E-Commerce bei Apple und Compaq: Äpfel hier und Birnen da

20.03.1998

MÜNCHEN: Obwohl sowohl Apple als auch Compaq in den USA erfolgreiches Direktgeschäft via Internet betreiben, vertreten beide Konkurrenten eine völlig unterschiedliche Interpretation dieses Erfolgs: Für Apple ist es der Markt der Zukunft, für Compaq nur einer von vielen.Daß der PC-Markt unter Druck steht, ist bei weitem nichts Neues. Interessant aber ist, wer den meisten Druck erzeugt. Die Probleme der großen Retailer Escom (inzwischen Teil von Comtech) und Vobis (Verluste im ersten Quartal 1998) deuten daraufhin, daß der Markt eine neue Wendung nimmt. Die Erfolgsmeldungen kommen von Dell und Gateway, den beiden wichtigsten Direkt-Anbietern, die sich mit ungebremstem Elan auf Europa stürzen. Dells europäischer Statthalter Jan Gesmar-Larsen erwartet eine Verdoppelung der Kapazitäten in den beiden irischen Build-To-Order-Werken noch in diesem Jahr.

Dell setzt dabei auf eine markante Innovation: Direktvertrieb via Internet. 50 Prozent des Gesamt-Umsatzes sollen bereits 1999 aus dem Internet generiert werden. Im abgelaufenen Weihnachtsgeschäft fuhr man zu Spitzenzeiten über eine Million Dollar täglich via World Wide Web ein, insgesamt liegt das Online-Ergebnis bei nunmehr rund drei Milliarden Dollar. Larsen läßt auch keinen Zweifel daran, daß Europa für ihn ein Schlüsselmarkt ist: "Im letzten Geschäftsjahr stieg unser Umsatz in Europa um 47 Prozent." Der deutsche Markt verzeichnete nach Angaben von Geschäftsführer Hans-Jürgen Mammitzsch sogar ein Wachstum von 76 Prozent. Unter Druck geraten natürlich die etablierten Channel-Anbieter, allen voran Compaq. Auch wenn Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer - siehe Tandem- und Digital-Übernahme - bereits seit geraumer Zeit die Geschäftsfelder vom Consumer-PC wegbewegt, hin zu Mission-Critical Anwendungen im Banksektor, hin zu Enterprise-Computing und Server-Geschäft, so ist der Markt für Endkunden-PCs immer noch das Sahnehäubchen im Tagesgeschäft von Compaq. Insbesondere angesichts jüngster Verluste im Geschäftskunden-Segment, die den geplanten Quartals-Gewinn von 500 Millionen Dollar auf null reduzierten, hat der PC-Verkauf an Endkunden eine enorm hohe Bedeutung.

Auch Compaq-Zukauf Digital verkauft via Internet

Und in diesem Geschäft gelten inzwischen neue Gesetze. Der Endkunde erwartet, daß er sich seine individuelle PC-Konfiguration selbst erstellen kann. Das Spielen mit verschiedenen Konfigurationen geht nun mal im Internet einfacher als am Laden-Tresen, wiewohl das nur für Kunden gilt, die wissen, was sie wollen. Für die - und deren Zahl wächst rapide - ist der Komfort der Heimbestellung verbunden mit möglichen Preisvergleichen allemal den Verzicht auf Beratung wert. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Order eben auch entlegenste Winkel eines Landes erreicht und zu jeder Tageszeit abgegeben werden kann.

All das führte bekanntermaßen zu Compaqs neuer Vermarktungsstrategie, die dem Direktvertrieb entgegen früheren Beteuerungen einen Platz einräumt. Er gilt intern bei Compaq bereits als der "vierte Kanal". Pfeiffer erhob den Electronic Commerce auf der Jahrespressekonferenz in München gar zur dritten strategischen Größe nach dem Enterprise- und Systemgeschäft, sowie dem Server-Business. Erst dahinter rangiert das im Sommer so gefeierte Optimized-Delivery-Modell, das natürlich auf einer Build-To-Order-Produktion fußt. An fünfter Stelle rangiert der optimierte Service.

Schon 1996 eröffnete Compaq auf seiner Web-Site den direkten Online-Handel; zwar nur für den amerikanischen Markt und auch nur mit wenigen, ausgewählten Produkten, aber immerhin. "Wir verdienen zusammen mit den vier wichtigsten amerikanischen Händlern schon heute rund vier Millionen Dollar täglich im Web," klopft sich Pfeiffer an die Brust.

Auch die Übernahme Digitals paßt glänzend in dieses strategische Gerüst. Das Unternehmen setzte im abgelaufenen Jahr knapp eine Milliarde Dollar im Direktvertrieb via Internet um. Die Marke Altavista ist heute für Digital längst mehr als eine Suchmaschine. Unter dem gleichen Label werden auch Firewalls, Server-Software und andere eigenständige Internet-Produkte vertrieben. Pfeiffer dazu: "Altavista ist ein hervorragendes Produkt. Wir sehen jede Menge Möglichkeiten, das weiter zu entwickeln."

Wenn Pfeiffer die Online-Aktivitäten des Handels in den Staaten mit in seine persönliche Kalkulation aufnimmt, ergreift er die Flucht nach vorn. Gerade der Handel, insbesondere die großen Ketten, setzen Compaqs Online-Laden unter Preisdruck. Die gleichen Produkte werden aus Rabatten heruntersubventioniert und billiger vertrieben, als Compaq sie selbst anbietet. Soll der Internet-Verkauf erfolgreich sein, muß Pfeiffer da mithalten.

Die meisten großen amerikanischen Ketten haben den Trend erkannt und kräftig vorangetrieben. Einer Studie von Forrester Research zufolge wird sich der private E-Commerce in den USA von 2,4 Milliarden Dollar 1997 auf 4,8 Milliarden verdoppeln. Bis zum Jahre 2001 sollen es dann 17,3 Milliarden werden. Teile des Handels mischen kräftig mit. Der amerikanische Retail-Sektor verbuchte im letzten Jahr die höchsten Entlassungsquoten aller Branchen. Egghead Computer schloß allein 80 Filialen und verkauft jetzt nur noch online.

Freilich läßt sich dieser für manche düstere Trend nicht 1:1 auf Deutschland übertragen. Der Endkunde erzeugt nicht diese starke Volatilität, das Absatz-Portefeuille des amerikanischen Handels ist aber wesentlich enger als hierzulande. Gleichzeitig kümmern sich die amerikanischen Hersteller direkt um den Produkt-Support. Die Kistenschieber werden weitgehend ausgeblendet. Dennoch: Der Trend ist unverkennbar. Früher oder später werden die meisten Hersteller ihre Produkte auch online verkaufen. Ob dabei die Handelsstrukturen aufrecht zu erhalten sind, hängt in hohem Maße vom Handel selbst ab. Unterdessen hält man sich bei Compaq bedeckt. Die deutsche Pressestelle war nicht zu Aussagen zu bewegen. Die deutsche Geschäftsführerin Gerrit Huy lehnt einen direkten Online-Vertrieb auch in Deutschland energisch ab. Internet-Distribution solle nur Großkunden und Händlern zugute kommen. Man wolle mit Händlern gemeinsam Online-Stores aufbauen und auch für Kunden Auftritte realisieren; ähnlich, wie Hewlett-Packard das mit dem Buchgrossisten Libri verwirklicht hat.

Huys oberster Boß hingegen relativierte vor der Fachpresse in München sogleich die Endgültigkeit der Aussage seiner deutschen Statthalterin. In Deutschland sehe man das Thema Kanäle zu eng, belehrte Pfeiffer. Man müsse umdenken. Innovative Vertriebslösungen seien gefragt, um im Wettbewerb eine gute Figur abzugeben. Im Klartext: Hinter den Kulissen rauchen die Compaq-Köpfe auf der Suche nach einer Strategie, wie sich Electronic Commerce in Deutschland und Europa einführen läßt, ohne dem Handel auf den Schlips zu treten. Die Internet-Ausrichtung liegt auf Pfeiffers Marschroute. Systematisch hat er in den letzten Jahren alle Vertriebskanäle ausgebaut. Zuerst ging er in die Warenhäuser, dann zum Katalogversand und schließlich ins Telemarketing.

Einer der Konkurrenten im PC-Markt ist Apple. Die Firma von Steve Jobs ist auf dem Weg der Besserung. Nach erneuten empfindlichen Verlusten im abgelaufenen Geschäftsjahr 1997, erzielte die Firma im ersten Quartal 1998, das am 26. Dezember endete, einen Gewinn von 47 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 1,6 Milliarden. Dabei verkaufte die Mac-Company 635.000 Rechner. Allerdings war in diesem Quartal das Weihnachtsgeschäft bilanziert, in dem Apple traditionell eine gute Figur abgibt. Im Gegensatz zur Diversifikationsstrategie von Compaq fährt Jobs eine Konzentrationstaktik. Die Drangabe des Newton löste Proteststürme verunsicherter Kunden und Händler aus, die um den Support für die Produkte fürchten. Das lange angekündigte Internet-Terminal Pipin bleibt eine Totgeburt.

Apples G3 als Online-Verkaufsschlager

Statt dessen setzt man bei Apple konsequent auf das neue Betriebssystem Rapsody und auf den G3, Apples neuen Wunder-Mac, der mit hervorragenden Performance-Werten sowie - eine Neuheit bei Apple - mit einem konkurrenzfähigen Preis-Leistungs-Verhältnis aufwarten kann. Und: Auch Apple setzt auf Online-Verkauf. Als Apple am 10. November des letzten Jahres die Pforten zum Online-Shopping und damit zum Direktvertrieb öffnete, war sich die Fachpresse einig: Apple klammert sich an den letzten Strohhalm. Die Zyniker verstummten schnell: Innerhalb der ersten zwölf Stunden setzte der Online-Store eine halbe Million Dollar um. Bis Ende Dezember waren es 15 Millionen Dollar, generiert aus 46 Millionen Hits. Insgesamt wurden im ersten Geschäftsquartal 3.000 Aufträge an die Build-To-Order-Fertigung aus dem Internet abgegeben. Hochgerechnet ergäbe das einen Jahresumsatz in der Größenordnung von 150 Millionen Dollar, was freilich ziemlich blaß ausfällt, wenn man den gesamten Quartalsumsatz des Unternehmens dagegen stellt. Dennoch jubelt Steve Jobs den Erfolg im Online-Business zum Beweis seiner richtigen, innovativen Vertriebsstrategie hoch: "Der Apple-Store ist jetzt eine der wichtigsten E-Commerce-Sites im Internet."

Gleichzeitig sind seine Channel-Manager in den USA bemüht, die Wogen zu glätten und den Handel zu beruhigen. Man verhalte sich beim Online-Shop ja preisneutral gegenüber den Händlern und außerdem würden im Internet ja fast nur Produkte der G3-Familie verkauft. "Nur" Produkte der G3-Familie? Der G3 ist der erfolgreichste Rechner in der Geschichte der Apfel-Firma. Zumindest, wenn man den Starterfolg betrachtet. Man hört förmlich das Aufatmen der Mac-Gilde, die mit einem neuen Rechnerkauf solange wartete, bis das Weiterbestehen Apples gesichert war, oder es zumindest so aussah. Im ersten Geschäftsquartal 1998 verkaufte Apple nicht weniger als 133.000 G3s. Auch das eingeschworene Windows-Lager nickt anerkennend mit dem Kopf. Mit der Kooperation mit Microsoft vollzog Apple eine vertrauensbildende Maßnahme und wies den Kunden den Weg in Richtung kompatible Office-Software. Und eben dieser G3 ist das Flaggschiff des Online-Ladens. Apple macht aus seiner neugewonnenen Liebe Direktvertrieb keinen Hehl. Stolz berichtet die deutsche Presseabteilung des Konzerns, daß nahezu 400 verschiedene Konfigurationen von Mac, Zubehör und Software online zusammengestellt werden können. Freilich ist der Laden nur Amerikanern bis zur Kasse zugänglich. Doch dem November-Statement, daß frühestens im März 1998 überhaupt eine Entscheidung getroffen werde, ob Online-Verkauf für Europa relevant wird, folgte die Aussage der deutschen Pressesprecherin Theresa Wermelskirchen: "Wir planen die Einführung des Online-Shops auch in Europa".

Klares Bekenntnis Apples zum Direktvertrieb

Offensichtlich angespornt vom schnellen Erfolg, will Apple in Europa zunächst mit einem einzelnen Land einen Piloten starten. Nach und nach sollen dann andere Länder folgen. Das Land wird voraussichtlich nicht Deutschland sein. Basis für den selbstkonfigurierbaren Rechnerkauf ist die Build-To-Order-Fertigung. Dieses Konzept spart Lagerhaltungskosten und reduziert präventive Fehlkalkulationen beim Beliefern der Vertriebspartner. Gleichzeitig sind aber enorme Anstrengungen gefordert, die notwendigen kurzen Entwicklungszyklen zu realisieren. "BTO als Fertigungskonzept wird in unserer Fertigung in Cork (Irland) auf jeden Fall eingeführt," so Theresa Wermelskirchen weiter, "das ist zunächst unabhängig von dem Online-Shop". An erster Stelle wird BTO den Apple-Händlern zur Verfügung stehen, um rund um die Uhr präzise Bestellungen abgeben zu können.

Kurzfristig profitiert der Handel also von den Bemühungen Apples, die Produktion direkter an die Wünsche der Kunden zu binden. Ähnliche Konzepte setzt auch Hewlett-Packard ein: In einem System namens Euros können Händler aus einem Fundus gebrauchter Unix-Rechner schöpfen, um ihre Kunden zu bedienen. Mit der Web-Site HP Connect wird das Ganze um ein Online-Informationssystem ergänzt, in dem Händler aktuelle Preise und Marketing-Maßnahmen nachvollziehen können. Man muß kein Orakel zur Verfügung haben, um zu erkennen, daß diese Form der bequemen Händlerunterstützung auf dem Realisationszettel der meisten Hardware-Hersteller steht. "Compaq hat versucht, alle seine Partner in das Extranet, das Compaq Partner-Netzwerk, zu integrieren" betont Channel-Manager Steve Duson.

Händler und Großkunden profitieren

Ein weiteres wichtiges Standbein im Electronic Commerce wird der Direkvertrieb an Großkunden. Huy kündigte für Compaq bereits an, daß man spezielle Web-Seiten für einzelne Kunden einrichten werde, wo diese Produkte online bestellen können. Die meisten Unternehmen haben Rahmenverträge mit den Herstellern über sogenannte "approved confi-

gurations", also Hard-/Software-Kombinationen, die sich nahtlos ins Betriebssystem integrieren. Solche Systeme werden den Großkunden direkt als mögliche Auswahl angeboten. "Eine Menge Internet-Provider kaufen ihre Router und Server bei Cisco auf der Web-Site", ärgert sich Duson. "Wir müssen unsere Vertriebspartner dahin bringen, da auch aktiv zu werden." Besondere Bedeutung erhält dieses Thema auch im Bereich des Nachschubs an Verbrauchsmaterialien. Statt mit Herstellerkatalogen zu hantieren, rufen die Einkäufer dann einfach entsprechende Suchmasken auf Web-Seiten auf. Der Bedarf ist da. Nicht nur in der Computer-Industrie, auch in anderen Branchen erwacht die Nachfrage nach neuen, komfortablen Einkaufsmethoden. In einer Umfrage des Kreditkartenunternehmers Visa bei 2.000 amerikanischen Einkäufern verschiedenster Industriezweige gaben 21 Prozent der Befragten an, noch in diesem Jahr die Hälfte aller Einkäufe via Web abzuwickeln. Die Unternehmen, die sich gegen den Einsatz dieser Vertriebsform aussprachen, machten zumeist Sicherheitsbedenken geltend..

Das Thema erweiterte Dienstleistung via Internet ist auch für den Fachhandel in Europa ein wichtiges Thema. Hier kann der Händler sein spezifisches Know-how wirken lassen, nämlich das Wissen über die Vorlieben und Bedürfnisse seiner Kunden inklusive solcher "approved configurations". Die Einrichtung und Pflege von Kunden-Bestellseiten erfordert nur sehr begrenzte Investitionen. Es muß auch nicht immer ein komplettes Online-Shopping-System sein. Systeme, die Preise aus Textlisten heraus lesen und Web-Seiten generieren sind inzwischen schon für DM 500 erhältlich. Apropos Software: In einem sind sich sowohl Apple als auch Compaq vollkommen einig. Beide haben aus ihrem Online-Shop ein fertiges Software-Produkt gemacht und verkaufen es an Interessenten. (Frank Puscher)

Der Kunde konfiguriert seinen Compaq-Rechner mittels Auswahlmenüs.

"Verkauf nur in den USA": Wie lange gilt Apples Online-Policy noch?

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