit 1. Mai 2002 gibt es ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen. In § 12a Barrierefreie Informationstechnik Absatz 7 werden Unternehmen dazu aufgefordert, ihre Webseiten, Programme und Apps barrierefrei zu machen.

Eine Aufforderung bedeutet allerdings, dass die Unternehmen dazu gesetzlich nicht verpflichtet sind und somit auch rechtlich nicht belangt werden können, wenn sie es nicht tun.

Im Jahr 2008 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Im Abschnitt Barrierefreiheit steht, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht darauf haben, dass Webseiten, Programme und Apps barrierefrei entwickelt werden.

Die Inklusion wird ebenfalls in der UN-Behindertenrechtskonvention beschrieben. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderungen in den gleichen Kindergarten gehen, in die gleiche Schule gehen und im Berufsleben zusammen arbeiten im gleichen Unternehmen. Wenn beispielsweise ein sehender Mensch und ein Mensch, der blind ist, mit der gleichen Textverarbeitung arbeiten sollen, ist es zwingend notwendig, dass die Textverarbeitung barrierefrei entwickelt wurde.

Für weltweit tätige Unternehmen ist Barrierefreiheit selbstverständlich. Tim Cook, Chef von Apple, sagt in einem Youtube-Video zum Global Accessibility Awareness Day , dass Barrierefreiheit für Apple ein Menschenrecht ist. Außerdem erklärt Cook, dass es ihm wichtig ist, dass alle Menschen Apple-Produkte nutzen können.

Google erklärt in einem Youtube-Video: Produkte für Menschen mit Behinderungen herzustellen kann allen Nutzern zugutekommen.

Microsoft schreibt auf seiner Webseite: "Microsoft möchte seine Produkte und Dienste für alle Menschen entwickeln." Dies schließt die ungefähr 1,2 Milliarden Menschen mit Behinderungen ein, die es weltweit gibt.

Bei Daimler heißt es auf der Webseite: "Barrierefreiheit (engl. "accessibility") ist nach ISO/TS 16071 (ISO, 2003) eine Erweiterung von Usability."

Diese Auflistung zeigt, dass die digitale Barrierefreiheit bei den globalen Unternehmen schon lange angekommen ist. Jedoch ist es allen Unternehmen zu empfehlen, digitale Barrierefreiheit umzusetzen.

Digitale Barrierefreiheit bei Internetseiten

Inhaber von Webshops sollten sich unbedingt mit dem Thema digitale Barrierefreiheit beschäftigen. Die Europäische Unionmöchte ebenfalls, dass Webseiten barrierefrei gestaltet werden, und die EU-Richtlinie soll dafür sorgen, dass auch Webshops barrierefrei gemacht werden.

Für Menschen mit Behinderungen, aber auch für viele Senioren, ist Einkaufen im Internet sehr viel einfacher als das Einkaufen in einem Geschäft. Das Haus zu verlassen, zum Geschäft zu kommen und mit vollen Einkaufstaschen wieder nach Hause zu gelangen ist für viele Menschen mit körperlichen Einschränkungen sehr beschwerlich. Oft haben Rollstuhlfahrer oder Menschen mit einer Gehbehinderung erhebliche Probleme, einen Parkplatz in der Nähe der Geschäfte zu finden. Deshalb kaufen diese Menschen lieber online ein.

Blinde Menschen können keine Computermaus bedienen. Für sie ist es sehr wichtig, dass Online-Shops komplett per Tastatur bedienbar sind. Blinde Menschen lassen sich alles vorlesen vom Screenreader, den es kostenlos im Internet gibt. Bilder lassen sich nicht lesen - für sie müssen daher in einem Webshop Alternativtexte vorhanden sein, die grob beschreiben, was auf einem Bild zu sehen ist.

Menschen mit einer Farbfehlsichtigkeit haben Probleme, wenn zwischen Hintergrundfarbe und Schriftfarbe zu wenig Farbkontrast auf der Webseite vorhanden ist. Man kann den Farbkontrast prüfen mit dem Colour Contrast Analyser, den es kostenlos im Internet gibt.

Wenn Text in einem Webshop zu klein geschrieben ist, haben Menschen mit einer Sehbehinderung oder einer altersbedingten Seheinschränkung Probleme, den Text zu lesen. Deswegen sollten Webshops so gestaltet sein, dass Besucher den Text mit Hilfe des Browsers vergrößern können.

Alle Kriterien, die erfüllt werden müssen, damit ein Online-Shop in Deutschland barrierefrei ist, stehen in der BITV 2.0. Letztlich bringt digitale Barrierefreiheit bei Webseiten und Webshops ja auch mehr Webseiten-Besucher und somit auch mehr potenzielle Kunden.

Digitale Barrierefreiheit bei Software

Softwareunternehmen sollten sich ebenfalls um digitale Barrierefreiheit kümmern. Da blinde Menschen keine Computermaus bedienen können, muss die Software komplett per Tastatur bedienbar sein. Für Softwareentwickler ist dies eine harte Anforderung, weil es seit Jahren üblich ist, dass Software per Maus bedient wird. Jedoch profitieren auch Menschen ohne Behinderung davon, wenn eine Software nur per Tastatur bedienbar ist. Ist die Maus oder das Mauspad kaputt, kann die Software weiter per Tastatur bedient werden.

Oberflächen von Software müssen mit Texten beschrieben werden. Die Vorlesesoftware Screenreader kann blinden und sehbehinderten Menschen nur dann die Programmoberfläche vorlesen, wenn diese mit Texten beschrieben wird. Wenn eine Programmoberfläche keine Texte für Screenreader hat, bleibt die Vorlesesoftware stumm. Das bedeutet, die Software kann von blinden Menschen nicht bedient werden. Noch immer gibt es viel zu wenig Software, die screenreader-tauglich ist. Das bedeutet, dass blinde Menschen eine sehr viel geringere Auswahlmöglichkeit an Software haben wie sehende Menschen. Ein Zustand, der sich ganz dringend ändern muss.

Menschen mit einer Sehbehinderung können Probleme haben, wenn nicht erkennbar ist, welches Bedienelement gerade aktiv ist. Ein Textcursor, der nur als senkrechter Strich in einem Eingabefeld dargestellt wird, ist für Menschen mit Sehbehinderung schwer zu erkennen. Dieses Problem beispielsweise kann gelöst werden, wenn die Hintergrundfarbe des aktiven Bedienelements Gelb ist.

Individualisierbarkeit bei Software ist eigentlich ein Begriff aus der Benutzerfreundlichkeit (engl. "usability"), spielt aber bei Barrierefreiheit eine ebenso große Rolle.

Menschen, die behinderungsbedingt nur eine Hand zum Bedienen einer Software einsetzen können, haben Probleme mit dem Ausführen von Tastenkombinationen. Zur Individualisierbarkeit bei Software gehört, dass Nutzer vorgegebene Tastenkombinationen ändern können.

Menschen mit einer Farbfehlsichtigkeit sollten die Möglichkeit haben, innerhalb der Software Farben zu ändern.

Fazit

Es gibt sehr viele unterschiedliche Gründe, warum sich Unternehmen mit der digitalen Barrierefreiheit beschäftigen sollten. Der Hauptgrund ist, dass es sich lohnt, Webseiten, Webshops und Software zu entwickeln, die für Menschen mit und ohne Behinderung bedienbar sind und diese Menschen damit sowohl in das Arbeitsleben einzubinden als auch ihnen die technischen Möglichkeiten zu bieten, die für alle anderen ganz selbstverständlich sind.

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